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Die Tätowierungen in Sandas Gesicht gerieten in Bewegung, der Zorn formierte sie neu. Die Kriegerin wirbelte die Axt spielerisch und drohend zugleich. »Kann sie das, Myr? Wie gut, dass du es mir sagst, bevor ich dich damit streichele und aus Versehen deinen dünnen weißen Hals knicke.« Wutschnaubend verließ sie den Raum der Festung, in der sie sich täglich mit dem Zwerg traf, um ihn auf den Kampf mit Salfalur vorzubereiten.

»Ich habe mich immer für einen guten Krieger gehalten, und auch Ingrimmsch hat mich gelobt«, ächzte er und ließ sich auf die Steinbank sinken. Myr stützte ihn dabei. »Doch Sanda übertrifft mich um Längen. Sie übertrifft auch Ingrimmsch, wenn ich es mir recht überlege.«

»Du hast alle Zeit, sie zu übertrumpfen«, ermutigte ihn die Chirurga und verlangte, dass er die Stelle frei machte, damit sie ihn besser examinieren könne. Allein für dieses Wort hätte er sie küssen mögen, es klang so gelehrtenhaft und vertraut. »Vergiss nicht, dass sie dreimal so alt ist wie du und Erfahrung besitzt, die du noch nicht wettmachen kannst.« Sie schnalzte mit der Zunge, als sie den Bluterguss an seinem Rippenbogen entdeckte. »Die Lektion ist zu Ende«, entschied sie. »Du legst dich hin, und ich bringe dir Eis, damit du die Schwellung kühlst. Danach rühre ich dir eine Salbe an.«

Tungdil beugte sich vor und erhob sich; das Strecken bereitete ihm Schmerzen, die ihm zwar nicht unbekannt, aber dennoch unangenehm waren. Sie verließen Sandas und Gemmils Festung und wanderten den geschwungenen Pfad hinab, der ihnen einen Blick auf die Stadt gewährte.

Tungdil dachte an die scharfen Worte, die zwischen den beiden Zwerginnen gefallen waren. »Wie kommt es, dass ihr euch nicht leiden könnt?«, erkundigte er sich. »Ist Sanda doch eine Zwergenhasserin?«

»Nein. Wir hassen uns gegenseitig«, lachte Myr. »Es ist kein Privileg der Dritten, andere Zwerge nicht zu mögen.«

»Verrätst du mir den Grund?«

Sie schenkte ihm einen schelmischen Augenaufschlag. »Was denkst du, Tungdil? Weshalb kann es zu erbitterter Feindschaft zwischen Frauen kommen?«

Er grinste. »Ein Zwerg? Ihr habt euch in denselben Mann verliebt?« Er schaute hinauf zur Festung. »Sag nicht, dass ihr beide hinter Gemmil her wart?«

Myr wirkte verlegen und wandte ihr hübsches Gesicht in Richtung der Wasserfälle. »Ich kam aus Gemmenschatz, das ist die südlichste unserer Städte, und lernte ihn sehr bald kennen. Gerade als sich etwas zwischen unseren Herzen anbahnte, erreichte Sanda die Freien und betörte den König mit ihrem handfesten Charme. Ich habe ihr daraufhin gesagt, was ich von ihr denke, und dass ich sie für eine niederträchtige Käferlarve halte, die für die Dritten spioniert. Sie tat das Gleiche. Seitdem wissen wir, woran wir miteinander sind.«

»Du denkst, sie bespitzelt die Stadt?«

»Ja. Die Dritten wollen alle Zwerge töten, warum sollten sie vor den Freien zurückschrecken? Nur weil die ältesten Familien von uns schneeweiß sind, werden sie uns nicht verschonen. Ich denke, sie haben uns entdeckt und wollen mehr über uns und die Überläufer aus ihren eigenen Reihen wissen.«

»Und was sagt Gemmil dazu? Du hast es ihm sicher erzählt.«

»Das habe ich.«

»Und?«

»Er hat gelacht. Sein Herz macht ihn blind, aber ein paar Freunde und ich achten gemeinsam auf sie. Sie kann nichts tun, ohne dass sie beobachtet wird.«

»Daher rührt ihr Hass.«

»Nein. Sie ahnt nichts. Sie fürchtet, dass ich Gemmil nicht aufgegeben habe und ich meine Zuneigung zu dir nur spiele, um sie in Sicherheit zu wiegen und ihn ihr wieder abspenstig zu machen.« Sie wandte sich Tungdil zu, und ihre roten Augen schienen geradewegs in seine Gedanken zu schauen. »Doch ich spiele nicht, Tungdil Goldhand. Es ist mir sehr ernst mit dir.«

Eigentlich wollte es sein Verstand nicht, doch eine andere Kraft übernahm seinen Körper und zwang ihn dazu, den Kopf nach vorn zu beugen und ihre Lippen mit den seinen zu berühren. Sie schmeckten süß, weich, verlockend, nach Gewürzen und Honig. In seinem Magen kribbelte es, ihm wurde fast schwindelig.

Nach kurzem Zögern erwiderte sie seine Zärtlichkeit, ehe er von ihr abließ. Sie lächelten sich glücklich an und schlenderten schweigend die Straßen der Stadt entlang.

Habe ich in ihr eine Gefährtin gefunden? Tungdil betrachtete Myr, die ein paar Dinge einkaufte, welche sie am Abend zubereiten wollte. Bin ich wirklich über Balyndis hinweg? Die Chirurga drehte sich lachend zu ihm um und deutete auf eine Schale mit frischem Steinobst. Ihr Anblick brachte ihm das Kribbeln zurück, das er einst bei der Schmiedin verspürt hatte. Ja, ich habe eine neue Gefährtin gefunden, dachte er erleichtert und legte den Arm um sie, während sie nach Hause gingen.

Nach ein wenig Ruhe, einem guten Essen und einer Salbe, die tatsächlich die Schmerzen linderte, nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn quer durch die Stadt, bis sie an den Rand der Höhle und weiter in einen Stollen gelangten. Immer mehr Zwerge strömten herein, und so sehr Tungdil bohrte, Myr wollte ihm nicht sagen, was ihn erwartete.

So schritten sie den Gang entlang, der von Meisterhand in den Stein geschlagen worden war, und näherten sich einem blauen Licht. Tungdil hörte die leisen Unterhaltungen unzähliger Stimmen, die ihnen von vorn entgegenschlugen.

Schließlich mündete der Stollen in einer künstlich geschaffenen Höhle. Sie standen an der höchsten Stelle, vor ihnen fiel die Wand terrassenförmig ab; die Erbauer hatten zahlreiche Tribünen angelegt, auf denen sich die Zwerge nun niederließen. Unten befand sich eine breite Bühne, auf die man von jedem der Plätze aus eine gute Sicht hatte. Die Wände glommen im Schein blauer Leuchtkristalle.

»Ein Theaterstück?«, riet Tungdil. »Wenn Rodario wüsste, dass es bei den Freien so etwas gibt, würde er auf der Stelle eine Niederlassung des Curiosums eröffnen.« Myr schaute ihn verständnislos von der Seite an. »Du kennst ihn nicht - den Unglaublichen Rodario, Mime und Weiberheld«, erklärte er ihr rasch. »Er half uns dabei, die Feuerklinge zu schmieden.«

»Kein Theater«, verneinte sie. »Heute treten die Chöre der fünf Städte gegeneinander an, es ist ein ehrenvoller Wettbewerb und Vraccas gewidmet.« Sie deutete nach unten, wo die ersten Sänger auf die Bühne traten. Die Zuschauer bereiteten ihnen einen freundlichen Empfang, indem sie mit den Stiefeln auf den Stein stampften und ein künstliches Donnern schufen. »Du wirst es nie mehr vergessen.« Ihre Hand langte nach seiner.

Der Gesang hob an.

Er klang anders als das mystisch-getragene Stück der Vraccas-Priester. Man sang mit Bass und Bariton in der Kehle über die Schönheit der unterirdischen Schätze, der Höhlen und Grotten, das verborgene Gold, die hundert verschiedenen Farbtöne, die ein einziger Fels im geschulten Auge eines Zwerges hatte, über das Schmieden einer Axt, das Errichten einer Brücke über eine bodenlose Schlucht und alles Zwergische überhaupt.

Auch die Helden und Heldinnen kamen nicht zu kurz, ihre Taten und Kämpfe gegen unzählige Ungeheuer wurden mit schmetternden Stimmen gepriesen.

Ein Zwerg schritt voran, die Axt erhoben,

wir erheben die Stimmen, am ihn zu loben.

Nicht Furcht, nicht Bang kanntʹ er auf seinen Wegen,

das Land zu schützen, dafür erhielt er Vraccasʹ Segen.

Er erschlug Feinde so zahlreich wie niemand,

bis eine tödliche Klinge ihn fand.

Er starb verblutend und focht dabei unverdrossen,

er hat sein Blut für uns alle vergossen.

Die Mörderschar, sie gab nicht auf,