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Inala zögerte kurz, dann trottete sie hinter uns her, in der Kälte fröstelnd. Ich wünschte ihr im stillen alles Gute, konnte ihr aber keine weitere Hilfe anbieten, denn es wurde Zeit für uns, die Befehle Midas auszuführen.

20

Ein zweiter Besuch – und ein letzter Ruf

Ein blasses Licht fiel auf Bellinard, als ich die Stadt ein zweites Mal aus der Ferne betrachtete. Die Einlaßbegehrenden am Tor bewegten sich langsam vorwärts. Allerdings waren es beträchtlich weniger, als beim erstenmal. Bald würde die Dunkelheit hereinbrechen, das Tor würde geschlossen werden, und wir würden in die Stadt eindringen, um den Kristall zu holen.

Viele Stunden waren wir unterwegs gewesen, aber die lange Reise hatte uns kaum ermüdet. Zu meinem großen Erstaunen befand sich Inala noch immer bei uns. Sie war zäher, als ich erwartet hatte. Die erste Nacht war die schlimmste für sie gewesen, denn wir hatten auf der nackten Erde geschlafen, ohne alle die Bequemlichkeiten, an die die Städter gewohnt sind. Vor Erschöpfung war sie schnell eingeschlafen, aber die Kälte der Nacht hatte sie öfter aufgeweckt. Meine Kriegerinnen und ich hatten abwechselnd Wache gestanden. Als der neue Morgen kam, waren wir auf Jagd gegangen und hatten uns bald mit Fleisch eingedeckt. Es dauerte nicht lange, so fanden wir auch die Spur eines Lenga. Ohne Pfeil und Bogen mußten wir ihn in der Falle fangen, aber innerhalb von drei Tagen besaßen wir genügend Pelze, um alle in der Nacht zu wärmen.

Am schwersten hatte Inala sich daran gewöhnen können, rohes Fleisch zu essen, aber wir konnten es nicht wagen, Feuer anzuzünden. Früh am fünften Tag kamen wir an einer Hügelkette vorbei, auf der eine Herde wilder Kand graste. Binat und Gimin fingen mit der Strickleiter eines ein und lehrten es, einen Reiter auf seinem Rücken zu tragen. Mit einem zahmen Kan konnten wir leicht eine Handvoll weiterer einfangen, und so waren wir bald alle beritten.

Wieder hatte Inala zuerst einige Schwierigkeiten, lernte aber bald, sich auf dem Rücken des Kan zu halten, so wie sie alles recht schnell lernte. Meine Kriegerinnen waren zunächst verwundert über ihre Gegenwart gewesen, nahmen die Stadtfrau aber bald voll in ihrer Mitte auf. Sie besaß nicht die Fähigkeiten, über die alle Hosta verfügten, zeigte sich aber sehr anstellig. Gimin gesellte sich zu mir und studierte gleichfalls aufmerksam die Mauer. »Es ist alles vorbereitet, Jalav«, sagte sie. »Wir müssen nur auf den Einbruch der Dunkelheit warten.« Ich nickte stumm. Vor uns, in den Mauern von Bellinard, lag der Kristall, den wir suchten, aber auf unserem Weg hierher hatten wir keinerlei Zeichen von den Männern entdeckt, die sich vor uns befinden mußten. Mir kam der Gedanke, daß sie in eine ganz andere Richtung geritten sein mußten, und das beunruhigte mich zutiefst. Sobald wir den Kristall in unserer Hand hatten, würde ich alleine weiterreiten und den Jäger Ceralt suchen. In der Zwischenzeit bat ich Mida, ihn zu schützen, bis ich dazu in der Lage war. Die heimatlichen Zelte der Hosta würden leer sein ohne den Mann, nach dem ich so verlangte. Zusammen mit Gimin ritt ich dorthin zurück, wo die anderen auf uns warteten. Inala bereitete eifrig das Nilno zu, das wir für sie gejagt hatten. Sie sollte bei unseren Kand bleiben, bis wir zurückkehrten. Wir hatten großes Glück gehabt, daß sie sich bei uns befand, denn sie war es gewesen, die schließlich hinter den Sinn der geheimen Botschaft gekommen war. Daß man ihn im Boden des Kerkers im Palast vergraben hatte, war uns allen klar gewesen. Was bedeutete aber: »Fünfzig Schritte vom ersten entfernt« ? Inala war es, die gefragt hatte, ob es nicht fünfzig Schritte vom ersten Tor entfernt heißen könnte. Da erinnerten wir uns, mit Ausnahme von Gimin, an die Metalltore, hinter die man uns eingesperrt hatte. Hinter einem solchen Tor also lag der Kristall vergraben und wir mußten sehen, wie wir ihn dort herausholten. Inala sollte uns also mit den Kand an den Höhlen, wo wir sie versteckt hatten, erwarten. Sollten wir bis zu der Zeit nicht zurück sein, wo sie nichts mehr zu essen hatte, dann war sie frei, das zu tun, was sie wollte. Darüber war sie nicht sehr erfreut, aber sie sah ein, welche Gefahren die Hosta erwarteten, und schwieg deshalb.

In der Dunkelheit, noch vor dem Erscheinen des Eingangs zu Midas Königreich, verließen wir sie und machten uns schweigend auf den Weg nach Bellinard. Ich machte mir mehr Sorgen um Ceralt als um das, was uns in Bellinard erwartete, und auch Larid schien sich um Telion zu sorgen. Selbst Fayan, obwohl sie nichts sagte, schien bekümmert. Gimin und Binat, die mit ihren Männern unzufrieden waren, waren hingegen nur gierig darauf, wieder in die Heimat der Hosta zurückkehren zu können. Wir alle besaßen unsere Amulette, so daß wir uns um den Ausgang des bevorstehenden Kampfes wenig Sorgen machten. Wir würden Midas Befehle erfüllen, und dann würden wir unsere eigenen Wege gehen.

Schnell hatten wir die Mauer erklettert, ließen uns hinab und fanden leicht den Weg zum Palast. Nur wenige Männer waren noch unterwegs, und diese sahen und hörten nichts, wie alle Städter. Den Palast umschlichen wir vorsichtig auf der Suche nach einem Einlaß, der nicht bewacht war. Endlich fanden wir, was wir suchten.

Vor einem kleinen Einlaß standen nur zwei Wächter, die plötzlich unser Schwert an der Kehle fühlten; wir zwangen sie in den Einlaß hinein, dann mußten sie ihre Kleidung aus Leder und Metall ausziehen. »Einer von euch«, sagte ich kalt, »wird uns begleiten, der andere bleibt hier. Euer beider Leben ist verwirkt, wenn ihr versucht, uns zu verraten. Ist das klar?« Die Männer sahen sich an und nickten dann schweigend. Ich wußte nicht, warum sie so erschrocken aussahen. Vielleicht erinnerten sie sich noch an unseren ersten Besuch. Wenn dem so war, konnte es nur gut sein, denn in ihrer Todesfurcht würden sie keinen Widerstand leisten.

Der erste bekam seine Kleidung und seine Waffen zurück, den zweiten ließen wir wohlverschnürt in der Obhut von Binat zurück. Er sah den ersten bittend an. Dieser nickte, um anzudeuten, daß er keinen Verrat versuchen würde. Ich schenkte diesem Nicken wenig Beachtung, denn ich wußte, wie wenig man Männern aus der Stadt vertrauen konnte. Er wagte aber keinerlei Verrat.

Larid, Fayan und ich legten unsere Schwertgehänge ab, nahmen die Dolche fest in die Hand und gingen mit auf den Rücken gelegten Händen dem Wächter voran, so, als seien wir gefesselt. Die Wächter, die vor dem Tor standen, das in die Tiefe führte, nahmen auch tatsächlich an, wir seien Gefangene, die frisch eingeliefert würden. Gimin folgte heimlich in einiger Entfernung, um im Notfall eingreifen zu können. Dies war aber nicht nötig, denn die Wächter vor dem Tor fielen schneller unserer Klinge zum Opfer, als der, der uns begleitete, auch nur einen Warnlaut hätte ausstoßen können. Danach gesellte sich Gimin wieder zu uns. Wir zogen die Leichen in den Schatten und gingen weiter.

Larid und Gimin sandten wir voraus. Auch Larid war jetzt mit einem Schwert bewaffnet. Sie versteckten sich so, daß man sie aus der Öffnung in der Tür nicht sehen konnte. Fayan und ich gingen wieder vor dem Wächter her, als seien wir gefesselt. Auf den Klang unserer Schritte hin blickten die Wächter, die innen standen, durch die Öffnung, und öffneten dann das Tor. Im nächsten Moment lagen sie in einer großen Blutlache auf dem Boden. Gimin und Larid säuberten ihre Schwerter, und wir traten alle ein und verriegelten das Tor hinter uns. Gimin ließen wir am Tor mit dem verbleibenden Wächter zurück, während Fayan, Larid und ich uns mit einer Fackel auf die Suche machten. Genau fünfzig Schritte machten wir vorwärts. Der Gestank peinigte wie beim erstenmal unsere Nasen, die Steine waren kalt und schleimig unter unseren Füßen. Nach den fünfzig Schritten standen wir vor einem Dilemma. Es gingen gleich zwei Wege nach links ab, und uns blieb nichts anderes übrig, als sie beide zu untersuchen. Der erste endete nach zwanzig Schritten in einer leeren Zelle, in der wir keinerlei Anzeichen auf den Kristall entdecken konnten. Der zweite Weg endete gleichfalls vor einer Zelle, die aber nicht leer war. An einer Wand angekettet, sich ängstlich vor dem Licht unserer Fackel duckend, saß eine Gestalt, die einmal ein Mann gewesen war. Jetzt war er nur noch ein wimmernder Haufen aufgedunsene Haut und klappernder Knochen. Weder Kleidung noch Haare bedeckten seinen Körper, der aber von unzähligen Scarmbissen übersät war. Auch seine Hände und Füße hatten die Scarm angenagt, selbst sein Gesicht hatten sie nicht verschont.