»Ach, tatsächlich?« murmelte der Mann und sah Fayan verstimmt an. »Würdet ihr drei, hm, Jäger, daran interessiert sein, an unserem Wettbewerb teilzunehmen? Der Preis für den besten Wurf ist eine volle Börse. Bisher liegt der beste Wurf bei mir.«
Meine Kriegerinnen sahen mich an. Der Sinn des Wettbewerbs war mir klar, nur wußte ich nicht, was eine »volle Börse« war. Ich dachte kurz nach, dann sagte ich: »Warum sollten wir uns weigern? Aber wir haben unsere Speere nicht mitgebracht.«
»Speere werden gestellt«, entgegnete der Mann. »Kommt auf das Feld.«
Wir überstiegen eine gespannte Leine und folgten ihm zu dem Platz mit den bunten Tüchern. Dort standen drei Männer, älter als die anderen, die uns mißfällig anblickten. Einer von ihnen sagte: »Was soll der Unsinn, Nidisar? Warum schleppst du diese Freudenweiber zu unserem Wettbewerb?« »Das sind keine Freudenweiber, Schiedsrichter«, entgegnete der so Angesprochene lachend. »Das sind berühmte Jägerinnen, die wenig von unseren Fertigkeiten halten. Ich habe sie deshalb eingeladen, an unserem Wettbewerb teilzunehmen, und sie haben die Freundlichkeit besessen, einzuwilligen.« »Nun gut«, sagte derjenige, den man Schiedsrichter genannt hatte. »Unser Wettbewerb ist offen für alle Krieger und Jäger. Mögen sie ihr Glück versuchen.«
Als wir uns an den Tüchern aufstellten, grinsten alle Männer. Nidisar deutete auf die Zielscheibe, die sich in kurzer Entfernung vor uns befand. »Seht ihr dort den schwarzen Strich im Mittelpunkt der Scheibe?« sagte er. »Das ist mein Wurf, den ihr erreichen müßt.«
Wir sahen uns den Strich an und nickten, dann bekamen wir Speere ausgehändigt. Sie hatten etwa die Länge unserer eigenen Speere, verfügten aber über einen etwas dünneren Schaft, was sie angenehm leicht machte.
»Diese Linie darf nicht überschritten werden«, erklärte Nidisar, auf die Tücher zeigend. »Wer von euch wirft zuerst?« »Erst Larid, und dann Fayan«, sagte ich. »Ich komme als letzte.« »Wie du willst«, sagte Nidisar grinsend, und trat beiseite.»Zumindestens wird es ein Genuß sein, euch beim Werfen zuzusehen.«
Larid trat zurück, riß den Arm hoch, lief drei kleine, schnelle Schritte, dann warf sie. Leider hatte sie ihr Ziel leicht verfehlt. Der Speer landete eine Winzigkeit links neben dem Strich. Ein Gemurmel erhob sich unter den zuschauenden Männern. Larid errötete vor Scham, daß sie so schlecht geworfen hatte. Nidisar sah den noch immer wippenden Speer betroffen an. »Jetzt bin ich an der Reihe«, sagte Fayan. »Man muß das geringere Gewicht des Speers in Betracht ziehen.« Doch auch ihr Wurf traf nicht genau das Ziel, sondern verfehlte es um zwei Fingerbreiten. Wieder erhob sich ein Gemurmel unter den Männern. Nidisar sah meine Kriegerinnen ungläubig an.
Jetzt lag es an mir, die Blamage meiner Kriegerinnen wieder wettzumachen. Stumm bat ich Mida um Hilfe, dann nahm ich einen Anlauf, warf. Mein Speer teilte den Strich genau in zwei Hälften. Ein Schrei erhob sich aus der Menge. Selbst Nidisar lachte freudig auf.
Der Schiedsrichter sagte lächelnd: »Du darfst dich wirklich Jäger nennen. Wie heißt du, Mädchen?« »Ich heiße Jalav«, sagte ich, ohne zu erwähnen, daß ich die Anführerin der Hosta war. Das ging diese Männer nichts an. »Nun denn, Jalav«, sagte er, »es ist mir eine Freude, dir mitteilen zu können, daß dein Wurf denjenigen von Nidisar eingestellt hat. Am Ende des Wettbewerbs werden er und du und jeder andere, der noch gleichgezogen hat, erneut um die Börse werfen.«
Auch Nidisar trat heran und verbeugte sich übertrieben. »Mein Kompliment, ihr Jägerinnen. Ich hatte nicht angenommen, daß ihr tatsächlich so vorzüglich werft. Wohnt ihr weit entfernt von Bellinard?«
»Sehr weit«, antwortete ich. »Wir sind noch niemals zuvor hier gewesen.«
»Dann müßt ihr mir erlauben, daß ich euch die Stadt zeige«, sagte er. »Die Mittel dazu werde ich haben, wenn ich die Börse gewinne.« Ich blickte ihn an, aber er schien tatsächlich zu meinen, was er sagte.
Es erfolgten noch einige Würfe, aber niemand kam näher als eine Handbreit an den Strich heran. Zuletzt wurden Nidisar und ich erneut zum Werfen aufgefordert. Man hatte eine neue Zielscheibe herbeigeschafft, und der Schiedsrichter stellte sich mit gekreuzten Armen vor uns auf. »Ihr macht also die entscheidenden Würfe«, sagte er. »Der jenige, der am nächsten zur Mitte liegt, hat die Börse gewonnen. «
Nidisar deutete auf die Zielscheibe und sagte zu mir: »Du kannst den ersten Wurf haben. Ich werde mich unterdessen an deinem Anblick erfreuen.« Dabei grinste er breit. Fayan, die neben Larid stand, war ganz offensichtlich verärgert über sein Benehmen mir gegenüber. Auch ich war aufgebracht, behielt aber meine Ruhe, da ich merkte, daß Nidisar mich mit seinen Handlungen nur verwirren wollte. Ich nahm einen Anlauf, warf – und traf genau in die Mitte. Die Menge schrie laut auf.
Dann wandte ich mich an Nidisar und sagte: »Jetzt bist du dran. Du solltest etwas mehr nach rechts gehen, um genau zu treffen.«
Er sah mich an, dann befolgte er meinen Rat, obwohl die anderen ihn auslachten, rannte, warf – und traf gleichfalls genau die Mitte.
Die Zielscheibe wurde danach etwas weiter fortgerückt, und erneut trafen wir beide die Mitte. Dies wiederholte sich noch zweimal, dann trat der Schiedsrichter auf uns zu und sagte: »Wie ich sehe, könnten wir dies noch weiter bis zur Dunkelheit ohne Entscheidung fortsetzen. Wir drei Schiedsrichter haben deswegen entschieden, daß die Börse zwischen Nidisar und Jalav geteilt wird.«
Die Menge jubelte. Nidisar wandte sich an mich und sagte so leise, daß es niemand anderes hören konnte: »Ich glaube, wir sollten die Entscheidung annehmen, Jalav. Wir sind gleich stark, und weitere Würfe würden nichts bringen.«»Ich sehe auch keinen Grund, warum wir dieses Spiel fortsetzen sollten«, entgegnete ich.
»Gut so«, sagte er und wandte sich an die drei älteren Männer. »Jalav und ich sind übereingekommen, uns dieser Entscheidung ohne Einspruch zu fügen«, erklärte er. Die drei Männer lächelten zufrieden, dann brachte der Schiedsrichter mir einen kleinen Lederbeutel. »Sollen wir die Münzen hier aufteilen?« fragte er.
Mir war der Sinn seiner Worte unklar. Ich wollte ihn gerade danach fragen, als Nidisar herantrat und den Beutel an sich nahm. »Jalav und ich werden die Aufteilung selber vornehmen«, sagte er, verschmitzt grinsend. »Ich habe ihr versprochen, ihr und ihren Gefährtinnen die Stadt zu zeigen, und werde mit dem Jahrmarkt hier beginnen. Ich wünsche euch noch einen guten Tag.«
Damit nahm er meinen Arm und führte mich hinüber zu meinen Kriegerinnen. Fayan war mit dem Ausgang der Sache nicht zufrieden. »Ihr Männer gebt immer zu früh auf«, murrte sie. »Hättet ihr weitergemacht, dann hätte Jalav unzweifelhaft gewonnen.«
Nidisar blickte sie verärgert an. »Du solltest dich daran erinnern, Mädchen, daß es Jalavs Wurf war, und nicht deiner, der meinem gleichkam. Im übrigen solltest du deinen Ton mäßigen, wenn du mit mir sprichst, sonst muß ich dir beibringen, daß ich ein Mann bin, der niemals aufgibt.« Fayan griff zum Schwert, aber hier war nicht der Ort, um verletzten Stolz zu rächen. Deswegen sagte ich scharf: »Fayan, er ist unbewaffnet und nur ein Mann. Du solltest seine Worte nicht so auffassen wie die einer Kriegerin.« »Mir gefällt seine Art nicht«, grollte Fayan, aber sie ließ ihr Schwert wieder los. »Laß uns zu den anderen zurückkehren, Jalav, und das, was wir erledigen wollen, so schnell wie möglich hinter uns bringen. Dieser Ort gefällt mir nicht.« Ich entgegnete: »Nidisar hat versprochen, uns die Stadt zu zeigen. Das mag sehr nützlich sein.« Fayan erwiderte nichts, hielt sich aber von Nidisar fern, als wir zu Binat und Comir gingen, die bei den Kand auf uns warteten. Ich hoffte, daß ihr Schwert in der Scheide bleiben würde, denn der Mann hatte mir gefallen, und ich wollte nicht, daß man ihn erschlug.
Binat und Comir lauschten mit Interesse, was Larid ihnen über das Geschehen berichtete. Nidisar streichelte mein Kan und sagte: »Das ist ein feines Tier. Wird so etwas in deiner Heimat aufgezogen?«