Nun sollte mir also das Seil entgleiten, und damit schwand dann meine letzte Möglichkeit, meine geliebte Prinzessin zu erreichen und zu retten. Ich litt in diesen Sekunden Höllenqualen.
Aber da spürten meine Finger einen Seilknoten, und ich rutschte nicht mehr weiter.
Mit einem Gebet der Dankbarkeit auf den Lippen kletterte ich nach oben, dem Deck entgegen. Thurid und Matai Shang konnte ich im Augenblick nicht sehen, doch ich hörte, wie sie erbittert kämpften der Thern um sein Leben, der Schwarze um den geringen Auftrieb, den ihm ein Körper Ballast weniger garantierte.
Starb Matai Shang, bevor ich das Deck erreichte, dann standen meine weiteren Chancen nicht besonders gut, denn der schwarze Prinz brauchte ja nur das Seil abzuschneiden, um sich für immer von mir zu befreien. Das Schiffchen trieb nämlich jetzt über eine tiefe, weite Schlucht, in dessen gähnende Tiefen mein Körper stürzen würde, und diesen Sturz konnte ich mit Sicherheit nicht überleben. Schließlich schloß sich meine Hand doch um das Schiffsgeländer, und in diesem Augenblick gellte unter mir ein so schrecklicher Schrei, daß mir fast das Blut in den Adern gefror. Ich schaute nach unten und sah ein kreischendes, zappelndes Ding in den Abgrund stürzen. Es war Matai Shang, Heiliger Hekator, Vater der Therns, der seiner letzten und endgültigen Abrechnung entgegensah.
Nun schob ich meinen Kopf über das Decksgeländer und sah Thurid mit dem Dolch in der Hand heranstürzen. Er kam von gegenüber dem vorderen Kabinenende, während ich in unmittelbarer Hecknähe auf das Schiffchen kletterte. Es lagen aber nur wenige Schritte zwischen uns. Keine Macht der Welten konnten mich auf das Deck hinaufheben, ehe der wütende Schwarze heran war.
Mein Ende war also gekommen, und ich wußte es. Hätte ich noch daran gezweifelt, dann wäre das scheußliche, hämische Grinsen in diesem irren, boshaften Gesicht überzeugend genug gewesen. Hinter Thurid erblickte ich meine Dejah Thoris, die uns mit entsetzten, riesigen Augen beobachtete und verzweifelt an ihren Fesseln zerrte. Nun verlangte ein grausames Schicksal auch noch, daß sie Zeuge meines schrecklichen Todes wurde.
Ich versuchte nicht länger auf Deck zu klettern, sondern griff fester um das Decksgeländer und zog mit der anderen Hand meinen Dolch. Wenn ich schon sterben mußte, dann wollte ich es so tun, wie ich gelebt hatte – kämpfend.
Als Thurid gegenüber der Kabinentür stand, kam ein neues Element in diese grauenhafte Tragödie, die sich auf dem Deck von Matai Shangs flugunfähigem Schiffchen abspielte.
Es war Phaidor.
Ihr Haar war zerrauft, ihr Gesicht gerötet, und ihre Augen sahen verweint aus. Zu Tränen hatte sich die stolze Göttin bisher noch nie herabgelassen. Jetzt tat sie einen Sprung auf mich zu. In der Hand hatte sie einen langen, dünnen Dolch. Ich warf meiner Prinzessin einen letzten, lächelnden Blick zu, denn ich wollte wie ein Mann sterben. Dann wandte ich mich zu Phaidor um. Ich wartete auf den tödlichen Stoß.
Nie hatte ich dieses schöne Gesicht schöner gesehen als jetzt. Noch nie hatte ich es richtig zu glauben vermocht, daß in einem so schönen Leib eine so verdorbene, grausame Seele wohnte. Aber jetzt las ich etwas ganz anderes, etwas Neues in ihren Augen, eine ungewohnte Sanftheit, eine Pein, die mir ans Herz griff.
Nun stand Thurid neben mir und schob sie weg, um zu mir gelangen zu können. Was dann geschah, spielte sich so blitzschnell ab, daß alles schon vorüber war, ehe ich die Wahrheit auch nur ahnte. Phaidors schlanke Hand schoß vor und griff nach der Dolchhand des Schwarzen. Ihre rechte Hand mit dem schimmernden Dolch zuckte nach oben.
»Das ist für Matai Shang!« schrie sie und stieß dem schwarzen Dator die Klinge tief ins Herz. »Das ist für alles Böse, das du Dejah Thoris angetan hast!«
Und wieder stieß sie mit dem Dolch zu.
»Und das, und das und das!« kreischte sie. »Das für John Carter, Prinz von Helium!« Mit jedem Wort stach der spitze Dolch von neuem in das böse Herz des großen Schurken. Und dann versetzte sie der Leiche des Erstgeborenen einen Stoß, so daß er dem Körper seines Opfers folgte.
Ich war wie gelähmt vor staunendem Entsetzen, und deshalb hatte ich während dieser schauerlichen Szene keinen Versuch gemacht, auf Deck zu gelangen. Ihre nächste Handlung überraschte mich noch mehr, denn Phaidor streckte mir ihre Hand entgegen und half mir auf das Deck hinauf, wo ich nun in meiner Verblüffung dastand und sie nur verständnislos anstarrte.
Die Andeutung eines Lächelns umspielte ihre Lippen. Es war nicht das frühere grausame oder höhnische Lächeln einer hochmütigen Göttin, als die ich sie kannte.
»Du wunderst dich, John Carter, über die seltsame Verwandlung, die in mir vorgegangen ist?« fragte sie. »Ich werde sie dir erklären. Es ist die Liebe zu dir.« Ich runzelte bei diesen Worten die Brauen, doch sie hob eine abwehrende, beschwörende Hand.
»Warte. Es ist eine andere Liebe als die meine, die deiner Prinzessin Dejah Thoris, denn die hat mich gelehrt, was wahre Liebe ist, was sie sein soll und wie anders sie ist als die selbstsüchtige, eifersüchtige Leidenschaft, die ich für dich empfunden habe.
Ich bin nun anders geworden. Ich glaube, jetzt könnte ich so lieben, wie Dejah Thoris dich liebt, aber nun besteht mein ganzes Glück in der Erkenntnis, wie sehr ihr einander verbunden seid, denn nur bei ihr kannst du wahres Glück finden.
Aber ich bin sehr unglücklich darüber, daß ich in meiner sinnlosen Leidenschaft soviel Unheil gestiftet habe. Viele Sünden habe ich abzubüßen, und wenn ich auch unsterblich bin, so ist auch ein ewiges Leben zu kurz für eine Sühne.
Doch es gibt noch eine andere Möglichkeit. Wenn Phaidor, die Tochter des Heiligen Hekator der Heiligen Therns so sehr gesündigt hat, dann hat sie aber auch schon versucht, wenigstens etwas wieder gut zu machen. Wenn du jetzt noch an ihrer Aufrichtigkeit zweifeln solltest, dann wird sie diese auf die einzige Art beweisen, die ihr noch möglich ist – sie hat dich für Dejah Thoris gerettet und wird dich nun ihrer Umarmung überlassen.«
Damit wandte sie sich ab und stürzte sich über die Reling in den Abgrund.
Mit einem Schrei des Entsetzens stürzte ich auf sie zu, um sie zurückzuhalten, um dieses Leben zu retten, das ich zwei Jahre lang am liebsten ausgelöscht hätte. Ich kam zu spät.
Ich hatte Tränen in den Augen, als ich mich umwandte, um nicht in den schauerlichen Abgrund sehen zu müssen.
Einen Augenblick später hatte ich Dejah Thoris die Fesseln abgenommen. Sie legte mir ihre liebevollen Arme um den Hals und drückte ihren zauberhaften Mund auf meine Lippen, um mich den erlebten Schrecken vergessen zu machen und alles Leid, das ich erduldet hatte, bis ich den Lohn dafür in meinen Armen halten durfte.
16. Der neue Herrscher
Der Flieger, auf dem ich mich nach zwölf unendlich langen Jahren der Trennung mit Dejah Thoris befand, erwies sich als völlig unbrauchbar. Die Treibstofftanks waren so undicht, daß die Maschine nicht mehr ansprang. Wir schwebten also manövrierunfähig über dem arktischen Eis.
Das Schiffchen war inzwischen über den Abgrund hinweg getrieben, der Matai Shang, Thurid und Phaidor verschlungen hatte und hing nun über einem niederen Hügel. Ich öffnete die Tankventile, so daß es langsam sinken konnte, und als es aufsetzte, verließ ich mit Dejah Thoris das Deck. Hand in Hand machten wir uns auf den Weg zurück zur Stadt Kadabra.
Sie berichtete mir von jenem entsetzlichen Moment, ehe sich die Tür ihres Gefängnisses im Sonnentempel langsam zwischen uns schob. Phaidor hatte sie mit erhobenem Dolch angesprungen, und Thuvia hatte vor Angst geschrien, als sie Phaidors Absicht erkannte. Dieser Schrei hatte mir die ganze Zeit in den Ohren geklungen, denn er überließ mich grausamen Zweifeln um das Schicksal meiner geliebten Prinzessin. Ich hatte ja nicht mehr gesehen, daß Thuvia der Tochter Matai Shangs den Dolch entwand, ehe er Dejah Thoris oder sie selbst auch nur ritzen konnte.