Larid mußte sich von dem Gestank, der von diesem lebenden Leichnam herrührte, heftig übergeben, und auch mir wurde schrecklich übel. Ich wußte, was zu tun war. Mit einem Stich meines Dolches beendete ich das Leben dieses Unglückswurms. Danach begannen wir mit der Suche.
Fast war sie vergeblich. Lange suchten wir, ohne den Kristall zu finden, bis mein Blick auf das Wasserrinnsal fiel, das durch die Wand drang. Wo das Wasser auf dem Boden auftraf, hatte es eine Höhlung geformt, und in dieser Höhlung schien es sehr viel trüber zu sein. Rasch sprang ich hin und griff hinein – und hatte den Kristall in der Hand. Trotz der langen Zeit, die er dort gelegen haben mußte, war er unbeschädigt. Ich legte ihn in den kleinen Beutel, der zu diesem Zweck um meinen Hals hing, und dankbar verließen wir diese Stätte des Todes. Gimin war höchst erleichtert, als wir unversehrt zurückkehrten, und ebenso erleichtert stiegen wir wieder an die frische Luft, die wir mit vollen Zügen einatmeten. Der Mann in unserer Mitte zitterte vor Furcht, denn wir hatten ihm seine Waffen wieder abgenommen, und er wußte wohl, daß seine Nützlichkeit für uns ein Ende gefunden hatte. Doch sind die Hosta nicht undankbar. Er hatte keinen Versuch gemacht, uns zu verraten. Deswegen wurde er nur neben seinem Kameraden gefesselt und bekam wie er einen Knebel, damit sie sich nicht zur Unzeit bemerkbar machen konnten. Binat schien mir irgendwie sehr vergnügt zu sein, und ich nahm an, daß sie während unserer Abwesenheit von dem Gefangenen Gebrauch gemacht hatte, aber das war jetzt unwichtig.
Leise und vorsichtig entfernten wir uns von dem Palast, und unbemerkt verließen wir die Stadt. Mit riesiger Begeisterung kehrten wir dorthin zurück, wo Inala auf uns wartete. Nur Larid war noch etwas blaß von dem Erlebnis in der Zelle, aber das kam daher, weil sie wieder ein Kind trug, wie sie uns verriet. Darüber waren wir alle hocherfreut, deutete doch ihre Empfindlichkeit an, daß das Kind unter ihrem Herzen ein Mädchen sein konnte. Die Tatsache, daß wieder eine Hosta unterwegs war, ist immer ein Grund zur Freude, und so kamen wir äußerst fröhlich bei den Höhlen an. Die Höhlen lagen oberhalb des Bodens und konnten über einen schmalen Pfad erreicht werden, der zwischen den Felsen hindurchführte. Aus Gewohnheit näherten wir uns diesem Pfad sehr vorsichtig, jedoch nicht vorsichtig genug. Lautlos fielen Netze auf uns, und ehe wir zu unseren Waffen greifen konnten, waren die Männer schon über uns. Wir wurden entwaffnet und in die Höhlen gezogen. Fackeln flammten überall auf, und vor uns standen Galiose, Telion, Ceralt, Nidisar und viele andere Männer aus Ranistard. Inala lag gefesselt und geknebelt in einer Ecke. Große Trauer sprach aus ihren Augen. Galiose lachte herzlich und sagte: »Welch prächtige Fische sind uns denn da ins Netz gegangen? Sollten sich vielleicht sogar noch andere Schätze im Netz gefangen haben?« Die Männer, die mich hielten, wickelten mich aus dem Netz und nahmen mir den Beutel mit dem Kristall ab. Galiose sah hinein und sagte: »Prächtig gemacht, wirklich prächtig!« Dann gab er einen Wink, daß auch die anderen aus ihren Netzen befreit wurden, und fuhr fort: »Für die Mühen, denen ihr euch zugunsten unserer Stadt unterzogen habt, werdet ihr alle großzügig belohnt werden. Mit dem Anbruch des neuen Tages werden wir zurückkehren. Nun ruht euch aus.« Mit großer Zufriedenheit wandte er sich ab, und ich verspürte die gleiche Übelkeit wie drunten im Kerker. Deshalb hatten wir keine Spur von den Männern gefunden, weil sie nicht vor uns, sondern hinter uns ritten. Sie hatten überhaupt nicht gewußt, wo der Kristall zu finden war, sondern lediglich darauf gewartet, daß ihn die dummen Hosta für sie holen würden. Wie ein harmloses Kind hatten sie mich hereingelegt. »Ich bin sehr erleichtert darüber, daß du unverletzt bist«, sagte jemand zärtlich. Als ich aufblickte, stand Ceralt vor mir, der mich mit großer Freude in die Arme nahm. Aber seine Lippen fanden auf meinen keinen Widerhall. Ich hatte mich um seine Sicherheit gesorgt, aber er hatte mich hintergangen! Wenig Wahrheit steckt hinter den Worten der Männer, das hatte ich erneut gelernt.
Wortlos stieß ich ihn von mir und ging hinüber zu Inala, die tränenüberströmt in der Ecke lag. Sie schien sich echt zu schämen über das, was geschehen war, obwohl sie doch keine Schuld hatte. Sie hätte nichts gegen die vielen Männer ausrichten können, erklärte ich ihr, als ich sie losband. Danach saßen sie und ich und meine Kriegerinnen schweigend beisammen, ohne die Männer auch nur eines Blickes zu würdigen. Wieder einmal waren die Hosta von den Männern betrogen worden, und niemand außer Mida konnte hier noch etwas ausrichten.
Eilig kehrten wir nach Ranistard zurück, denn Galiose war begierig, den dritten Kristall den beiden anderen hinzuzufügen. Die Hosta und auch Inala wurden auf ihren Kand festgebunden, denn wir hatten am ersten Tag zu entkommen versucht. Jede war in eine andere Richtung geritten, in der Hoffnung, daß auf diese Weise wenigstens einige von uns entkommen könnten, aber zu viele Männer hatten uns verfolgt. Bald waren wir wieder gefangen und wurden auf den Kand festgebunden. Ceralt war sehr ärgerlich, als er das Leder um meine Handgelenke knüpfte, aber ich gab nichts um seinen Ärger. Auch redete ich nicht mit ihm, noch sah ich ihn an, obwohl er viele Versuche unternahm, wieder mit mir zu sprechen; und Larid tat das gleiche mit Telion. Nur Fayan brauchte ihr Verhalten gegenüber Nidisar nicht zu ändern. Nidisar schien sehr erfreut darüber, daß es nun Ceralt und Telion genauso ging wie ihm. Die Nächte verbrachte ich an Ceralts Seite. Unsere Lengapelze lagen nebeneinander, aber er fand wenig Echo auf seine Zärtlichkeiten, und bald unterließ er sie. Die beiden Jäger und der Krieger ritten tagsüber zusammen, die Leinen unserer Kand in der Hand und Mißmut auf ihren Zügen. Allen dreien hatten die Hosta gezeigt, was sie von ihnen hielten, und das war nicht sehr viel.
Galiose sorgte auch für Aufregung, da er Gefallen an Inala gefunden hatte. In der ersten Nacht hatte er sie auf seinen Schlafpelz genommen, aber die kleine Stadtfrau weigerte sich standhaft, ihm zu Gefallen zu sein, was ihn sehr ärgerte. Die Wälder hallten von seinen Schreien wieder, als er sie gegen ihren Willen nahm, und sie ihre Zähne in seine Schulter grub. Verärgert schickte er sie fort und übersah zwei Tage ihre triumphierenden Blicke. Am Abend des dritten Tages warf er sie über seine Schulter, ging in den Wald hinein und befahl, ihm möge niemand folgen. Nicht einmal einen Lengapelz nahm er mit, trotzdem kehrte er erst im Morgengrauen wieder zurück. Inala schien viel ruhiger, als sie zurückkehrten, und mißtrauisch waren die Blicke, die sie Galiose zuwarf. Die nächsten drei Nächte geschah dasselbe, dann erst erfuhr ich von Inala, was passiert war. Galiose hatte nicht wieder den Versuch gemacht, sie zu nehmen, aber er hatte sie jedesmal ausgezogen und sich neben sie gelegt. Wenn die Kühle der Nacht sie überfiel, hatte er sie in die Arme genommen und gewärmt, mehr nicht. Aber in der letzten Nacht war er nicht selbst gekommen, sondern hatte gewartet, bis sie sich zu ihm flüchtete. Schon bald, das wußte sie, würde sie seiner Nähe nicht mehr widerstehen können. Sie wußte nicht, was sie tun sollte.
Ich konnte ihr keinen guten Rat geben, denn zu stark war noch die Erinnerung in mir an die Nächte mit Ceralt vor seinem Verrat. Ich wußte, daß Inala Galiose nicht mehr lange würde widerstehen können, und um so größer wurde meine Traurigkeit.
Der Anblick von Ranistard wurde von allen freudig begrüßt, am meisten jedoch von Telion. Einige Tage zuvor war es Larid übel geworden, und danach konnte sie nichts mehr essen, selbst Fleisch nicht, sei es roh oder gegrillt. Jeder der Jäger hatte sich eifrig bemüht, etwas zu finden, was ihr schmeckte, doch schien »gebratenes Lellin das einzige zu sein, von dem sie hin und wieder etwas hinunterbekommen konnte. Felion hatte sie von ihrem Kand losgebunden und sie vorsichtig auf den Sattel gesetzt. Mit besorgter Miene hielt er sie verzweifelt in seinen Armen. Sie lag meist mit geschlossenen Augen an seiner Brust und atmete unregelmäßig. Große Qualen mußte sie erleiden, obwohl sie das nicht zu erkennen gab. Ich fühlte eine tiefe Verzweiflung in mir, denn die Strafe für unser Versagen hätte mir gelten sollen, nicht ihr. O Mida, werden wir denn niemals Gnade in deinen Augen finden? In Ranistard wurde Larid sofort in den Palast des Hohen Senats geschafft und Fayan, ich, Ceralt und Nidisar angewiesen, uns um sie zu kümmern. Inala durfte auf Befehl von Galiose nicht in das Haus von Ceralt zurückkehren, sondern mußte bei ihm bleiben. Sie hatte große Sorgen, daß er sie als Sklavin behandeln würde, denn sie hatte tiefe Gefühle für ihn entwickelt und wollte ihm in Freiheit dienen, da, wie sie meinte, ihre Liebe schon Sklaverei genug sei.