Sie erzählte mir auch von der schrecklichen Unendlichkeit ihrer Gefangenschaft, von dem grausamen Haß Phaidors und der zärtlichen Zuneigung Thuvias, und wie selbst in den dunkelsten Stunden der Verzweiflung die beiden Roten Mädchen zusammengehalten hatten, wie sich eine an der anderen aufrichtete, wie sich beide an die Hoffnung klammerten, John Carter werde sicher einen Weg finden, sie zu befreien.
Nach dem weiten Marsch durch die Eiswüste kamen wir in den Palast zurück und erreichten den Raum, in dem Solan gelebt hatte und gestorben war. Ich verhielt mich nicht besonders vorsichtig, da ich es für ganz selbstverständlich hielt, daß der Palast fest in den Händen meiner Freunde sei.
Deshalb platzte ich auch in den Raum, in dem sich etwa ein Dutzend Edelleute vom Hof des toten Salensus Oll befand. Sie kamen aus dem Palastinnern und wollten ihren Weg zur Außenwelt fortsetzen. Sie blieben erstaunt stehen, als sie uns sahen, und dann flog ein hinterhältiges Lächeln über das Gesicht des Anführers.
»Ha! Da ist ja die Ursache unseres ganzen Unglücks!« rief er und deutete auf mich. »Nun werden wir wenigstens teilweise Rache nehmen können, denn wenn wir gehen, lassen wir die verstümmelten Leichen des Prinzen und der Prinzessin von Helium zurück. Und wenn die anderen sie finden, dann werden sie erkennen, daß die Rache der Gelben Männer an ihren Feinden schauerlich ist. Bereite dich auf den Tod vor, John Carter, denn dein Ende wird bitter sein. Vielleicht lasse ich mich erweichen, deiner Prinzessin gnädiger zu sein – ich werde mir überlegen, ob ich sie meinen Offizieren nicht als Spielzeug überlassen soll.«
Ich stand vor der Instrumentenwand, Dejah Thoris an meiner Seite. Sie sah zu mir empor, als die Krieger mit gezogenen Schwertern näher kamen. Das meine hing noch immer in seiner Scheide an meiner Seite, und ich lächelte nur.
Die Gelben schauten mich erstaunt an, denn sie fürchteten, da ich mich offensichtlich nicht gegen sie zu wehren gedachte, eine List. Ihr Anführer trieb sie jedoch weiter. Als sie etwa in Reichweite meines Schwertes waren, legte ich meine Hand auf einen großen polierten Hebel, lächelte noch immer und sah meine Feinde voll an. Wie ein Mann blieben sie alle vor mir stehen und warfen einander verwirrte Blicke zu.
»Halt!« schrie ihr Anführer. »Du scheinst nicht zu wissen, was du tust!«
»Ich weiß es sehr genau, und ein John Carter stößt keine leeren Drohungen aus«, erwiderte ich. »Er weiß genau, was er tut. Noch einen Schritt wenn ihr euch Dejah Thoris, Prinzessin von Helium nähert, dann werde ich diesen Hebel herunterdrücken, und sie und ich werden zusammen sterben – aber nicht allein.«
Die Edlen wichen entsetzt zurück und flüsterten erregt miteinander. Dann wandte sich der Anführer an mich.
»Geh deiner Wege, John Carter«, sagte er. »Wir gehen die unseren.«
»Gefangene gehen nicht, wohin sie wollen«, erwiderte ich. »Und ihr seid Gefangene – die des Prinzen von Helium.«
Ehe sie darauf noch antworten konnten, ging eine Tür auf, und ein ganzer Trupp Gelber stürmte in den Raum. Die Edlen atmeten schon erleichtert auf, aber dann erkannte ihr Anführer den der Neuankömmlinge. Es war nämlich Talu, der Rebellenprinz von Marentina, und sie wußten, daß sie keine Gnade von ihm zu erwarten hatten. Mit einem Blick erfaßte Talu die Situation und lächelte.
»Das hast du gut gemacht, John Carter!« rief er. »Du wendest ihre eigene große Macht gegen sie. Es ist ein großes Glück für Okar, daß du hier warst, um ihre Flucht zu vereiteln, denn das sind die größten Schurken nördlich der Eisbarriere, und dieser da« – er deutete auf den Anführer – »hätte sich zum Jeddak der Jeddaks machen wollen, um den Thron des toten Salensus Oll einzunehmen. Dann hätten wir einen noch gemeineren, grausameren Tyrannen als Herrscher gehabt, als der verhaßte Tyrann es war, der von deinem Schwert fiel.«
Den Edelleuten von Okar blieb nichts anderes übrig, als sich zu ergeben, denn Widerstand hätte sowieso den sicheren Tod für sie bedeutet. Begleitet von Talus Kriegern begaben wir uns in den großen Audienzsaal, in dem sich zahlreiche Krieger versammelt hatten. Rote Männer von Helium und Ptarth, Gelbe aus dem Norden und Schwarze der Erstgeborenen, die unter meinem Freund Xodar bei der Suche nach meiner Prinzessin und mir geholfen hatten, rieben ihre Ellbogen aneinander. Auch wilde Grüne waren da von den Gründen der toten Seen im Süden und sogar etliche weißhäutige Therns, die ihrer Religion abgeschworen und Xodar Treue gelobt hatten.
Tardos Mors und Mors Kajak waren anwesend und ein großer, mächtiger Krieger, der mit prächtigen Waffengurten geschmückt war – Carthoris, mein Sohn. Diese drei fielen, als wir eintraten, über Dejah Thoris her, und obwohl königliche Familien auf dem Mars jede vulgäre Zurschaustellung von Gefühlen vermeiden, so glaubte ich, die drei Männer würden meine Dejah Thoris mit ihren Umarmungen erdrücken.
Und selbstverständlich war Tars Tarkas da, Jeddak von Thark, und auch Kantos Kan, meinen alten Freund sah ich. Mein treuer, alter Wula war ganz irr vor Freude und zerrte in seiner überströmenden Liebe an meinem Harnisch.
Lang und laut war das Jubelgeschrei, das sie bei unserem Anblick anstimmten, und in das Jubelgeschrei mischte sich das Klirren der Schwerter, die zu einem Triumphbogen für uns wurden, als wir an den salutierenden Edlen und Kriegern, an den Jeds und Jeddaks vorbeigingen.
Trotz allen Glückes war mir das Herz noch immer ein bißchen schwer, weil ich zwei geliebte Gesichter vermißte – das von Thuvan Dihn und Thuvia von Ptarth, denn sie befanden sich nicht im großen Audienzsaal.
Ich fragte bei allen Nationen nach ihnen, und schließlich erfuhr ich von einem Gelben Kriegsgefangenen, daß sie, während ich dort lag, die Grube des Überflusses zu erreichen versucht hatten und von einem Offizier der Palastwache dabei ertappt wurden.
Selbstverständlich wußte ich, weshalb sie diesen Versuch unternommen hatten, der mutige Jeddak und seine treue Tochter. Nun lagen die beiden, so sagte mir mein Gewährsmann, in einem der tiefen Kerker des Palastes, wohin man sie geworfen hatte, bis der Tyrann des Nordens über ihr Schicksal entschied.
Im nächsten Moment waren schon Suchtrupps ausgeschickt, und wenig später war mein Glück vollkommen, denn eine jubelnde Ehrengarde führte sie in den Saal.
Thuvia lief sofort auf Dejah Thoris zu. Es gab keinen besseren Beweis für die herzliche Liebe, welche die beiden verband, als die aufrichtige Freude, mit der sie ihr Wiedersehen feierten.
Und über all dieser Herzlichkeit und dieser Freude stand düster und leer der Thron von Okar.
Dieser Thron hatte seit undenklichen Zeiten wahrscheinlich sehr viele Jeddaks der Jeddaks gesehen, aber keiner von ihnen konnte sich mit dem vergleichen, auf den ich nun herunterschaute, als ich über die Vergangenheit und Zukunft der lange nur für eine Legende gehaltenen Rasse der Gelben nachdachte. Da standen sie nun vor mir, diese schwarzbärtigen Männer, die nun einer helleren, nützlicheren Zukunft im Kreis freundlicher Nationen entgegengingen. Es war eine große Familie, die sich vom Süd- bis zum Nordpol ausbreitete. Vor zweiundzwanzig Jahren wurde ich vom Schicksal nackt und fremd in eine wilde, fremde Welt geworfen. Damals hatten alle Rassen und Nationen einander bekriegt. Heute standen Rote und Weiße, Schwarze, Grüne und Gelbe einträchtig und in freundschaftlichem Gespräch beisammen, und das hatte mein Schwert und die Loyalität meiner Freunde zuwege gebracht.
Natürlich waren die Nationen von Barsoom noch nicht völlig geeint, aber die ersten Schritte diesem Ziel entgegen waren schon getan. Wenn jetzt noch die Gelben, diese leidenschaftliche, kriegerische Rasse, in die Gemeinschaft der anderen Nationen einbetoniert wurde, dann war eigentlich mein Lebenswerk vollendet, und ich hatte dem Mars wenigstens einen Teil meiner Dankesschuld dafür abgetragen, daß er mir meine Dejah Thoris geschenkt hatte.