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Die Schrift hatte eine andere Entwicklung genommen. Keine zwei Nationen bedienten sich der gleichen Schrift, und oft war sie schon von einer Stadt zu ihrer Nachbarstadt so verschieden, daß der eine Bürger die Schrift der anderen Stadt nicht zu lesen vermochte. Nach sehr langer Zeit gelang es mir dann doch, wenigstens das erste Wort zu entziffern. Es hieß ›Mut‹ und war geschrieben in der Schrift von Marentina.

Mut! Das war das Wort, das mir der Gelbe Wächter ins Ohr geflüstert hatte, als ich am Rand der Grube stand.

Also mußte die Botschaft von ihm sein, und ich wußte ja auch, daß er mein Freund war.

Voll neuer Hoffnung machte ich mich daran, auch die restlichen Schriftzeichen zu entziffern, und das gelang mir schließlich auch. Vier Worte waren es:

»Mut! Folge dem Seil.«

12. Folge dem Seil!

Was konnte das bedeuten?

Welchem Seil sollte ich folgen?

Ach ja, da war doch die Schnur, mit der das Päckchen heruntergelassen worden war! Ich tappte ein wenig herum und fand sie. Sie hing von oben herunter, und als ich daran zog, entdeckte ich, daß sie irgendwo oben festgemacht war, vielleicht am Rand der Grube. Ich probierte ein wenig herum und fand, daß die Schnur zwar dünn aber ungeheuer kräftig war und leicht das Gewicht einiger Männer aushaken konnte. Dann machte ich noch eine Entdeckung. Etwa in Kopfhöhe war eine zweite Mitteilung angeknotet, und die konnte ich nun viel schneller entziffern.

»Bring das Seil mit. Jenseits der Knoten liegt Gefahr.«

Das war alles und offensichtlich sehr eilig formuliert und ein nachträglicher Einfall.

Ich hielt mich nicht damit auf, darüber nachzudenken, und obwohl ich den Sinn des Satzes nicht begriff, ›jenseits der Knoten liegt Gefahr‹, wußte ich doch, daß das hier ein Fluchtweg war, und je eher ich von dieser Möglichkeit Gebrauch machte, desto wahrscheinlicher war es, daß ich damit die Freiheit gewinnen konnte.

Eines war sicher: Schlimmer konnte es mir nirgends ergehen als in der Grube des Überflusses.

Es dauerte jedoch nicht lange, da fand ich heraus, daß ich noch viel übler dran gewesen wäre, hätte ich zwei Minuten länger in der Grube ausharren müssen.

Ich brauchte natürlich in meinem immerhin geschwächten Zustand eine gewisse Zeit, bis ich den Rand der Grube erreichen konnte. Ich hatte etwa zwanzig Meter zurückgelegt, als ich von oben einen Lärm vernahm. Zu meinem Kummer sah ich, daß der Deckel der Grube hoch oben abgenommen wurde, und im hellen Licht des Hofes bemerkte ich eine ganze Anzahl Gelber Krieger.

War es möglich, daß ich in eine Falle gelockt wurde? Waren die Mitteilungen gefälscht oder eine Böswilligkeit?

Gerade als meine Hoffnung und mein Mut auf ihrem allertiefsten Stand angekommen waren, sah ich zweierlei:

Das eine war der Körper eines riesigen, um sich schlagenden und knurrenden Apt, der an der Grubenwand zu mir heruntergelassen wurde, und das andere war eine Öffnung in der Wand des Schachtes, eine Öffnung, in welche das Seil führte und die größer war als eines Mannes Körper.

Gerade als ich in das dunkle Loch verschwand, kam der Apt an mir vorbei und versuchte mich mit seinen mächtigen Händen festzuhalten; er schnappte, knurrte und brüllte auf die erschreckendste Art. Jetzt wußte ich, welche schauerliche Todesart mir Salensus Oll zugedacht hatte. Erst quälte er mich mit Hunger und Durst bis zur Erschöpfung, und dann veranlaßte er, daß dieses furchtbare Tier in mein Gefängnis gelassen wurde – wahrlich eine höllische Fantasie, die der Jeddak hier entwickelte.

Und dann schoß ein weiterer Gedanke wie ein Blitz durch meinen Kopf. Neun Tage hatte ich wohl in der Grube gesessen – neun Tage von den zehn, die vergehen mußten, ehe Salensus Oll meine Dejah Thoris zu seiner Königin machen konnte. Der Apt soll also vor dem zehnten Tag für meinen sicheren Tod sorgen.

Am liebsten hätte ich nun schallend gelacht über die groteske Logik von Salensus’ Tat. Er wollte absolut sicher sein, daß das von ihm angestrebte Ende auch wirklich eintrat, und wenn sie den Apt allein in der Grube fanden, mußten sie annehmen, daß er seine Pflicht getan und mich restlos aufgefressen hatte. Kein Verdacht, ich könnte doch noch entkommen sein, würde dann eine Suche nach mir auslösen. Ich wickelte das Seil auf, das mich auf dieser seltsamen Reise geleitet hatte, und suchte nach dem anderen Ende, fand es aber nicht. Nun war mir der Satz klar: ›Folge dem Seil‹.

Der Tunnel, durch den ich kroch, war eng und dunkel. Ich hatte einige hundert Meter zurückzulegen, als ich plötzlich einen Knoten unter meinen Fingern spürte. ›Jenseits der Knoten liegt Gefahr‹, so hatte der zweite Satz geheißen.

So vorsichtig wie überhaupt möglich kroch ich weiter und kam an eine scharfe Biegung im Tunnel, nach der ich durch eine enge Öffnung in einen großen, strahlend hell erleuchteten Raum kam. Der Tunnel war ständig leicht angestiegen, und daher nahm ich an, daß der Raum, in dem ich nun stand, entweder im Erdgeschoß des Palastes oder unmittelbar darunter liegen mußte.

An der Wand, die der Tunnelöffnung gegenüberlag, waren viele seltsame Instrumente und Geräte aufgestellt, und im Mittelpunkt des Raumes stand ein großer Tisch, an dem zwei Männer saßen, die sich ernsthaft miteinander unterhielten.

Der eine, der sein Gesicht mir zugewandt hatte, war ein Gelber Mann, ein alter, kleiner, ziemlich vertrockneter Herr mit großen Augen in einem sehr blassen Gesicht, und an ihm fiel mir besonders auf, daß der Augapfel um die ganze Iris herum gut zu sehen war. Sein Gefährte war ein Schwarzer, und niemand brauchte mir zu sagen, daß es nur Thurid sein konnte, denn jenseits der Eisbarriere gab es außer ihm keinen Erstgeborenen.

Thurid sprach, als ich so nahe war, daß ich die Stimmen der beiden Männer hören konnte.

»Solan, hier gibt es überhaupt kein Risiko, und die Belohnung ist sehr hoch. Du weißt selbst, wie sehr du Salensus Oll hassest und daß nichts dir größeres Vergnügen bereiten würde, als wenn du seinen Lieblingsplan durchkreuzen könntest, mit dem er mehr als nur spielt. Jetzt ist sein Lieblingsplan der, die schöne Prinzessin von Helium zu heiraten, aber auch ich will sie haben, und mit deiner Hilfe könnte ich sie gewinnen.

Dazu brauchst du nichts anderes zu tun, als nur einen Augenblick aus diesem Raum hinauszugehen, sobald ich dir ein Zeichen dazu gebe. Den Rest werde dann schon ich besorgen. Wenn ich gegangen bin, kommst du wieder herein und legst den großen Schalter wieder um, wie er vorher war, dann ist alles wieder so, wie es war, und keiner bemerkt etwas. Ich brauche eine Stunde Vorsprung, um vor dieser höllischen Macht sicher zu sein, die du hier in dieser versteckten Kammer unter dem Palast deines Herrn kontrollierst. Siehst du, wie leicht das ist«, schloß er, stand auf, querte den Raum und legte seine Hand auf einen großen glänzenden Schalthebel, der aus der Wand gegenüber herausragte, »Nein, nein!« schrie der alte kleine Mann, lief ihm nach und war schrecklich aufgeregt. »Nicht den! Nein, den nicht! Das ist doch der für den Sonnenstrahlentank, und wenn du ihn allzu weit nach unten drückst, verbrennt ganz Kadabra, ehe ich ihn wieder an die richtige Stelle rücken könnte. Geh weg! Du weißt nicht, mit welchen Kräften du spielst. Das hier ist der Hebel, den du suchst. Du mußt dir genau das Symbol merken, das hier in Weiß auf der schwarzen Oberfläche eingelegt ist.«

Thurid näherte sich dem bezeichneten Hebel und musterte ihn.

»Ah, ein Magnet«, stellte er fest. »Ich werde mir’s merken. Wir sind uns also einig, nicht wahr?«