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Jelenas Blick wanderte zu seinem Bündel, aus dem der Axtgriff ragte. Sie begriff. »Katka?«, rief sie.

»Sie wird dir den Kopf abreißen. Glaube nicht, dass sie die Deutschen plötzlich liebt.«

»Was kümmert mich Katkas Hass, solange du mich irgendwann liebst«, rutschte es ihm heraus. Einen gespannten Augenblick schalt er sich und hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen, aber dann stellte er fest, dass sie nicht widersprach. Er beeilte sich weiterzusprechen. »Es ist kalt geworden seit der Flut. Die Winterstürme werden bald kommen. Ich habe Medizin für Katkas Husten. Und euer Haus ist ein Meisterstück für jeden Zimmermann. Das Holz, das ich im Boot mitgebracht habe, wird natürlich auf keinen Fall genügen. Wir werden neues schlagen müssen.« Er holte tief Luft und sah sie mit festem Blick an. Nun kam der eigentliche Teil seiner Rede.

»Diesmal wirst du mich nicht los, Jelena Michailowna. Nicht bevor ich euch geholfen habe euer Haus zu reparieren. Wenn du allerdings danach willst, dass ich gehe, werde ich gehen. Und solltest du irgendwann in Zukunft doch noch einen Fuß auf unser Schiff setzen wollen, dann weißt du ja, wo du mich findest.«

Ihr Mundwinkel zuckte, immer noch hatte sie ihre Arme verschränkt und die zu Fäusten geballten Hände in ihre Achselhöhlen gedrückt. Ein oder zwei Augenblicke hielt sie das Bollwerk aufrecht, dann bröckelte es und der Sonnenstrahl eines verschmitzten Lächelns durchbrach die Mauer. »Was für eine wohlgesetzte Rede, Johannes. Aber weißt du, worauf du dich mit Katka einlässt? Du denkst, Karpakow war ein schwerer Brocken?«

»Nein«, antwortete Johannes prompt. »Der schwere Brocken – das bist du!«

Sie sah ihn verblüfft an, dann lachte sie. Plötzlich war jeder Schmerz, jede Müdigkeit, jeder Zweifel weggespült. Er lachte mit, ohne etwas dagegen tun zu können. Seine Fassade brach und er war nur noch Johannes, der verliebte Narr. Nach einer Weile standen sie sich wieder schweigend gegenüber, doch die Fremdheit war zu etwas anderem geworden, immer noch vorhanden, aber nicht mehr beängstigend.

»Nun gut«, sagte Jelena schließlich. »Dann zeig mal, wie gut du gegen Drachen kämpfen kannst.« Sie wandte sich um und winkte ihm, ihr ins Haus zu folgen. Johannes schulterte sein Gepäck und beeilte sich, zu ihr aufzuholen. Er hatte Jelena zum Lachen gebracht, immerhin. Für ein neues Haus, eine neue Stadt, eine neue Zeit war das sicher nicht der schlechteste Anfang!

Geschichten, Geister und Gerüchte – ein Nachwort

Die Newamündung im Sommer 1706: Tausende von Leibeigenen rammen Eichenpfähle in den Boden, schaufeln mit bloßen Händen Erde in Säcke oder oft auch nur in Rockschöße und Jacken und schütten das sumpfige Erdreich auf. Man hat bereits damit begonnen, die Erdwälle der Peter-und-Paul-Festung auf der Haseninsel durch Steinmauern zu ersetzen. Noch gleicht die Stadt, die hier den Sümpfen abgetrotzt wird, an vielen Stellen einer schlammigen Barackensiedlung. Die Arbeitsbedingungen sind unmenschlich, die Arbeiter, die aus allen Teilen des Zarenreiches zur Fronarbeit rekrutiert wurden, leiden unter den Mücken und Krankheiten, den Winterstürmen und der Nahrungsknappheit. Viele von ihnen kommen zu Tode. Erst wenige Jahre zuvor war die schwedische Festung Nyenschanz, die an diesem Ort gestanden hatte, gefallen; nach wie vor tobt der Nordische Krieg gegen Schweden unter Karl XII. Endgültig gesichert ist die Stadt, deren Grundstein (wahrscheinlich war es eher eine Torfsode) im Mai 1703 gelegt wurde, noch lange nicht. Manchmal hören die Arbeiter an Land sogar die Geschützfeuer der Seeschlachten.

Den Entschluss, mitten in diesem sumpfigen Ufergebiet der Newamündung eine große Stadt buchstäblich aus dem Boden zu stampfen, fasste einer der größten russischen Herrscher: Zar Peter I. auch Peter der Große genannt. Eine Festungsstadt sollte Sankt Petersburg werden, mit einer gewaltigen Werft und einem Hafen, der einen direkten Zugang zur Ostsee bot. Peters Bestrebungen gingen dahin, das Russische Reich zu einer großen Seemacht zu machen.

Bisher hatte das Land nur über einen einzigen Meerhafen verfügt – Archangelsk an der Weißmeerküste.

Nach Peters Vorstellungen nahm die am Reißbrett entworfene Stadt Formen an. Häuser und Paläste aus Stein statt – wie in Moskau – aus Holz sollten es sein, Kanäle wie in Amsterdam und Venedig, prächtige Gärten und steinerne Prachtstraßen. Um diese Vision zu verwirklichen warb Peter unzählige Architekten, Wasserwerker, Kanalbauer und Zimmerleute aus Deutschland, Holland, Frankreich, Italien und anderen Ländern an. Manche kamen aus dem Ausland, viele aber auch aus Moskau, aus der »Nemezkaja Sloboda« (»Deutsche Vorstadt«), wo Einwanderer aus den verschiedensten Ländern lebten, von der einheimischen Bevölkerung mit Argwohn betrachtet und nicht selten als »Ketzer« beschimpft.

Wenige Jahre später war die Stadt aus dem Sumpf Wirklichkeit geworden und wurde sogar zur neuen Hauptstadt des russischen Zarenreiches bestimmt – eine Idee, die Zar Peter vermutlich erst während der Bauphase gekommen war. Heute wird Sankt Petersburg auch als »Peters Tor zum Westen« oder »Tor zu Europa« bezeichnet. Die Stadt zu besiedeln stellte das geringste Problem dar – Peter befahl den Adligen, Bürgern, Arbeitern sich dort anzusiedeln und ihr Baumaterial gleich mitzubringen.

Manche Historiker sind der Ansicht, die Bezeichnung »groß« würde nur für Zar Peters Körpergröße zutreffen (Peter maß mehr als zwei Meter) und der Beiname »Der Schreckliche« würde viel besser zu ihm passen. Mit eiserner Hand ordnete er sein Reich neu, schaffte eine Verwaltung nach westeuropäischem Muster, baute eine straff organisierte Armee auf, kümmerte sich um Industrie und Medizin. Er sprach Deutsch und Holländisch und liebte es, sich in der »Ausländervorstadt« in Moskau aufzuhalten.

Seinen Charakter umschrieb ein Historiker mit dem Begriff »barbarische Brutalität«. Zweifellos war Peter eine schillernde und ambivalente Persönlichkeit, manchmal sanft und großzügig, oft unberechenbar, aufbrausend und grausam.

Kein Wunder, dass sich viele Geschichten um ihn und seine neue Stadt ranken. Sankt Petersburg sei, so lautet ein oft zitierter Satz, auf den Knochen unzähliger Fronarbeiter erbaut. In manchen Quellen wird von Zehntausenden oder gar Hunderttausenden von Toten gesprochen. Wie bei vielen Legenden hält sich die tatsächliche Zahl der Todesopfer vermutlich in einem gemäßigteren Bereich der Skala auf. So sagt zumindest der Sankt-Petersburg-Kenner Nikolai von Michalewsky, den viele besser als den Science-Fiction-Autor Mark Brandis kennen. An seine Zahlen und Fakten habe ich mich hier gehalten.

Sehr spannend war es, in einem alten »Tagebuch einer Reise nach Russland« zu lesen, das der Gesandte Johann Georg Korb Ende des 17. Jahrhunderts verfasst hat. Die Schilderungen der Bräuche, der Lebensart in der Deutschen Vorstadt in Moskau und auch die Beschreibung des Zaren gründet auf Korbs Schilderungen – ebenso die Wiedergabe des »Blutgerichts«, das Zar Peter über die Strelizen hielt. Im Buch »Ärzte im Russland des 18. Jahrhunderts« fand ich das Vorbild für den Medicus Dr. Thomas Rosentrost, der im Roman eine wichtige Rolle spielt. Im wirklichen Leben hieß dieser Arzt Laurentius Blumentrost d. J. und verwaltete unter anderem Zar Peters »Kunstkammer«.

Apropos Zeit: Die Geschichte spielt zwar im Jahr 1706, ich habe aber hier und da gemogelt und bestimmte Ereignisse bei Bedarf ein bisschen vorverlegt, damit sie besser zur Romanhandlung passen.

Einige Beispiele: Das Newator an der Peter-Paul-Festung wurde erst in späteren Jahren gebaut, Zar Peters »Monster-Erlasse« stammen ebenfalls aus späterer Zeit. Bei der Stadtplanung habe ich mich an einen Plan von 1712 gehalten, der vorsah, die Wassilijewskij-Insel zum Zentrum der neuen Stadt zu machen. Ein Vorhaben, das sich aus logistischen Gründen nicht verwirklichen ließ. Für eine wirklich realistische Darstellung der Arbeiten im sumpfigen Gelände hätte zudem eine Beschreibung der unglaublichen Stechmückenplage nicht fehlen dürfen. Buschwerk und Bäume entlang des Ufers finden sich zwar auf einigen alten Kupferstichen, als Sichtschutz habe ich sie jedoch etwas größer gemacht, hier und da ein »Wäldchen« hinzugefügt und das Ganze näher am Ufer wachsen lassen. Das Städtchen Jesengorod dagegen ist völlig frei erfunden und steht an einem für damalige Verhältnisse wirklich unrealistischen Ort.