Romo verneigte sich. »Prinz Mallen, ich soll dich von meinem Oheim fragen, ob dein Land noch immer grünt und blüht oder ob deine Garnisonen nicht mehr genügend Leute haben, um den Orks Toboribors Einhalt zu gebieten. Wir können die Feuer, die sie aus deinen Dörfern entfachen, sogar vom Schwarzjoch aus sehen.«
»Hör mit deinem selbstgefälligen Geschwätz auf«, rief ihn Narmora zu Ordnung. »Berichte uns von dem Vorschlag, damit wir auch etwas zu lachen haben.«
Der Zwerg öffnete den Mund, da klopfte es laut gegen die Tür.
Das letzte Pochen hatte nichts Gutes bedeutet, und so fiel es der Halbalbin schwer, aufzustehen und nachzuschauen, wer der Störer war.
»Der Held des Schwarzjochs beehrt uns«, entfuhr es Rodario laut. Mit Tungdil hatte er wahrhaftig nicht gerechnet.
Narmora reichte dem Zwerg die Hand, er schlug ein.
»Es freut mich, dich zu sehen, auch wenn die Umstände durchaus hätten glücklicher sein können«, begrüßte er sie mit einem breiten Lächeln. Hinter ihm standen die Zwillinge und eine sehr bleiche Zwergin mit weißen Haaren und roten Augen. »Sie heißt Myrmianda Alabasterhaut und ist meine Gattin«, erklärte er knapp. »Mein Erscheinen hat einen Grund: Darf ich im Namen aller Kinder des Schmieds an den Beratungen teilnehmen?«, bat er sie.
»Niemals!«, rief Romo und kam auf ihn zu, das Gesicht vor Wut verzerrt. Die Tätowierungen wirkten noch dunkler als sonst auf dem faltigen Antlitz. »Er ist ein...«
»... Nachfahre von Lorimbur«, erinnerte Tungdil ihn und hob die Axt, die er in seiner Rechten hielt. »Wenn mir deine Forderung richtig übermittelt wurde, hast du alle anderen Stämme hinauswerfen lassen, aber nicht deinen eigenen.« Er stellte die Waffe auf den Boden, und es krachte, als der Axtkopf auf den Marmor prallte. »Entweder du und dein Begleiter verlassen mit mir die Halle, oder du hinderst mich nicht daran, hier zu bleiben.« Gelassen schaute er in die stechenden Augen des Zwergs, der ihn erzürnt anstarrte. »Gut, ich nehme dein Schweigen als Erlaubnis.« Er wählte sich den Sessel, auf dem Gandogar gesessen hatte. »Fahre fort, Romo. Ich möchte hören, welche Macht den Avataren trotzt.«
Mallen nickte ihm zu; er konnte seine Erheiterung kaum verbergen, und auch die anderen Königinnen und Könige bis auf Belletain genossen die erste Niederlage Romos und hofften, dass weitere folgen würden.
Romo Stahlherz hatte sich indes gefangen. »Ah, ich sehe, dass du die Feuerklinge nicht bei dir trägst. Dann stimmt es, dass die Albae sie dir gestohlen haben?«, versuchte er, Tungdil in Verlegenheit zu bringen.
»Ich habe sie einer Albin geliehen. Sie will mich unbedingt töten, also wird sie sie zu mir zurückbringen«, antwortete er leichthin. »Aber wir brauchen die Klinge nicht, das sagtest du selbst.«
Mallen lachte leise.
»Nein, wir brauchen sie nicht«, grollte Romo. Während er weitersprach, drehte er sich langsam, um sie alle der Reihe nach anzuschauen. »Mein Oheim sah und verstand die Zeichen am Himmel, er kannte die Legende. Wir wollten das Schwarzjoch nicht umsonst in unsere Gewalt bekommen, denn wir wussten von geheimen Kammern, in denen das Wissen unserer Vorfahren lagerte und nur darauf wartete, von uns wieder entdeckt zu werden«, gestand er. »Und wir haben ihn gefunden, den Hort der Erkenntnisse. Dort stand geschrieben, welcher Waffe es bedarf, die Avatare zu vernichten.«
»Jungfrauen«, nuschelte Belletain, dumpf auf den Zwerg starrend. »Die Köpfe angespitzt, nicht vergessen. Ihr sollt sie haben, meinetwegen.«
»Nein, guter Freund und König Belletain, du musst deine Jungfrauen nicht opfern«, meinte Romo. »Ihr habt gehört, dass die Avatare die Splitter aus dem Leib eines Gottes sind, herausgeschlagen vom glühenden Hammer Vraccasʹ. Wir sind die Dritten, wir verachten das, was Vraccas außer uns schuf, und somit zählen wir auch die Avatare zu unseren Feinden, denen wir keine Gnade gewähren.«
Königin Wey räusperte sich. »Sag uns endlich, bei Elria...«
»Nein, ich sage es euch nicht. Es muss euch genügen, dass wir wissen, wie wir die Avatare abwehren können. Würde ich es euch sagen, brauchtet ihr unsere Hilfe nicht mehr und würdet die Forderungen nicht erfüllen. Mehr als den Hinweis, den ich euch eben gegeben habe, bekommt ihr nicht zu hören.« Aufgeregte Stimmen wurden laut, doch Romo wartete in aller Ruhe, bis wieder Ruhe einkehrte.
»Was verlangt ihr als Gegenleistung?« Tungdil lehnte sich nach vorn, die Augen leicht verengt, das Schlimmste befürchtend.
»Nichts, was unmöglich ist.« Romo sprach allein zu ihm, die Augen der Menschen und Elben richteten sich gespannt auf die beiden. »Entweder alle Stämme Borengars, Giselbarts, Goimdils und Beroïns verschwinden stehenden Fußes aus dem Geborgenen Land, oder wir schweigen und unternehmen nichts. Wenn sie gegangen sind, übernehmen wir den Schutz aller Pässe in den Außengebirgen. Unsere Zahl ist groß genug.« Er lächelte arglistig. »Es ist die Entscheidung der Zwerge, was aus dem Geborgenen Land wird.«
III
Das Geborgene Land, Gauragar,
in der Hauptstadt des ehemaligen
Zauberreiches Lios Nudin, Porista,
6234. Sonnenzyklus, Spätherbst
»Das ist also die List der Dritten.« Gandogar blickte in die betroffenen Gesichter der Zwergenkönige und der Zwergenkönigin. »Sie suchen erst gar nicht den offenen Krieg, sie werfen uns aus dem Land und besiegen uns auf diese Weise.«
Boïndil ballte die Fäuste. »Ich würde ihn in der Luft zerreißen, wenn ich dürfte.«
»Es würde nichts ändern«, meinte Tungdil.
»Schon, aber es würde mir gut tun«, seufzte der Zwerg sehnsüchtig. »Ich bin in der richtigen Laune, mich in ein Heer voller Schweineschnauzen zu stürzen und ihre Gedärme in hohem Bogen...«
»Sei still«, mahnte ihn Boëndal. »Wir denken nach, im Gegensatz zu dir.«
Gandogar und die Delegation der Zwerge saßen in einem der vielen Räume des Palasts um einen Tisch mit einer Landkarte und berieten darüber, was sie auf die Forderung Romos erwidern sollten. Sie tagten seit nunmehr vier Stunden, doch niemandem wollte eine gescheite Lösung einfallen. Bis zum Einbruch der Nacht erwartete man ihren Entschluss, und die Dunkelheit nahte mit großen Schritten.
»Warum wollte er uns nicht dabei haben, als er die Nachricht seines Oheims überbrachte?«, fragte Balyndis in die Runde.
Tungdil schaute zu ihr; seine Hand hielt die Finger Myrs, als müsste er sich ihrer Gegenwart und seiner Liebe auf diese Weise vergewissern, als wären sie ein Rettungsseil in einem dunklen Schacht. Zu seiner eigenen Beruhigung sagte er sich, dass er nichts mehr für die Schmiedin fühlte, die ihrerseits die Hand von Glaïmbar umfasst hielt. Sie sieht gut aus. Das verräterische schnelle Schlagen in seiner Brust stammte von der Aufregung und der Wut auf Romo und die Dritten, welche die verzweifelte Lage des Geborgenen Landes für ihre eigenen Zwecke nutzten. Jedenfalls redete er sich das ein.
»Ich denke, er wollte die Menschen und Elben zuerst einlullen und ihnen das Angebot ohne lästige Zwischenrufe schmackhaft machen, ehe wir es von Narmora erführen«, vermutete der einarmige Balendilín. »Dass du auftauchtest, damit rechneten er und diejenigen, die ihn schickten, gewiss nicht.«
»Gut für uns«, sagte Ingrimmsch überzeugt und prüfte seinen Bart, ob er noch ausreichend Fett enthielt. Der Braten hatte genügend Soße hinterlassen, die er durch stetes Reiben in die Haare eingearbeitet hatte; der Geruch nach Fleisch, der ihn umgab, störte ihn nicht.
»Gut? Noch glaube ich nicht daran. Wir haben die schmerzliche Erfahrung gemacht, dass wir Lorimbas sträflich vernachlässigt haben. Er übertrifft Bislipurs Bosheit hundertfach«, kommentierte der Großkönig betrübt und stützte den Kopf mit der scheinbar immer schwerer werdenden Krone ab. »Ich gestehe es ungern, aber wenn euch nichts Besseres einfällt als mir«, seine Augen wanderten zu Balendilín, »kann ich nur Vraccas um Gnade und Nachsicht bitten und euch den Befehl erteilen, dass ein jeder Stamm ins Jenseitige Land geht.«