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Seit Johannes’ Besuch bei Dr. Rosentrost waren die Bauarbeiten der Peter-und-Paul-Festung vorangetrieben worden. Schon vom Lastkahn aus konnte Johannes die Fortschritte erkennen. Die ersten Grundmauern wuchsen aus dem Boden und die Befestigung und Aufschüttung ließ schon jetzt die imposante Größe der späteren Festung erahnen. Die Schläge der Steinmetze hallten durch die Luft und die Baumeister und ihre Gehilfen wimmelten wie Ameisen auf der entstehenden Festung. Mit Knutenschlägen und Gebrüll trieben die Aufseher die Leibeigenen zur Arbeit an.

An diesem Tag räkelte sich die Newa träge in einer diesigen Augustsonne. Der Fährkahn, auf dem Johannes saß, lag tief im Wasser. Sorgfältig hatte Johannes die Gerüststreben zusammengebunden, deren Aufbau er heute anleiten würde. Es freute sich darauf, den Tag nicht in der Werkstatt verbringen zu müssen. Unauffällig hatte er nach der Russalka Ausschau gehalten, aber heute war der Fluss bis auf das Heer von Lastkähnen und Booten unbewohnt. Zar Peter war nach Moskau gereist. Doch auch in seiner Abwesenheit liefen die Arbeiten weiter wie ein Fuhrwerk, dessen Zugpferde sich auch ohne die Peitsche ihres Herrn mit aller Kraft ins Geschirr legten.

Sehnsüchtig blickte Johannes zum Hafen. Nur wenige Schiffe lagen heute vor Anker. Für einige verträumte Augenblicke stellte er sich vor, wie er auf seinem Schiff stand – eine aus Holz geschnitzte Nixe als Galionsfigur am Bug, prächtige große Rahsegel gebläht im Wind. Er würde hinausfahren auf die Ostsee und von dort die Küsten entlang bis in die Gefilde, die noch niemand kannte. Die Russalkas würden ihn begleiten – glänzende Gestalten, die auf der Bugwelle ritten. Er schreckte auf, als eine Welle gegen die Kahnwand schwappte. Ein Schiff strich an ihnen vorbei, die Segel gebläht – ein Zweimaster, an Bord waren Soldaten.

Es war nicht ganz einfach, die Holzplanken am Newator auszuladen, aber die Schauerleute verstanden ihr Handwerk und wuchteten auf Johannes’ Anweisung die Gerüste an Land. Sogar ein Karren, auf dem sonst nur Steine transportiert wurden, stand bereit, da die Bauteile für das Gerüst ein ganzes Stück gefahren werden mussten.

»Ah, da bist du!«, rief Carsten Sund ihm zu und strahlte über das ganze runde Gesicht. »Wir müssen schnell arbeiten, Trezzini will das Gerüst vor Sonnenuntergang sehen.«

Die Arbeit war schwer, aber die Sonne schien, das Rauschen des Flusses umhüllte ihn, Carsten Sunds Leute hörten auf seine Befehle und die Gerüstwinkel passten bis auf ein Haar genau. Gute Arbeit war es und für einige Stunden vergaß Johannes die Katzen, die Verschwörung, sogar die Russalka. Flink kletterte er auf die oberen Plattformen, um die Querbretter einzuziehen, und hatte plötzlich einen guten Blick auf das Kronwerk, die Verteidigungsmauer, die der Haseninsel vorgelagert war. Als die Sonne schon tief am Himmel stand, machten sie Rast und Carsten Sund packte gebratene Hasenkeulen und kalten Kohl aus. Er drückte Johannes sogar einen geschliffenen Kristallbecher mit Wein in die Hand und stieß mit ihm an. »Auf viele Aufträge, Johannes! Du arbeitest gut, ich hoffe, dein Onkel bezahlt dich angemessen.«

Johannes, der eben an dem Wein hatte nippen wollen, ließ erstaunt den Becher sinken. Noch nie war er auf den Gedanken gekommen, von seinem Onkel einen Lohn einzufordern. »Nun, ich lebe und esse bei ihm. Ich bin sein Lehrjunge, noch nie habe ich gehört, dass ein Lehrjunge eine Bezahlung einfordert.

Gewöhnlich zahlt man seinem Meister Lehrgeld.«

Sund lachte diebisch und klopfte ihm väterlich auf die Schulter. »Guter Mann. Aber sieh dir das Gerüst doch einmal an: Du bist längst kein Lehrjunge mehr.

Außerdem kannst du schnitzen, rechnen, sogar drechseln! Und du hast ein Auge für die Schönheit der Formen. Es wird Zeit, dass du auf eigenen Beinen stehst. Jede Schuld ist einmal beglichen und du könntest viel verdienen. Soll ich mit Michael reden?«

Johannes wurde rot und zögerte. Um den Moment zu überbrücken, nahm er einen tiefen Schluck von dem Wein. Er schmeckte schwer und würzig und stieg ihm sofort in den Kopf. Er fühlte sich stark und freute sich über das Lob. »Nein danke«, sagte er schließlich. »Wenn es nötig sein sollte, werde ich selbst mit meinem Onkel sprechen.«

»Trezzini braucht gute Leute. Dort drüben«, Sund deutete in Richtung der Holzkathedrale, »wird einst die mächtigste und schönste Kirche des Zarenreiches stehen. Du kannst ein angesehener Palastzimmermann werden – oder als Tischler Türen und Täfelungen fertigen.«

Johannes starrte nachdenklich in seinen Wein.

Möglichkeiten blitzten darin auf und tauchten wieder ab, doch eine Frage ließ sich nicht vertreiben. »Und was ist, wenn der Zar stirbt und es gar keine Paläste geben wird?«

Der Baumeister starrte ihn an, als hätte er gefragt, was geschähe, würde die Sonne verlöschen. »Wieso sollte er sterben?«, fragte er.

»Im Gefecht möglicherweise«, beeilte sich Johannes zu sagen. »Oder an einer Krankheit – an der Brustwassersucht vielleicht oder am Fieber. Auch Zar Peter ist nur ein Mensch. Alles hängt an seiner Macht und seinen Entscheidungen, vor allem wir, die er in sein Reich geholt hat. Die Bauern hassen uns.«

Sund schüttelte den Kopf. »Natürlich hassen uns die Bauern. Alle Sklaven hassen ihre Herren, sieh nach oben, Johannes, niemals nach unten, hörst du?

Sollte er umkommen, was Gott verhindern möge, wird ein anderer Zar an seiner Stelle regieren. Für gute Zimmerleute wird es immer Arbeit geben.«

Johannes nahm noch einen Schluck Wein. »Ich will nicht mein ganzes Leben lang Türen herstellen, Meister Sund. Aber ich danke für das Angebot.«

Sund verzog den Mund. »Was ist verkehrt an Türen?«, sagte er ärgerlich. »Was willst du dann?«

»Schiffe«, erwiderte Johannes.

Carsten Sund starrte ihn perplex an, dann begann er zu lachen. Mit seiner breiten Hand wischte er sich den Schweiß von der Stirn und seufzte. »Schiffe, soso. Nun gut, pass auf, ich mache dir einen Vorschlag: Bei mir könntest du genug Geld verdienen, um später sogar dein eigenes Schiff zu bauen. Ich kenne Leute, wichtige Leute, auch in der Werft. Du könntest Schiffszimmermann werden, später Schiffsbaumeister – und dann erlernen selbst ein Schiff zu segeln.«

Er lehnte sich zurück und zupfte sein Halstuch zurecht. Er sah aus, als würden hinter seinem gemütlichen Gesicht viele Gedanken einen schweren Kampf ausfechten. Strategien wurden erwogen und verworfen. Staunend wurde Johannes klar, wie viel Carsten Sund daran lag, ihn abzuwerben. Ein bisschen machte ihn diese Erkenntnis stolz.

»Ich möchte dir für den Anfang beweisen, dass ich dir viele Tore öffnen kann«, sagte Sund nun. »Du verkaufst mir eins deiner Modellschiffe. Ich brauche ohnehin ein Geschenk für … eine wichtige Person.

Du wirst sehen, wie schnell man in der Werft deinen Namen kennen wird. Du kannst diese Verbindungen nutzen – unter der Bedingung, dass du zwei Jahre bei mir arbeitest und nur meine Aufträge annimmst.« Er lächelte schmal. »Es liegt an dir.«

Für einen Augenblick war Johannes versucht. Der Wein ließ seine Lider angenehm schwer werden. Der Weg, der sich vor ihm auftat, war erstaunlich gerade und einfach zu gehen. Da war nur ein Hindernis: sein Onkel. Er konnte ihn nicht alleine in seiner Werkstatt zurücklassen. Lange würden seine Hände nicht mehr zur Arbeit taugen, die Gelenkschmerzen machten ihm immer mehr zu schaffen. Andererseits – wenn er für Sund arbeitete, konnte er einen Teil seines Lohns Marfa und Michael geben.

»Ich überlege es mir«, sagte er und kam sich vor wie ein Verräter.

»Mehr wollte ich nicht hören, Zimmermann!«, rief Sund und stürzte den Rest des Weines in einem Zug hinunter.

Das fertige Gerüst sah majestätisch aus, fand Johannes. Stolz und Wein pochten durch seine Adern und wärmten ihn. Nicht einmal eine Sturmflut würde das Gerüst umreißen. Er freute sich darauf, Jewgenij davon zu erzählen.