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Mitja hatte die Hand erhoben und sah aus, als wollte er der Russalka zuwinken. Johannes konnte die Verwirrung in seinen Augen nur zu gut ablesen.

Der Gottesnarr entdeckte seine geliebte Nixe und begann zu strahlen. »Russalka!«, rief er. »Heute holt die Flut die Heuschrecken!« Mit einem Schaudern erkannte Johannes einen zerschlissenen Beutel in Mitjas Hand. Der Narr und die Nixe, summte es in seinem Kopf wie ein Lied. Vielleicht ist es eine Lösung.

»Sie wird dich nicht mitnehmen«, rief Karpakow dem Narren zu. »Du kannst es ihr nicht befehlen. Ich aber – ich kann es ihr sagen. Ich bin der Hüter des Schatzes!«

Mitjas sah aus wie ein ernsthafter, wenn auch verwirrter junger Mann. »Hüter des Schatzes«, wiederholte er.

»Der Gottesnarr weiß die Antwort!«, rief Karpakow den Menschen am Ufer zu. »Gott selbst wird mir die Macht geben über den Zaren. Ich bin euer Erlöser vom Zarenjoch. Verrecken wird dieser Knechter und mit ihm diese Stadt! Ersaufen werden alle, die mir nicht folgen.« Die Soldaten am Ufer, die bisher stumm vor Staunen gewesen waren, wurden unruhig. Panik breitete sich aus. Aber Karpakow glaubte seinen eigenen Worten, es war ihm bitterernst. »Gib mir die Perle!«, sagte er sanft.

Endlich hatte Johannes es geschafft, an Land zu kommen. »Er lügt!«, schrie er Mitja zu. »Du bist der Hüter der Perle – du hast sie in der Hand. Gib sie der Russalka! Jetzt!« Mitja zögerte. Gesichter wandten sich Johannes zu. Nun entdeckte ihn auch Derejew.

Mitja warf einen Blick auf ihn, sah zu Johannes’ zerschundenem Gesicht, sah die Russalka in den Fluten.

Das Wiedererkennen glitt wie ein Sonnenstrahl über seine Züge.

Im nächsten Augenblick sprang Derejew vor und packte den Gottesnarren. »Gib sie mir!«, keuchte er und griff nach der Perle. Aber Mitja wehrte sich. Derejew hob seine Pistole. Im nächsten Augenblick peitschte ein Schuss. Feuer fraß sich in Johannes’ Schulter, der Schlag warf ihn zurück ins Wasser. Das Letzte, was er sah, waren Derejews vor Hass verzerrtes Gesicht und Mitja, der ihn wie ein Bär umklammerte. Der klagende Ruf der Russalka durchschnitt das Wasser. Verzweifelt kämpfte sich Johannes wieder an die Oberfläche. Kein Blut färbte das Wasser um ihn herum, und als er einen flüchtigen Blick auf seine Schulter warf, erblickte er zu seiner Überraschung keine tiefe Wunde, sondern nur verbrannte Haut und eine seltsam gerade Spur im Fleisch. Dafür blutete Mitja. Ein roter Fleck breitete sich auf seiner Uniform aus. Langsam ging der Gottesnarr in die Knie. Seine Hand fiel von Derejews Faust, die die Perle der Russalka umklammert hielt.

»Er hat den Gottesnarren getötet«, wisperte es in der Menge. »Den Gottesnarren!« Paradoxerweise fühlte Johannes sich an die Szene erinnert, als er am Newaufer stand, wo ein ertrunkenes Mädchen geborgen worden war – vor Ewigkeiten, wie ihm schien.

Derejew sah sich um, ein Schuss peitschte über ihn hinweg. »Mörder!«, gellte es aus den Reihen. Mit wenigen Sätzen erreichte der Oberst das Gerüst und schwang sich auf die Plattform. Von dort aus sprang er mit Karpakow auf einen der Lastkähne und löste das Seil. Karpakow lächelte, als er das Säckchen mit der Perle in Empfang nahm. Er schien zu wachsen wie ein Schatten. Seine dunklen Augen fanden Johannes, der im Wasser stand, fassungslos, in der Brust das brennende Feuer der Enttäuschung.

»Holt die Wasser!«, befahl der alte Bojar den Russalkas. »Verschont uns und ertränkt den Zaren, zerschmettert die Stadt!« Seine Stimme donnerte über das Wasser. Die Wälle der gegenüberhegenden Festung waren schwarz von Menschen, die auf die Newa starrten.

Erschießt ihn!, bettelte Johannes in Gedanken. So viele Kanonen für Kreuzfeuer – und niemand sieht, was hier geschieht!

Karpakow holte die Perle aus dem Beutel und warf sie in die Luft. Sie drehte sich, ein vollkommener Blutstropfen. Ein Fauchen ging durch die Reihen der Russalkas, Wellentäler bildeten sich, es war ein gewaltiges Atemholen. Johannes konnte spüren, wie die Fessel von Karpakows Befehl sich um den Willen der Nixe schlang. Immer noch hielt sie Jelena in den Armen. Für kurze Zeit war sie noch die Russalka – seine Russalka, deren Blick auf Mitjas totem Körper ruhte. Der Narr lag im Wasser wie ein Kind auf einer Sommerwiese, seine Hand trieb offen und dem Himmel zugewandt auf den Wellen.

»Lass Jelena nicht los!«, flehte Johannes gegen den Sturm. »Bitte, lass sie nicht los!« Aber die Russalka gehorchte nun dem Fluss, wurde eins mit dem Befehl, auf den sie viele Jahrhunderte gewartet hatte. Ein letztes Mal trafen sich ihre Blicke und Johannes sah in das Gesicht des Todes. Schwarz und grausam waren die Augen des Wesens, das sich nun über Jelena beugte, sie küsste und losließ. Jelenas Gesicht versank wie eine Blüte, die ein Fisch unter Wasser zieht.

»Nein!«, schrie Johannes, dann warf er sich wie besessen in das Wasser und schwamm, bis seine Arme taub waren. Fluten warfen ihn herum, aber es war ihm gleichgültig, ob er ertrinken würde. Aus dem Augenwinkel sah er eine gewaltige Flutwelle, die sich am Horizont auftürmte, er fühlte den Sog gewaltiger als einen Orkan und wusste, dass er und alle anderen in dieser Stadt verloren waren. Er tauchte und bekam einen Arm zu fassen, in den die Fesseln tief einschnitten, aber der Sog entriss ihm seine Beute, ließ ihn trudeln, drückte ihm Wasser in die Lunge und wirbelte ihn herum, bis sein ganzer Mund voll sandigem Newaschlamm war. Hass wallte in ihm auf. Ein Gesicht erschien neben ihm, älter als die anderen, schrecklicher, ein Seeungeheuer, von dem er dachte, es würde ihn verschlingen. Schuppen rieben an seiner Kehle, das Flusswesen drückte ihn gegen etwas Hartes. Reflexartig griff Johannes zu. Es war der Lastkahn. Wie ein Korken trieb er auf dem Wasser, gehalten und gehütet von Russalkas. Auf den Knien lag Karpakow darauf. Er und Derejew duckten sich vor den Schüssen, die die Soldaten am Ufer in Panik abfeuerten. Die gewaltige Woge walzte heran.

In wenigen Augenblicken würde die Stadt vernichtet werden. Zurückbleiben würden die Reste einer Sandburg, die eine gewaltige Welle zerstört hatte, und die Tränen eines enttäuschten Kindes.

Johannes war blind vor Schmerz; alles, was er sah, war Karpakow. Alle Predigten, die er in seinem Leben gehört hatte, fielen ihm ein. Aber er dachte gar nicht daran, zu verzeihen, er wollte die Rache nicht dem Himmel überlassen. Mit einem Schrei stürzte er sich auf Karpakow. Der alte Bojar fuhr herum. Aus seiner Kehle kam ein erstickter Schrei, dann lagen schon Johannes’ Hände um seinen Hals. Er drückte zu, bis das bärtige Gesicht rot anlief und die Augen aus den Höhlen quollen. Es erstaunte ihn beinahe, dass es noch eine andere Welt außerhalb dieses Hasses gab, eine nasse Welt, starke glatte Arme, schnappende Zähne. Es war die Russalka. Seine Russalka. Aber nun waren ihre Augen ganz und gar schwarz, Zähne glänzten im Sturm. Sie fauchte ihn an und er erkannte, dass sie ihn töten würde. Mit einer schlängelnden Bewegung bog sie seine Hände auf. Wasser kroch ihm unter die Arme, riss ihn hoch und schleuderte ihn fort. Während die Wellen ihn herumwarfen, sah Johannes, wie sich Karpakow, den die Russalka gerettet hatte, keuchend an die Kehle griff und hustete.

* * *

Ob er tot war, konnte er nicht sagen, aber für die Hölle war es eindeutig zu nass. Außer dem Schmerz in seiner Schulter spürte er kleine Wellen, die wie übermütige Welpen an seinen Unterschenkeln leckten. Da war Strömung, aber er lag auf etwas, das hart und kalt war. Vorsichtig öffnete er ein Auge. Der Horizont war immer noch da. Die Russalka hat Karpakow gerettet, dachte er. Und der nächste Gedanke, der ihm ein glühendes Eisen in die Brust stieß: Und Jelena hat sie ertrinken lassen. Bitter schmeckte die Luft, die zu atmen er verdammt war. Es tat weh, den Kopf zu heben.