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»Johannes«, drängte sie. »Sag mir, wo du nachts bist.

Du hasst diese Stadt, ich weiß es. Aber du würdest dich nicht überreden lassen, etwas gegen den Zaren zu unternehmen?«

»Marfa!« Grob schüttelte er ihre Hand ab.

»Entschuldige. Ich … sehe überall Gespenster.

Aber ich muss wissen, wo du bist.«

»Am Newaufer«, antwortete er.

»Allein?«

»Nun, manchmal ist ein Fischer dort. Er … ich habe ihm geholfen sein Boot zu reparieren.« Mehr Wahrheit konnte sie nicht von ihm verlangen.

Sie sah ihn mit großen Augen an. »Und glaubst du, er ist ein Freund?«

Wie immer war es Marfa gelungen, alle geschickt platzierten Umgehungen einfach zu überrennen. »Ich

… denke schon«, gab er schließlich zögernd zu.

Bitter schüttelte sie den Kopf. »Du hast es immer noch nicht gelernt, Johannes! Hier hast du keine Freunde. Allenfalls jemanden, der vorgibt dein Freund zu sein, um dich in eine Verschwörung hineinzuziehen.«

Wütend sprang er auf. »Ich hätte dir nichts erzählen sollen.«

Sie stand auf und strich sich die Ärmel glatt. Brüsk wandte sie sich von ihm ab und holte aus ihrer Ledertasche einen schweren Salbentiegel hervor. »Geh arbeiten. Und morgen früh wirst du zu Oberst Derejew gehen und ihm Bericht über die Katzen erstatten.«

* * *

Johannes konnte sich kaum daran erinnern, wie er den Arbeitstag hinter sich gebracht hatte. Die Stimmung war seltsam, noch seltsamer wurde es, als Mitja auftauchte und sich mit bedrücktem Gesicht auf einen Holzstapel setzte. Er beachtete Johannes gar nicht, sondern sang immer und immer wieder das gleiche Lied, bis Johannes das Gefühl hatte, ebenfalls wahnsinnig zu werden. Noch spät in der Nacht hörte man Mitjas Summen, das der Wind zu den Fenstern trug und wie ein unwillkommenes Geschenk durch die Ritzen zwischen den Fensterläden drückte. Johannes ahnte, dass auch Marfa nicht schlief. Mit ihrer Frage nach seiner Freundschaft zu Jewgenij hatte sie einen Felsbrocken auf seine Brust gewälzt. Wenn Johannes die Augen schloss, sah er Jewgenijs schmales Gesicht vor sich, die dunklen Augen und den ernsten, oft zusammengekniffenen Mund. Konnte es wirklich sein, dass er ihn belog?

Eine Verschwörung gegen den Zaren würde zu seinem Ziel passen, die Russalkas zu retten. Aber wäre er so dumm zu glauben, gegen ein ganzes Heer und einen Zaren bestehen zu können? Nein, entschied Johannes. Es ergab keinen Sinn. Selbst wenn Jewgenij Verbündete in der Stadt hatte, würde er mit ein paar Leibeigenen nicht viel ausrichten. Es steckte mehr dahinter. Viel mehr. Ob der Unbekannte, von dem die Russalka träumte, etwas damit zu tun hatte?

Jemand war auf dem Weg in die Stadt, ein anderer saß hier und ertränkte Katzen. Es passte immer noch nicht zusammen.

Leise stand Johannes auf. Er war schon auf dem Weg nach draußen, als ihm einfiel, dass die Tür knarrte. Marfa, die sicher mit offenen Augen in die Dunkelheit starrte, würde sie hören. Johannes überlegte, dann zog er so leise wie möglich das Fenster auf, kletterte hinaus und hangelte sich geräuschlos wie ein Schatten auf der anderen Seite hinunter. So weit ist es mit mir gekommen, dachte er verschämt.

Jetzt schleiche ich wirklich wie ein Dieb davon. Mitjas Augen glänzten in der Dunkelheit auf, aber der Narr verhielt sich still. Johannes fragte sich, ob er ihm das Gespräch mit der Nixe übel nahm.

Mit einem mulmigen Gefühl rannte er in Richtung Newa. Er wartete beinahe zwei Stunden, bis sich auf der anderen Flussseite etwas regte. Im nächtlichen Nebel glaubte Johannes eine schmale Gestalt zu erkennen, Wasser plätscherte, als sie ein glänzendes Etwas aus dem Wasser zog. Auf die Entfernung konnte Johannes es nicht erkennen, aber er stellte sich vor, wie sich nasse Körper darin bewegten und durch die Maschen des Netzes weiße Fischbäuche schimmerten. Sicher hatte die Russalka Jewgenij reiche Beute ins Netz gejagt. Johannes war fasziniert davon, seinen Freund zu beobachten, wie er mit geschickter Hand die Beute an Land zog und Fisch für Fisch aussortierte. Mit einem Platschen landeten die kleineren wieder in der Newa, nur die größeren wuchtete Jewgenij in seinen Weidenkorb. Nicht weit von ihm schaukelte das Boot, das nur lose an einem verkrüppelten Uferbusch vertäut war. Mit Unbehagen erkannte Johannes, wie wenig er immer noch von Jewgenijs Leben wusste. Noch nie hatte sein Freund ihm angeboten mit ihm zu seinem Haus zu gehen. Andererseits – er selbst hätte Jewgenij vor Marfa am liebsten ganz verborgen.

Zögernd spitzte er die Lippen und schickte einen leisen, scharfen Pfiff über das Wasser. Jewgenij erstarrte und sah herüber. Dann verstaute er hastig den Fischkorb in dem winzigen Boot, stieß es ab und sprang hinein. Heute tauchten keine Russalkas auf, um sein Boot über das Wasser zu bringen. Ruderschlag für Ruderschlag kämpfte sich Jewgenij über den Fluss. Als er endlich ankam, hatte ihn die Strömung ein ganzes Stück westwärts getragen. Er keuchte vor Anstrengung und auf seinen Wangen leuchteten dunkle Flecken. Bei Tageslicht hätte er einen roten Kopf gehabt.

»He, Brehmow«, rief er und sprang an Land. Mit wenigen Griffen vertäute er das Boot und kam zu Johannes. Sein Gesicht sah noch schmaler aus, so als hätte er die vergangenen Nächte gar nicht geschlafen.

»Wo warst du gestern und vorgestern?«, fragte Johannes statt einer Begrüßung.

Erstaunt sah Jewgenij ihn an. »Muss ich mich entschuldigen?«, gab er zurück. »Ich hatte viel zu tun.«

Johannes wollte sich dagegen wehren, aber das Misstrauen sprang ihn an wie ein Hund, der sich nicht abschütteln ließ. »Viel zu tun, so«, knurrte er.

Jewgenij grinste und knuffte ihn in die Seite.

»Was ist los mit dir? Du hattest doch genug Gesellschaft, wie ich gehört habe. Sogar einen neuen Freund hast du – leider einen Verrückten, aber was will man bei euch Ausländern schon erwarten?«

»Hat die Russalka dir das erzählt?«

»Wenn nicht die Russalka, dann die Wellen.«

Johannes holte tief Luft und sah sich um. Dann bedeutete er Jewgenij ihm flussaufwärts zu der Weide zu folgen. Dort setzten sie sich ans Ufer.

»Wusstest du, dass Mitja mit ihr sprechen kann?«

»Sprechen würde ich das nicht nennen«, erwiderte Jewgenij. »Aber Narren werden einander immer verstehen.«

»Die Russalka hat mir von dem Pfand erzählt«, fuhr Johannes unbeirrt fort. »Weißt du, von wem sie träumt?«

»Sie hat dir davon erzählt?«, fragte Jewgenij tonlos. Johannes konnte regelrecht fühlen, wie sein Freund von ihm abrückte und sich versteifte. Plötzlich wünschte er sich, er hätte diese Frage nicht gestellt. Jewgenij schluckte sichtlich und schwieg. Heute gelang es ihm nicht, seine Gefühle zu verbergen.

Johannes fühlte, wie er rot wurde, und er fluchte insgeheim auf die Russalka. War das ihre Art, Zwietracht zwischen ihnen zu säen? Aber warum sollte sie so etwas tun? »Nun, sie hat mir nicht alles erzählt«, versuchte er die Situation zu retten.

»Och, das, was sie erzählt hat, genügt schon«, erwiderte Jewgenij spitz. Beinahe konnte Johannes die Worte hören, die sein Freund in Gedanken hinzusetzte: »Erst nimmst du unser Land und jetzt mischst du dich in unsere Geheimnisse ein.« Doch sein Freund überraschte ihn.

»Nun, ich hätte es dir schon lange erzählen sollen«, sagte er nach einer Weile. »Es ist eine alte Geschichte. Du ahnst nicht, wie oft meine Großmutter von nichts anderem redet. Die Sage von dem Unterpfand – sie ist für uns wie ein Gebet.« Er räusperte sich und rezitierte wie ein Märchenerzähler: »›Den Schatz hält eine Affenfaust, die Faust steckt in einer Muschel, die keine ist. Die Muschel befindet sich in einem Beutel aus gelbem Samt, der Beutel in einem Kästchen und das Kästchen in einer Truhe, die das Bild eines geflügelten Fisches trägt.‹ Wir werden wahnsinnig darüber – und der Narr träumt davon.