»Wir haben jemanden aus der Stadt dazu gezwungen«, sagte Larid. »Binat und Comir gingen, um die Hosta zu suchen, und ich blieb zurück, um in der Nähe von Jalav und Fayan zu bleiben.«
»Dann mußt du also Larid sein«, meinte Telion. »Sag mir, Larid, wohin sind die beiden anderen gegangen, um die Hosta zu suchen?«
»In die Richtung von Ranistard«, erwiderte Larid. »Sie wissen zwar nicht genau, wo es liegt, aber sie haben sich nach Norden gewandt.«
Telion winkte Ceralt in eine entfernte Ecke des Zelts und beriet sich mit ihm. Larid sah mich stolz an. Ich legte meine Finger auf die Lippen, dann legte ich die Hand mit dem Handteller nach oben auf den Schoß. »Gut gemacht«, hieß das in der stummen Sprache der Midanna. Larid strahlte mich an, aber dann verdunkelten sich ihre Augen. Mir wurde klar, daß sie mit einer Botschaft für mich gekommen war, aber ich konnte sie nicht fragen, da die beiden Männer zurückkehrten. »Fürs erste wollen wir dir Glauben schenken«, sagte Telion zu Larid. »Sollte sich jedoch herausstellen, daß du uns belogen hast, ist dir die Peitsche sicher.«
»Ich habe nicht gelogen«, schluchzte Larid furchtsam. »Bitte, schlagt mich nicht!«
»Wir werden sehen«, sagte Telion, dann beugte er sich vor ihr nieder, hob ihr Kinn und fragte: »Erinnerst du dich, wer ich bin?«
Verwirrt antwortete sie: »Ja. Du bist der Sthuvad, den wir hatten, bevor wir aufbrachen.«
»Genau«, lächelte Telion. »Und kannst du dich noch erinnern, was geschah, bevor ihr aufbracht?«
Larid öffnete den Mund, um ihm zu antworten, schloß ihn dann aber vorsichtig wieder. »Ich sehe, daß du dich erinnerst«, sagte Telion grimmig lächelnd. »Ein Gefangener wurde von einer Kriegerin ohne seine Einwilligung benutzt. Ich habe so eine Ahnung, daß heute das Umgekehrte passieren wird.« Larid sah mich besorgt an, aber ich konnte nichts tun, um ihr zu helfen. In gewisser Hinsicht hatte sie sich auch selbst in diese heikle Lage gebracht.
»Ich glaube, du solltest sie nun in dein Zelt bringen«, sagte Ceralt mit einem Lachen zu Telion. »Es wird gleich Zeit zum Essen sein, und vorher muß ich noch Jalavs Wunde auswaschen.«
»Wunde?« fragte Telion und sah mich an, aber ich wußte selbst nichts davon. »Von ihrer Begegnung mit dem Hadat«, sagte Ceralt und nahm mein linkes Bein in die Hand. Tatsächlich, an der Wade befand sich ein kleiner Riß, den ich bis dahin nicht einmal bemerkt hatte.
»Ja, wirklich«, sagte Telion. »Hätte ich den Vorfall nicht mit eigenen Augen gesehen, würde ich es nicht glauben.« »Ich auch nicht«, entgegnete Ceralt. »Und alles wegen dieser albernen Halia.«
»Die jetzt eine gezüchtigte Halia sein wird«, lachte Telion. »Als du mit Jalav fortgingst, schien sie der Schlag getroffen zu haben. Sie weinte, warf sich auf den Boden und schrie, sie wolle keinen anderen Mann als dich haben. Ihr Vater brachte sie zu ihrem Zelt, und auf dem Weg nahm er einen starken Ast mit. Als ich vorbeikam, konnte ich sie schon heulen hören.« »Vielleicht tut es ihr gut«, meinte Ceralt. »Ich für mein Teil würde sie nie als Frau haben wollen.«
»Ich auch nicht«, sagte Telion, dann warf er Larid wieder über die Schulter und sagte: »Wir sehen uns morgen früh.« »Bestimmt nicht vorher«, entgegnete Ceralt lachend, mit einem Blick auf mich. Larid warf mir beim Verlassen des Zelts einen verzweifelten Blick zu. Bestimmt hatte ihre Gegenwart einen besonderen Zweck.
»Zeig mir dein Bein!« befahl Ceralt. Mit einem feuchten Tuch wusch er vorsichtig das Blut von dem Kratzer ab. Dabei hielt er mein Bein zärtlich fest. So kraftvolle Hände hatte er, so muskulöse Arme, so breite Schultern! Zu Hause, in den Zelten der Hosta, wäre er bestimmt einer meiner Favoriten geworden. Ein Sklave brachte das Fleisch für die Abendmahlzeit und sah mich neugierig an. Ceralt lachte, als er sich wieder entfernte und schnitt mir eine Portion Fleisch ab. Wir aßen schweigend, wobei Ceralt einige Schlucke Renth trank, mir davon aber nichts abgab.
Als wir fertig waren, stand Ceralt auf, um die Kerzen zu löschen. Ich erhob mich gleichfalls und begab mich zu meinem Pfahl. »Was machst du da?« fragte Ceralt mich erstaunt. »Ich warte darauf, angekettet zu werden«, entgegnete ich und fand seine Frage etwas merkwürdig.
»Das sehe ich«, entgegnete er. »Und warum, meinst du, sollte ich dich anketten?« Ich sah ihn an und fragte mich, wie lange er wohl noch solche dummen Fragen stellen würde. »Nun, um mich von der Flucht abzuhalten«, sagte ich.
»Und ist das nötig?« fragte er, »wo wir doch nun sogar zwei deiner Kriegerinnen gefangenhalten?«
Daran hatte ich nicht gedacht, aber er hatte die Wahrheit gesagt. Zunächst einmal mußte ich hören, welche Botschaft Larid für mich hatte. Vielleicht waren meine Kriegerinnen irgendwo versteckt, wo ich sie nicht leicht finden konnte. »Ich höre keine Antwort von dir«, sagte Ceralt und legte sich, nachdem er die letzte Kerze ausgelöscht hatte, neben mich. »Vielleicht ist der Grund auch, daß du gar nicht von mir weglaufen willst.« Damit zog er sich und mich behutsam aus. Ich wußte nicht, was ich ihm auf seine merkwürdigen Bemerkungen antworten sollte, wurde dieser Mühe aber auch enthoben. Seine starken Arme umfingen mich wieder, sein haariger Körper preßte sich an mich und brachte mein Blut in Wallung. Ich wollte ihn nehmen, aber er lachte, warf mich auf den Rücken und nahm mich statt dessen. Als Anführerin der Hosta hätte ich dies eigentlich nicht dulden dürfen, aber ich wußte ja, daß er in Übereinstimmung mit Midas Willen handelte. So ließ ich alles geschehen, was er mit mir anstellte. Gesegnet sind die, die Midas Befehlen ohne Widerwort gehorchen.
12
Eine Botschaft – und Blut wird vergossen
Am nächsten Morgen war ich nicht sehr glücklich darüber, daß Ceralt mich mit auf sein Kan nahm. Lieber wäre ich, wie zuvor, an der Leine hinter ihm hergelaufen. Ich mußte mich vor ihn in den Sattel setzen, und er hielt mich mit seinen Armen fest, als sei ich ein Stadtweib, das noch nie zuvor auf einem Kan gesessen hatte.
Fayan schien sich über das, was mit mir geschah, zu freuen. Sie hockte hinter Nidisar und vermied es noch immer, meinem Blick zu begegnen. Sie war sehr überrascht gewesen, als sie Larid entdeckte, die offensichtlich eine anstrengende Nacht hinter sich hatte, und nun gefesselt hinter dem Kan Telions herstolperte.
Larids Gesichtsausdruck verriet, daß Telion sich in der Nacht wohl gerächt haben mußte. Auch Ceralt war nicht faul gewesen. Nachdem er mich das erstemal gebraucht hatte, hatte es ihm Spaß gemacht, mich durch das Zelt zu jagen und mir jedesmal, wenn er mich wieder eingefangen hatte, den Hintern zu versohlen und dabei zu sagen: »Du sollst nicht wieder tun, was du getan hast!«
Verzweifelt hatte ich versucht, ihm zu entkommen, bis ich mich zum Schluß auf ihn warf und ihn mit Zähnen und Nägeln angriff. Zunächst war er von meinem Angriff überrascht gewesen, fing sich dann aber bald wieder und jagte mich weiter durch das Zelt, ohne mir Gnade zu gönnen. Als ich schließlich erschöpft zu Boden fiel, hatte er mich wieder fest in die Arme genommen, und ich war mit dem Kopf auf seiner behaarten Brust eingeschlafen. Dabei hatte ich mit Mida gehadert, daß sie mich solche merkwürdigen Dinge erdulden ließ. Während der Rast hatte ich Gelegenheit gehabt, mich mit Larid zu unterhalten. Man hatte sie an einem Baum angebunden, und ich ging nach dem Essen zu ihr hinüber, baute mich mit gekreuzten Armen vor ihr auf und sagte kalt: »Eine Kriegerin der Hosta versucht also, ihre Anführerin zu befreien, und wird dabei selber gefangengenommen. Gut gemacht, Kriegerin. Mach nur weiter so!«
Larid sah mich äußerst beschämt an und entgegnete: »Verzeih mir, Jalav! Ich weiß überhaupt nicht, wie der Mann mich so überraschen konnte.«
»Vielleicht kam er auf den Flügeln eines Lellin geflogen«, sagte ich und hockte mich vor ihr nieder. »Es wird das beste sein, daß wir gemeinsam Mida um Vergebung für deine Schande bitten.«
Die Männer, die nichts von unseren Bräuchen wußten, würden annehmen, daß wir mit gebeugtem Haupt zu Mida sprachen,während doch in Wirklichkeit eine Kriegerin, die mit Mida redet, stolz und aufrecht steht, so, wie Mida sie sich wünscht. Nach einem Augenblick flüsterte Larid: »Sie beobachten uns nicht länger, Jalav. Haben sie mir tatsächlich geglaubt?« »Ich denke schon«, flüsterte ich zurück. »Welche Botschaft bringst du mir von Gimin?«