Als Salensus Oll sie sah, stand er auf und zog sein Schwert. Die Schwerter der fünfzig Edelleute flogen aus den Scheiden und formten einen Bogen, unter dem die arme, schöne Dejah Thoris in ihr Verhängnis gezerrt wurde.
Ein grimmiges Lächeln umspielte meine Lippen, als ich an das rauhe Erwachen dachte, das dem Herrscher von Okar bevorstand, und es juckten mir die Finger, die um den Knauf meines Schwertes lagen. Die Prozession bewegte sich langsam dem Thron entgegen. Sie bestand nur aus ein paar Priestern, die Dejah Thoris und den beiden Leibwächtern folgten. Ich bemerkte auch flüchtig ein schwarzes Gesicht, das zwischen den Portieren durchspähte, welche die Wand hinter der Estrade schmückten, auf der Salensus Oll seine Braut erwartete.
Die Leibwächter zerrten nun die Prinzessin von Helium die wenigen Stufen zur Estrade hinauf und hielten sie neben dem Tyrannen von Okar fest. Ich sah natürlich nur noch meine geliebte Dejah Thoris und sonst nichts mehr. Ein Priester öffnete ein Buch, hob eine Hand und begann den Singsang eines Rituals. Salensus Oll griff nach der Hand seiner Braut.
Ich hatte erst beabsichtigt, solange zu warten, bis mir die Umstände ein erfolgreiches Eingreifen ermöglichten, denn auch dann, wenn die Zeremonie vollendet wurde, hatte sie keine Gültigkeit, solange ich lebte. Was mir am meisten am Herzen lag, war selbstverständlich Dejah Thoris’ Rettung, und ich wollte sie, falls irgendwie möglich, aus dem Palast von Salensus Oll wegbringen. Im Grund war es unwichtig, ob dies vor oder nach der ja doch ungültigen Zeremonie geschah. Als ich jedoch sah, daß Salensus Oll seine lasterhafte Hand nach meiner geliebten Prinzessin ausstreckte, konnte ich mich nicht mehr zurückhalten. Ehe die Edlen von Okar auch nur ahnten, was geschah, sprang ich schon mit einem großen Satz auf die Estrade vor Dejah Thoris und Salensus Oll.
Mit dem flachen Schwert schlug ich seine brutale Hand weg, packte Dejah Thoris um die Taille und schwang sie hinter mich. Ich stand nun mit dem Rücken zu den Portieren der Estrade und hatte vor mir den Tyrannen des Nordens und seine edlen Krieger.
Der Jeddak der Jeddaks war ein Berg von einem Mann, ein häßlicher, dicker, brutaler Kerl, und er stand wie ein Turm vor mir. Sein schwarzer Schnurrbart sträubte sich vor Wut, und ich kann mir recht gut vorstellen, daß ein weniger erfahrener Krieger als ich vor ihm zitterte.
Knurrend sprang er mir mit dem gezogenen Schwert entgegen, aber ich konnte nie herauskriegen, ob Salensus Oll ein tüchtiger Schwertkämpfer war oder nicht, denn mit Dejah Thoris hinter meinem Rücken war ich kein Mensch mehr, sondern ein Supermensch, und da hätte mir keiner mehr widerstehen können.
»Für die Prinzessin von Helium!« rief ich und stieß meine Klinge kraftvoll durch das verrottete Herz von Okars verrottetem Herrscher, und vor den Augen seiner erblaßten Edlen rollte Salensus Oll, im Tod schauerlich grinsend, die Stufen hinunter, die von seinem Hochzeitsthron auf der Estrade in den Saal führten.
Gespanntes Schweigen herrschte im Hochzeitsraum. Dann drangen die fünfzig Edelleute auf mich ein. Es war ein furioser Kampf, aber der Vorteil war auf meiner Seite. Ich stand ja oben auf der Estrade und focht für die großartigste Frau aus einer glorreichen Rasse, und ich kämpfte um eine große Liebe und die Mutter meines Sohnes. Hinter meiner Schulter vernahm ich die silberne Stimme meiner Liebsten; sie sang die ruhmreiche Hymne von Helium, welche die Frauen singen, wenn ihre Männer ausziehen, um zu siegen. Das allein genügte, um meinen Siegeswillen anzufeuern, und wäre die Übermacht der anderen noch größer gewesen, als sie schon war! Ich bin ganz ehrlich davon überzeugt, daß ich diesen ganzen Hochzeitsraum voll Gelber Krieger an jenem Tag ganz allein besiegt und erledigt hätte, wäre nicht etwas für mich Hilfreiches geschehen. Immer wieder sprang einer der Edlen aus Salensus Olls Gefolge die Stufen zur Estrade hinauf, und der Kampf war heftig und erbittert. Aber immer fiel er wieder zurück, getroffen von einem Schwert, das seit dem Duell mit Solan Zauberkräfte zu haben schien. Zwei drängten sich so nahe an mich heran, daß ich mich kaum zu rühren vermochte. Da hörte ich eine Bewegung hinter mir, und nun bemerkte ich auch, daß die Hymne von Helium nicht mehr gesungen wurde. Machte sich Dejah Thoris bereit, neben mir zu kämpfen? Heroische Tochter einer heroischen Welt! Es sähe ihr tatsächlich ähnlich, wenn sie ein Schwert nahm und an meiner Seite kämpfte. Wenn auch die Frauen vom Mars nicht in den Kriegskünsten unterwiesen und geschult werden, so ist ihnen der Kampfgeist doch angeboren, und man weiß von zahllosen Gelegenheiten, bei denen Frauen unerschrocken neben ihren Männern gekämpft haben.
Sie kam jedoch nicht, und ich war froh darüber, denn ich hätte sie ja beschützen und gleichzeitig gegen eine Übermacht fechten müssen. Es wäre mir ja doch nichts anderes übrig geblieben, als sie aus der Kampfzone zurückzuschicken. Ich dachte, sie plante wohl etwas ganz besonders Schlagkräftiges und kämpfte also weiter in dem sicheren Bewußtsein, daß meine geliebte Prinzessin hinter mir stand. Mindestens eine halbe Stunde muß ich so gekämpft haben, und noch immer war es keinem gelungen, auch nur einen Fuß auf die Estrade zu setzen, auf der ich stand. Aber dann formten sich die Männer unter mir zu einer letzten, verzweifelten Attacke. Als sie jedoch begannen, auf mich einzudringen, wurde die Tür am anderen Ende aufgerissen, und ein vor Schreck verstörter Bote rannte herein.
»Der Jeddak der Jeddaks!«schrie er. »Wo ist der Jeddak der Jeddaks? Die Stadt ist gefallen unter dem Ansturm der Horden von jenseits der Barriere, und jetzt ist auch das große Palasttor gestürmt worden, so daß die Krieger des Südens in die geheiligten Räume eindringen. Wo ist Salensus Oll? Er allein kann den schwindenden Mut unserer Krieger wieder anfeuern. Er allein kann uns und Okar retten. Wo ist Salensus Oll?«
Die Edlen traten von der Leiche ihres Herrschers zurück, und einer von ihnen deutete auf das im Tod noch grinsende Gesicht. Der Bote taumelte vor Entsetzen zurück, als habe ihm jemand einen Schlag ins Gesicht versetzt.
»Dann flieht, Edle von Okar!« rief er. »Denn nichts kann euch mehr retten! Ha! Sie kommen!«
Während er noch sprach, vernahmen wir schon das tiefe Röhren vieler zorniger Stimmen auf dem Korridor, dann das Klirren von Metall und von Schwertern.
Ohne mich, den Zuschauer dieses traurigen Schauspiels, noch einmal anzuschauen, wirbelten die Edlen herum und flohen durch einen anderen Ausgang.
Fast im selben Moment erschien eine Truppe Gelber Krieger aus dem Korridor, durch den der Bote gekommen war. Sie zogen sich kämpfend in das Hochzeitsgemach zurück und leisteten einer Handvoll Roter Krieger erbitterten Widerstand, die sie langsam aber unaufhaltsam weitertrieben.
Von meinem erhöhten Platz auf der Estrade hatte ich einen recht guten Überblick. Sofort erkannte ich meinen alten Freund Kantos Kan. Er führte den kleinen Trupp an, der sich bis ins Herz des Palastes von Salensus Oll durchgekämpft hatte.
Sofort wurde ich mir darüber klar, daß ich jetzt die Okarianer nur von hinten anzugreifen brauchte, um sie völlig zu verwirren, so daß sie ihren Widerstand recht schnell aufgeben müßten. Mit diesem Gedanken sprang ich von der Estrade herunter, warf ein Wort der Erklärung für Dejah Thoris über die Schulter, schaute mich aber nicht um.
Für sie, die nun allein neben dem Thron stand, gab es keine Gefahr mehr, denn zwischen ihr und dem Feind stand ich, und Kantos Kan gewann mit seinem Häuflein Getreuer schnell an Boden.
Ich wollte, daß mich die Männer von Helium sahen und daß sie auch wußten, daß die Prinzessin Dejah Thoris hier war. Ich wußte ja, daß diese Gewißheit sie zu den unwahrscheinlichsten Taten anfeuern würde, obwohl es schon unwahrscheinlich genug war, daß diese paar Leute in das Herz des uneinnehmbaren Palastes des Tyrannen des Nordens vorgedrungen waren.
Ich querte den Raum, um die Kadabraner von rückwärts anzugreifen. Da ging links von mir eine Tür auf, und unter ihr erschienen Matai Shang, der Vater der Therns und Phaidor, seine Tochter, die in das Hochzeitsgemach hereinspähten.