Die anfängliche Gegenwehr erlahmte. Die mutigen Orks und Bogglins fielen zuerst, und die Furchtsamen wandten sich auf den Fersen um, als sie die grimmigen, bärtigen Gesichter unmittelbar vor sich sahen.
»Lasst nicht nach!« Tungdils Plan ging auf. Die kopflos gewordenen Bestien rannten vor ihm und seinen Kriegern davon und prallten mit der zweiten Welle Flüchtiger zusammen, die von Norden her vor Prinz Mallens Reiterei durchs Lager zu entkommen suchten. Es gab kein Entrinnen mehr.
Tungdil holte gerade aus, um zwei Orks mit einem Streich das Leben zu nehmen, als sie wie von Geisterhand gefällt auf die Erde fielen. Hinter ihnen tauchte Ingrimmsch auf, über und über mit dem Blut seiner Opfer bedeckt und mit einem irren Funkeln in den Augen.
»Ah, da seid ihr ja endlich. Ich habe mir schon Sorgen gemacht«, begrüßte er seine Freunde fröhlich. »Was hat euch aufgehalten? Die lausigen Schweinchen etwa?«
»Hatte ich nicht gesagt, dass du zurückkommen sollst?«, rügte Tungdil kopfschüttelnd.
»Ich dachte, du meintest einen von denen« - Ingrimmschs Rechte deutete auf einen getöteten Gegner -, »der dir durch die Lappen gegangen ist.« Er wandte sich um und betrachtete selig das Getümmel. »Ist das nicht ein herrliches Ende für einen Sonnenumlauf, Gelehrter? Wir haben eine Menge Arbeit vor uns.« Mit diesen Worten hob er die besudelten Beile, und ein Schatten fiel auf sein Gesicht. »Aber sie bereitet mir nicht ganz so viel Vergnügen wie sonst. Mein Bruder fehlt mir. Zusammen haben wir dreimal so viele erledigt. Die nächsten zwanzig sind für Boëndal.« Mit einem Schlachtruf auf den Lippen, stürzte er sich wieder ins Getümmel.
»Sein heißes Blut wird irgendwann sein Verderben sein«, mutmaßte ein Zwerg neben Tungdil leise, ehe er sich ebenfalls an dem Gemetzel beteiligte.
Ich bete darum, dass es nicht so kommt. Tungdil ließ sich für einen Augenblick zurückfallen, setzte sein Signalhorn an die Lippen und spielte die vereinbarte Tonfolge, um Prinz Mallen mitzuteilen, dass die Zwerge eingetroffen waren und auf der gegenüberliegenden Seite kämpften. Damit verhinderte er, dass Mallens Bogenschützen ihre tödlichen Geschosse aus Versehen gegen sie richteten. Zwerge waren auf diese Distanz und unter den deutlich größeren Feinden schwer auszumachen. Kurz darauf hörte er die geblasene Antwort, und mit neuem Eifer kehrte er zu seinen Leuten zurück.
Sie wüteten bis zu den Abendstunden, wobei die Fußsoldaten Mallens sehr zum Ärger Ingrimmschs ins Geschehen eingriffen. Eine Schwadron des Prinzen jagte die Orks und Bogglins, die sich absetzen wollten, doch so sehr sich die Bestien bemühten, Raum zwischen sich und die Schlacht zu bringen, sie wurden von den Pferden und den Soldaten eingeholt und mit Lanzen gespickt.
So kam es, dass die kleine Ebene vor Einbruch der Nacht beinahe keinen Platz mehr für die Kadaver der Ungeheuer bot und der Boden so satt mit grünem Blut getränkt war, dass es in schmalen Bächen zusammen mit dem Tauwasser ablief.
Zwerge und Menschen trafen sich auf dem Nordhügel, hinter dem sich das Lager der Soldaten aus Idoslân befand. Mallen lenkte sein Pferd zu Tungdil, schwang sich aus dem Sattel und reichte ihm die Hand. Seine Rüstung wies einige Beulen und Schrammen auf, doch abgesehen von einem Schnitt im rechten Unterarm blieben ihm schwere Verletzungen erspart. »Tungdil Goldhand, es freut mich, Euch wohlbehalten zu sehen.«
Der Zwerg grinste, weil er von dem Herrscher wie ein vornehmer Herr angesprochen wurde, nahm dessen Hand und schüttelte sie. »Einmal mehr haben mein Volk und die Menschen gut miteinander gekämpft.« Gemeinsam blickten sie auf die bis auf den letzten Ork vernichtete Streitmacht. »Damit dürften wir den Bewohnern Gauragars einiges an Kummer erspart haben.«
Das Gesicht des Prinzen verfinsterte sich. »Es hat dennoch Leben gekostet. Unterwegs fanden wir Dörfer und Siedlungen, die von den Horden geplündert und gebrandschatzt waren.« Seine Augen suchten die funkelnden Sterne, die sich allmählich am dunkelblauen Himmel zeigten. »Aber Ihr habt Recht. Wenn wir sie nicht aufgehalten hätten, würden noch mehr sterben.«
»Ihr habt ohne uns angefangen«, beschwerte sich Boïndil halblaut, aber deutlich genug, um von dem Herrscher vernommen zu werden. »Ihr habt sie so verschreckt, dass sie sich gar nicht mehr richtig gewehrt haben.« Er verschränkte die muskulösen Unterarme betont langsam vor seiner imposanten Brust, und der Ausdruck in den braunen Augen machte deutlich, dass er es den Menschen übel nahm.
Mallen kannte die Eigenarten Boïndils und wusste, wie er die Bemerkung, die eigentlich nicht für seine Ohren bestimmt gewesen war, einzuordnen hatte. Daher ließ er sich erst gar nicht auf einen Disput mit ihm ein. »Wir werden das nächste Mal auf euch warten«, versprach er stattdessen. »Seid einfach pünktlicher.«
»Pünktlicher?«, begehrte Ingrimmsch auf und reckte den Kopf, dass der schwarze Bart zitterte. »Ihr könnt froh sein, dass wir überhaupt erschienen sind, um euch beizustehen. Die Schienen der Tunnel sind nach dem verfluchten Beben verbogen, und teilweise lagen Brocken auf unserem Weg, die so groß wie ein Trollarsch waren. Ihr könnt von Glück reden...«
»Bitte, mäßige dich«, griff Tungdil beschwichtigend ein, ehe der Zwilling sich vollends vergaß. »Prinz Mallen hat Recht, wir kamen später als verabredet.« Er wandte sich an den Herrscher und rollte dabei mit den Augen, um ihm zu zeigen, dass er die Sache auf sich beruhen lassen sollte. »Aber es endete in einem großen Sieg für das Geborgene Land, nicht wahr?«
»Durchaus«, nickte der blonde Ido und bemühte sich, ernst dreinzuschauen. »Ohne die Zwerge hätten wir dieses Gefecht sicherlich nicht so leicht entschieden.« Bei jedem anderen, aus dessen Mund solche ungehörigen Widerworte gedrungen wären, hätte er wenig Gnade gezeigt, nur bei Ingrimmsch ließ er Milde walten, zumal niemand außer ihnen Zeuge der Unterredung war.
Die milden, lobenden Worte bewirkten, dass Boïndils verschlossene Miene sich aufheiterte. Er zog sich den Helm ab, unter dem der lange, schwarze Zopf zum Vorschein kam, und rieb sich die rasierten Seiten seines Kopfes. Schweiß perlte herab. »Na, von mir aus«, lenkte er ein. »Wir hatten alle unseren Spaß, und Vraccas wird es gefallen haben, wie wir mit den Schweinchen umgegangen sind.« Er räusperte sich. »Verzeih meinen Ausbruch«, brummelte er eine Entschuldigung hinterher, wenig auf die Etikette der Menschen gebend, was die Anrede eines Herrschers anbelangte.
»Ich verzeihe.« Mallen deutete auf die andere Hügelseite, wo die Zelte seines kleinen Heeres standen. »Seid meine Gäste und feiert mit uns das Ende der unwürdigen Kreaturen«, lud er sie ein.
»Wir haben auch Starkbier dabei, die Proviantwagen sind eben eingetroffen.«
»Mein Dank ist dir gewiss«, nickte Ingrimmsch anerkennend und stapfte den Hügel hinab. Der Durst leitete ihn zielsicher dorthin, wo die gewaltigen Fässer warteten. Auf einen Wink Tungdils hin folgten ihm die übrigen Zwerge. Auch die Soldaten kehrten zurück und freuten sich auf die erste ruhige, marschlose Nacht, die vor ihnen lag.
Mallen und Tungdil blieben auf der Kuppe stehen und beobachteten, wie die siegreichen Kämpfer gemeinsam an die Feuer traten und zu speisen begannen.
»Es ist noch gar nicht so lange her«, sagte der Herrscher nachdenklich, »da war ich ein Ausgestoßener im Exil. Heute bin ich ein Regent, wie es meine Vorfahren immer sein wollten. Mehr noch. Ich wurde Zeuge eines Bündnisses, von dem ich angenommen hatte, es könnte niemals zu Stande kommen.«
Der Zwerg dachte an die aufregenden Zeiten zurück, die ihm die letzten Umläufe beschert hatten. Vom einfachen Faktotum eines Magus zum Anwärter auf den Thron aller Zwerge hin zum Krieger, dem in der Schlacht am Schwarzjoch überraschend die Aufgabe zuteil geworden war, den mächtigen Magus Nôdʹonn und seinen Dämon mithilfe der Feuerklinge zu vernichten. »Der gemeinsame Feind hat uns geeint«, stimmte er Mallen zu. »Keiner von meinem Volk hätte es sich je erträumt, Seite an Seite mit den Elben zu stehen.«