Kilin kroch an seine linke Seite. Zusammen mit den anderen lachte sie ihn aus, als er zunächst versuchte, so zu tun, als interessiere sie ihn nicht, aber dann doch begierig nach ihr griff und das tat, wozu nur die Männer taugen. »Gleich bin ich dran, Jalav«, sagte sie. »Die Beute meines Speers war nicht sehr groß, aber sie langte, um mich an die Reihe zu bringen, ehe er zu sehr ausgetrocknet ist. Es wird mir Spaß machen.« »Dazu ist er da, Kilin«, sagte ich. »Zuvor möchte ich aber noch ein paar Worte mit dir wechseln.« Sie folgte mir aus dem Zelt. Zu meiner Verwunderung fing ich dabei einen Blick des Gefangenen auf, der nicht etwa der Kriegerin galt, die ihn gerade in Besitz hatte, sondern mir. Sein langes, rotblondes Haar hing wirr in sein verschwitztes Gesicht, und trotzdem sah er mich verlangend an. Ich lächelte ihm zu. Das nächstemal, wenn ich ihn sehen würde, war er bestimmt nicht mehr so geil.
Bevor ich zu sprechen begann, entfernten wir uns einige Schritte von dem Zelt, Midas Licht brach sich in dem Silberring, der in ihrem rechten Ohr hing und sie als eine Kriegerin auswies, die den Feind erfolgreich in der Schlacht geschlagen hatte. Ich trug den gleichen Ring, aber auch einen im linken Ohr, der mich als Anführerin in der Schlacht kennzeichnete. Auf diese Weise fanden sich die Führerinnen, um ihre Klingen miteinander zu kreuzen.
»Kilin«, sagte ich, »ich bitte dich um einen Gefallen. Du weißt, daß ich im Morgengrauen fortreiten werde, um den Kristall der Mida zurückzuholen und die zu rächen, die ermordet wurden. Alle Kriegerinnen der Hosta werden mit mir reiten bis auf diejenigen, die bei der Obersten Hüterin zurückbleiben müssen. Zu denen gehörst du.«
»Willst du, daß ich mit dir reite, Jalav?« fragte sie mit freudiger Stimme. »Ich habe bereits versucht, mit einer der Kriegerinnen zu tauschen, aber keine willigte ein. Aber ein Wort von dir, und...«
»Nein, Kilin«, sagte ich und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Alle müssen in einer solchen Zeit ihre Last tragen, und deine ist es, hierzubleiben. Ich würde gerne über dein Schwert dort im Norden verfügen, aber es kann nicht sein.« »Was kann ich dir dann für einen Gefallen tun?« fragte sie resigniert.
»Ich habe viel über Fideran nachgedacht«, erklärte ich ihr. »Er hat uns lange Zeit gut gedient, und ich möchte nicht, daß es ihm schlecht gelohnt wird. Ich glaube, daß er versuchen will, mir in den Norden zu folgen, aber das darf er nicht. Deswegen sollst du dafür sorgen, daß er hierbleibt, als Gefangener, ohne daß ihr ihm den Trank gebt. Später kann er nach seiner freien Wahl zurück zu seinem Volk gehen oder hierbleiben. Ich habe in der Vergangenheit gesehen, daß du ihn sehr schonend benutzt hast. Behandele ihn weiter so.« »Das mache ich gern, Jalav«, sagte sie mit einem zärtlichen Lächeln. Sie war eine kühne Kriegerin, konnte aber auch sehr zärtlich sein, wenn es nötig war.
»Ich habe es ihm noch nicht gesagt, Kilin«, sagte ich, »und ich werde es ihm auch nicht sagen. Komme in der Dunkelheit und hole ihn dir.«
»Ich hatte bisher immer gedacht, daß Männerraub unter den Hosta nicht erlaubt sei«, sagte Kilin mit einem Lächeln. »Nun raube ich mir sogar einen Mann aus dem Zelt meiner Anführerin.«
»Aber nur, wenn sie es erlaubt«, entgegnete ich lachend. »Sollte eine Kriegerin dies ohne meine Erlaubnis versuchen, würde sie keinen Bedarf mehr für das haben, was sie sich holen wollte. Aber nun solltest du ins Zelt zurückgehen, Kilin. Mit der Dunkelheit werden die restlichen Kriegerinnen zurückkehren, und dann wird es noch einen großen Bedarf für den Gefangenen geben.«
»Vielleicht haben sie ihren Bedarf schon in Islat befriedigt«, meinte Kilin.
»Im Interesse des Gefangenen möchte ich das hoffen«, kicherte ich und nahm ein Blatt vom Baum, um darauf zu kauen. »Es hat den Anschein, als ob die Dienste, die er uns leistet, ihm keinen Spaß machen.«
»Ich hoffe immer noch, daß Mida uns eines Tages jemanden sendet, der den Trank nicht nötig hat«, sagte Kilin und kaute gleichfalls ein Blatt. »Es wird erzählt, daß es einst Männer gab, die so stark waren, daß sie darauf verzichten konnten.« »Wie sollte das aber heute noch der Fall sein«, sagte ich. »Sie leben in ihren Städten, verwöhnt von ihren Weibern. Nichts müssen sie selber tun. Wie wollen sie da noch starke Männer sein?«
»Das stimmt«, entgegnete Kilin. »Wir haben das Glück, daß unsere Vorfahrinnen die Städte verließen, um Mida zu folgen, sonst wären wir genauso schlapp wie ihre Sklavinnen.« »Wir sind es aber nicht«, sagte ich, »doch müssen wir unsere Freiheit verteidigen, damit wir sie nicht verlieren. Du mußt nun gehen, Kilin, sonst hat deinen Platz auf dem Gefangenen eine andere eingenommen. Ich glaube, daß ihm ein wenig Zärtlichkeit guttun könnte.«
»Ich glaube, er wird von mir wenig Zärtlichkeit bekommen«, lachte Kilin. »Sein Anblick alleine reizt mich schon, und ich möchte ihn unter mir stöhnen hören. Er ist der beste Sthuvad, den ich je gesehen habe.«
Sie winkte mir abschiednehmend zu und lief zum Zelt, so wie ein Jäger hinter der Beute her ist. Ich überlegte, ob ich ihr folgen sollte. Es hatte mir nichts ausgemacht, wie der Gefangene mich angesehen hatte, noch, wie er mich angesprochen hatte. Sollte er dies aber noch einmal wagen, so würde er nicht ungestraft davonkommen.
Gerade wollte ich ebenfalls in das Zelt gehen, als ich durch die Ankunft der Obersten Hüterin davon abgehalten wurde. Würdevoll schritt sie inmitten der Prozession in das Lager. Zehn Kriegerinnen begleiteten sie, gekleidet nicht nur in den Farben der Hosta, sondern auch der Harra, der Heida und der Hitta. Kriegerinnen aller zehn Stämme unserer Schwesternschaft gaben ihr das Geleit. Die Oberste Hüterin selbst saß in einer offenen Sänfte, die von vier Gandod getragen wurde. Bei jedem ihrer Schritte schaukelte die Sänfte hin und her, aber das schien die Oberste Hüterin nicht im mindesten zu berühren. Sie war eine hochgewachsene, kräftige Frau, vital trotz ihres Alters. Ich ging der Prozession entgegen und begrüßte Rilas, die Oberste Hüterin, ehrfürchtig.
Rilas begrüßte mich mit einem Lächeln, hieß die Prozession anhalten und stieg aus der Sänfte. Sie trug einen Schurz, der ihr bis zu den Knöcheln ging, und von allen Stammesfarben der Midanna bedeckt war.
»Midas Segen sei mit dir, Jalav«, sagte sie. »Ich freue mich immer, wenn ich die Hosta besuchen kann, wünschte jetzt aber, es geschähe unter anderen Umständen. Bereitet ihr euch auf den Ritt vor, um den Kristall der Mida zu suchen?« »Natürlich, Rilas«, sagte ich. Ihr Haar reichte fast bis zu ihren Füßen, obwohl es nicht mehr so golden wie in ihrer Jugend war. Sie war auch einmal eine tapfere Kriegerin gewesen, wie hätte sie sonst jetzt Mida dienen können. »Wir wollen im Morgengrauen aufbrechen. Einen Teil dieses Tages muß ich Mida widmen. Am Abend möchte ich mit dir sprechen, welche Hilfe du uns zuteil werden lassen kannst.« »Das werde ich gerne tun«, entgegnete sie, dann blickte sie erstaunt zum Zelt in der Mitte des Lagers. »Habt ihr schon einen der Verbrecher gefangen?« fragte sie. »Nein«, sagte ich und lächelte. »Wir haben einen Gefangenen gemacht, aber er ist unschuldig. Er dient uns jetzt als Sthuvad. Sollte er Vater werden, sende ich die Kriegerin zu deinem Hort, denn das neue Leben darf nicht verschwendet werden.« »Gut«, sagte Rilas. »Jalav, ich bin am Hort des Kristalls gewesen, ehe ich hierherkam. Ich möchte bei dir sein, wenn du mit Mida sprichst und ihr die Verdienste derer schilderst, die sich auf den Weg zu ihr gemacht haben. Du sollst nicht alleine von derjenigen sprechen, die dich geboren hat.« »Ich danke dir, Rilas«, sagte ich. Ich dachte an meine Kriegerinnen, die dort mit durchschnittener Kehle lagen, besonders an die eine, die mich einmal geboren hatte. Ich ließ mir mein Schwert und einen Topf Daru für Rilas bringen, dann entfernten wir uns in den Wald. Als die Entfernung zum Lager groß genug war, zog ich mein Schwert aus der Scheide und richtete mich auf. Rilas stand neben mir. »Höre mich, Mida«, rief ich zum Himmel, die Arme und das Schwert ausgestreckt. »Ich möchte mit dir über diejenigen reden, die dein Königreich betreten wollen. Sie alle waren tapfere Kriegerinnen der Hosta und es ist nicht ihre Schuld, daß sie letzten Endes unterlagen. Ich, die Anführerin der Hosta, werde sie persönlich rächen und ich bitte dich, ihnen zu erlauben, dein Königreich zu betreten, damit sie nicht ewig auf dem grauen Pfad wandern müssen.«