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Johannes hätte gerne über dieses Verhalten gelächelt, aber seit dem gestrigen Tag war ihm nicht mehr danach zumute. Ein Verdacht drängte sich ihm auf. Sollte Iwan …? Hastig sprang er auf, schob seine Decke beiseite und klappte den Deckel der Sitzbank hoch, dessen Holz von seinem Schlaf durchwärmt war. Seine Kiste war noch da, so wie er sie hineingelegt hatte. Trotzdem zog er sie hervor und öffnete sie. Er fand nichts Ungewöhnliches. Kein untergeschobenes Bild eines Katers, der den Schnurrbart des Zaren trug. Erleichtert atmete er auf, aber dann fiel ihm ein, dass er an der Stelle eines Verschwörers das Bild ein bisschen besser verstecken würde, und begann Brief für Brief hervorzuziehen und zu entfalten. Christines Bildnis lächelte ihm engelhaft und abwesend zu, da war Simons Nachricht und andere Schreiben, aber nichts Verdächtiges.

Endlich war er beim letzten Stück Papier angelangt – der alte Brief von Onkel Michael. Johannes zog ihn heraus und wendete ihn hin und her. Mitten in der Bewegung stutzte er. Es war derselbe Brief, kein Zweifel. Aber ihm war, als würde er ihn zum allerersten Mal sehen. Da war sie – die Zeichnung der Kiste, die sein Onkel vor vielen Jahren für einen Adligen gefertigt hatte. Es erforderte viel Geschick, solche komplizierten Intarsien zu schnitzen und einzulegen, die dieses filigrane Wappen verlangte: das Bild eines geflügelten Fisches.

* * *

Erstaunlicherweise ging das Leben weiter wie bisher.

Marfa war erleichtert, dass die Nachricht über die ertränkten Katzen bei Derejew angekommen war.

Johannes erschien dieses ganze Gefüge wie ein Haus aus Reisig, das jederzeit zusammenbrechen oder in Flammen aufgehen konnte. Carsten Sund kam vorbei, besprach die neuen Pläne, lobte aber Johannes nicht für seine gestrige Arbeit. Johannes begriff, dass es für den Baumeister ein Spiel mit hohem Einsatz war. Er wollte Johannes abwerben, dafür durfte er Michael nicht zeigen, wie wertvoll sein Lehrling für ihn war. Allerdings ließ er seinen Blick anerkennend über das Modell der Sankt Paul gleiten und zwinkerte Johannes zu. Im selben Augenblick beschloss Johannes, das Schiff nie und nimmer zu verkaufen.

Mehrmals vergewisserte er sich, ob der Zettel, auf dem er die Kiste und das Wappen hastig nachgezeichnet hatte, noch an seinem Platz war. Mitja war wie vom Sumpf verschluckt. Kurz überlegte Johannes, ob der Gottesnarr vielleicht das Schicksal des rebellischen Leibeigenen teilte, aber er beruhigte sich sofort mit dem Wissen, dass der Narr nach den hiesigen Vorstellungen heilig war. Niemand würde es wagen, ihm etwas zuleide zu tun, nicht einmal Derejew.

Am Nachmittag kam eine neue Fuhre aus Moskau an und Johannes nutzte die Gelegenheit, um mit Iwan zur Werft zu eilen, wo die Waren verkauft und Briefe verteilt wurden. Er bekam ein schlechtes Gewissen, als er sah, wie Leute dem Fuhrmann, der am folgenden Tag wieder zurückkehren würde, Briefe übergaben. Bestimmt wartete Christine sehnsüchtig auf eine Nachricht von ihm, er dagegen hatte nicht einmal daran gedacht, ihr zurückzuschreiben. Aus Nowgorod waren neue Arbeiter gekommen, die ihren Aufsehern zugewiesen wurden. Johannes kaufte Mehl und Zucker, teure Gewürze und eingelegtes Kraut und packte die Sachen in die großen Taschen, die Marfa ihm mitgegeben hatte. Iwan ließ es schweigend und mit unbewegtem Gesicht geschehen, dass sich Johannes den größten Teil der Last auflud.

Andere Leibeigene waren ebenso alt wie Iwan, schleppten aber so viel, dass sie schwankten. Johannes beeilte sich, denn er sah sehr wohl, wie sich Iwan die ganze Zeit über verstohlen umsah, als würde er fürchten überfallen und geschoren zu werden. Johannes glaubte sich beobachtet und hatte das Gefühl, überall die Schatten toter Katzen zu sehen. Natürlich fielen ihm auch einige von Derejews Leuten auf, die ihn musterten, sich aber nichts weiter anmerken ließen. Er musste einen kühlen Kopf bewahren. Jewgenij konnte er nirgends entdecken, doch er traf einen Apothekenhelfer, der einen in ein Tuch eingewickelten Fisch trug. Der Schwanz, der aus dem Bündel ragte, war säuberlich abgeschnitten. Genauso bereitete Jewgenij seine Fische für den Verkauf vor. Russalkas naschten Fischflossen so gern wie die Menschen Apfelschnitze und Jewgenij hob sie ihnen von seinem Fang auf.

»Lass uns gehen«, knurrte Iwan.

Johannes sah ihn verblüfft an. Es war das erste Mal, dass Iwan einen Wunsch äußerte. »Ja«, antwortete er. »Sicher, wir sind fertig. Gib mir die Tasche, ich muss ohnehin in die Werkstatt zurück.«

Iwans Blick zuckte über seine Schulter, dann schlug der Alte die Augen nieder.

»Was ist?«, fragte Johannes leise.

»Nichts«, murmelte Iwan. »Gott hat ein Auge auf dich, das ist alles.«

»Was meinst du?«

Iwan musterte konzentriert die Einkäufe. Ohne den Blick zu heben sagte er: »Der Gottesnarr – er folgt dir schon den ganzen Tag, aber er hält sich in deinem Rücken.«

»Wo ist er jetzt?«, flüsterte Johannes.

»Hinter der Schnitzerei, er späht auf der linken Seite um die Ecke.«

»Gut, geh vor, ich komme später nach.«

Iwan sah ihn entsetzt an. »Ich habe dir gesagt, halte dich von ihm fern! Einem Ketzer wie dir bringt er Unglück!« Er verstummte. Noch während er den Satz ausgesprochen hatte, war ihm klar geworden, dass er den Neffen seiner Herrin beleidigte.

»Ist schon gut, Iwan. Wenn es so ist, habe ich das Unglück eben selbst herausgefordert.«

Bevor Iwan etwas erwidern konnte, drehte sich

Johannes um und ging auf die Schnitzerei zu. Natürlich war Mitja verschwunden. Johannes bog nach rechts ab, schlüpfte hinter das Haus und stellte seine Tasche ab. Dann schlich er um die Ecke. Er hatte richtig vermutet. Mitja ging vor wie ein Kind, das versuchte sich zu verstecken. Mit dem Rücken zu ihm stand er hinter dem Haus und lugte um die Ecke.

An den Schultern war sein Soldatenrock so abgewetzt, dass Mitjas erstaunlich saubere Haut durch den fadenscheinigen Stoff schimmerte.

»He!«, sagte Johannes leise.

Der Narr fuhr herum. Schneller, als Johannes denken konnte, zuckte ein Messer durch die Luft. Einen Lidschlag später sauste es an Johannes’ Arm vorbei, dann hatte er dem Narren die Waffe schon aus der Hand gewunden. In hohem Bogen flog das Messer davon. Mitja heulte auf. Sofort ließ Johannes ihn wieder los. Seine Hände zitterten. »Mitja, bist du verrückt?«, zischte er und wurde sich im selben Moment bewusst, wie aberwitzig diese Frage war. »Ich bin es!«

»Katzen und Ratzen«, erwiderte Mitja mürrisch.

Abwesend betrachtete er Johannes’ Handfläche. Erst jetzt bemerkte auch Johannes das Pochen und sah, dass das Messer ihm einen winzigen Schnitt beigebracht hatte. Ein perfekter Blutstropfen quoll hervor und bildete eine große Perle. Mitjas Augen wurden groß. Dann strahlte er Johannes an, als hätte er ihn eben erst erkannt. Johannes kämpfte seinen Ärger nieder und zog mit seiner unverletzten Hand die Zeichnung aus der Tasche. »Hier!«, raunte er. »Sieh dir das an – hast du davon geträumt?«

Mitja sah verständnislos die Zeichnung der Kiste mit dem fliegenden Fisch an und zuckte die Schultern. Das Messer, woher er es auch immer hatte, war völlig aus seinem Gedächtnis verschwunden. »Den Schatz hält eine Affenfaust«, sang er vor sich hin.

»Die Faust steckt in einer Muschel, die es nicht gibt.