»Du meinst den Kampf zwischen unserem Volk und den Elben«, mutmaßte er. »Es hätte nicht dazu kommen dürfen, das Vertrauen wird schwer wieder herzustellen sein«, bedauerte er. »Aber es wird zurückkehren. Es wird das Ende Dsôn Balsurs lediglich um einen Sonnenzyklus hinauszögern. Wohin sollen die Albae flüchten? Sie sind umstellt und werden vernichtet.«
»Und es juckt dich nicht in den Fingern, an die Front zu gehen und den Menschen dabei zu helfen?«, erkundigte sich Boëndal erstaunt. »Es wäre doch ein wunderbares Zeichen, wenn der Held vom Schwarzjoch an der Spitze eines Zwergenheeres gegen die Albae zöge, die Einigkeit zwischen uns und den Elben neu beschwüre und sich die Feuerklinge zurückeroberte...«
»Es war nicht meine Schuld, dass wir sie ein weiteres Mal verloren haben«, unterbrach ihn Tungdil gereizt und nahm einen Schluck aus dem Humpen. »Ich musste Glaïmbar retten, hast du das schon vergessen? Der König der Fünften hat es nicht geschafft, sich gegen einen verwundeten Ork zu wehren«, lachte er bitter. »Wer weiß, wo die Axt ist und was die Albin damit angestellt hat.« Es ärgerte ihn, dass er ständig an den Verlust erinnert wurde.
Boëndal betrachtete ihn gedankenvoll. »Weißt du, wie du klingst, Gelehrter? Wie ein greiser Zwerg, der zu Hause am Kamin sitzen möchte und sich an die guten alten Zyklen erinnert, in denen er Schlachten schlug, ohne sich um die Gegenwart zu scheren.«
Tungdil ließ sich Zeit, ehe er zu einer Erwiderung ansetzte. »Ich denke, das trifft es nicht ganz. Meinen Teil zur Rettung des Geborgenen Landes habe ich geleistet. Ich wäre gern ein Zwerg, der sich um alltägliche Sorgen kümmern muss, der in der Schmiede steht oder als Gelehrter anderen beisteht.«
»Wie Myr? Ist sie der Grund, weshalb du bleiben möchtest? Nichts ist klebriger als der Rockzipfel einer Frau, sagt man.«
Tungdil holte tief Luft. »Ich weiß nicht«, gab er ehrlich und betrübt zurück. »Sie ist anders als Balyndis, sie ist eine Gelehrte. Wir können stundenlang über Dinge reden, von denen Balyndis nicht einen Schimmer hatte. Ich kann mir vorstellen, Myr als Gefährtin an meiner Seite zu haben, aber nachts träume ich immer noch von Balyndis, und dann kehrt der Hass auf Glaïmbar zurück.« Er schaute in Boëndals Gesicht. »Der wahre Grund könnte sein, dass ich Angst davor habe, ihn zu erschlagen oder eine Gemeinheit zu planen, wie es Bislipur tat, um sie auseinander zu bringen. Das würde mir beweisen, dass ich ein Dritter bin und dass ich gegen mein heimtückisches Wesen nicht ankomme.« Er leerte seinen Humpen und stellte ihn geräuschvoll ab. »Ich denke, ich bin hier sehr gut aufgehoben. Und ich denke, dass Myr die Bessere für mich ist.«
Boëndal nickte ihm mitleidig zu. »Ich verstehe dich, Gelehrter. Bei Boïndil bezweifle ich das, ich werde ihn niederschlagen müssen, damit er sich nicht an dich klammert.« Sie lachten ohne echte Heiterkeit in den Stimmen. »Wirst du dein Exil aufgeben, wenn das Geborgene Land und die Gemeinschaft der Zwerge dich benötigen?«
»Sicher«, antwortete Tungdil, ohne zu zögern. »Aber das wird kaum geschehen. Wann brecht ihr auf?«
»Morgen, noch bevor die Sonne aufgeht. Wir haben von einem Treffen aller Könige gehört, das unter dem Vorsitz von Andôkai der Stürmischen in Porista stattfinden wird.« Er zückte eine Pergamentrolle. »Glaïmbar hat uns den Wunsch des Großkönigs mitgeteilt, dass er uns drei gern in seiner Eskorte dabeihätte.«
»Es werden nur zwei sein«, unterstrich Tungdil seinen Willen zu bleiben. »Was soll denn besprochen werden?«
Boëndal hob die Achseln. »Das steht nicht drin. Die Stürmische macht ein Geheimnis daraus. Vermutlich will sie alle Regenten ins Gebet nehmen und sie an die Treue erinnern. Einige haben den Eid für meinen Geschmack zu schnell vergessen.« Er legte ihm die Hand auf die Schulter. »So lebe wohl, Tungdil Goldhand. Möge dich Vraccas segnen und deiner Seele Frieden schenken, damit du in Ruhe leben kannst.« Die Freunde standen auf und umarmten sich lange. »Mir graut davor, meinem Bruder erklären zu müssen, dass du bleibst«, gestand er. »Myr soll ihm etwas Beruhigendes ins Essen streuen.«
»Nein, ich sage es ihm selbst«, entschied Tungdil. Gemeinsam gingen sie die Stufen hinunter und fanden Ingrimmsch in der Küche, wo er neben Myr stand und mit hungrigen Augen ihre Essensvorbereitungen verfolgte. Auf dem großen Tisch in der Mitte des Raumes lagen zwei ausgeweidete Guguls.
»Selbst gefangen«, begrüßte er sie strahlend und hob die zerkratzten Arme. »Mit meinen eigenen Händen habe ich ihnen das Genick gebrochen und mir vorgestellt, dass es Schweineschnauzen seien, denen ich die Hälse umdrehe. Aber es ist kein guter Ersatz.« Er bemerkte ihre trüben Gesichter. »Was ist? Ist das Bier schal geworden?«
»Ihr brecht morgen auf. Ohne mich«, gestand ihm Tungdil. »Ich werde bleiben und...«
Boïndil legte die Stirn in Falten, senkte den Kopf und hob die Schultern, als wollte er gleich in den Angriff übergehen. »Muss ich dich niederschlagen und mitschleifen?«, knurrte er. »Du machst einen Spaß mit mir, oder?«
»Nein, Boïndil. Ich bleibe in Goldhort. Vorerst«, rettete er sich angesichts der Entschlossenheit des Kriegers in eine Notlüge. »Ich muss noch einige Unterredungen mit Gemmil führen, damit sich die Freien an einem Angriff auf Dsôn Balsur beteiligen. Ich kann nicht einfach so verschwinden.«
»Hm.« Ingrimmsch verschränkte unzufrieden die Arme. »Wie lange dauert das? Soll ich mal mit ihm reden?«
»Bloß nicht«, wehrte Tungdil lachend ab. »Dein einnehmendes Wesen würde ihn überrumpeln.«
»Vor allem, wenn du deine Beile dabei hast«, fügte Boëndal feixend hinzu und spielte mit. »Lass die Verhandlungen den Gelehrten führen. Auf uns wartet die Reise nach Porista.«
Boïndil kam rasch auf Tungdil zu und riss ihn an sich. »Pass auf dich auf«, sagte er. »Und lass uns nicht allzu lange warten.«
»Nein.« Es klang nicht überzeugend. Tungdil schaute zu Boëndal, der den Blick auf die Tiere auf dem Tisch gerichtet hielt; seine Kiefer mahlten.
Myr verstand auf Anhieb, dass sie Ingrimmsch nicht die Wahrheit sagten. Sie lächelte glücklich, da sie ahnte, dass sie Tungdil nun für sich allein haben würde.
»Ich koche etwas ganz Besonderes«, versprach sie. »Ihr werdet viel Ausdauer in den Beinen brauchen, um schnell zurückzukehren.« Sie band sich eine Schürze um. »Vielleicht erlaubt euch Gemmil, einen unserer Tunnel zu benutzen, das würde euch Zeit sparen. Ich frage ihn.«
Boïndil packte die Käfer am Schwanz und legte sie in den großen Kessel, in dem eine klare Brühe brodelte. »Aber erst nach dem Essen.«
II
Das Geborgene Land, irgendwo
unter dem Land Gauragar, Stadt Goldhort,
6234. Sonnenzyklus, Herbst
Als Tungdil sich am nächsten Morgen von seinem Lager erhob, waren die Betten seiner Freunde leer. Ohne ihn zu wecken, waren sie aufgebrochen.
Myr begrüßte ihn mit einem ausgezeichneten Frühstück. Es gab Pfannkuchen mit Moosbeerensirup, heißem Gugul und verschiedenen geräucherten Fleischsorten, die das Feuer seiner Lebensesse anfachten.
»Sie sind noch nicht lange weg«, erzählte sie, als Tungdil nachfragte. »Sie haben ordentlich gegessen, sich Proviant eingepackt und sich dann auf den Weg gemacht.« Die blasse Zwergin setzte sich neben ihn und schaute zu, wie er aß. »Du wirst ihnen nicht folgen, nicht wahr?« Sie konnte die Frage, die ihr auf der Seele brannte, nicht länger zurückhalten. »Ihr habt Boïndil in dem Glauben gelassen, damit er dich zurücklässt.«