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Auf der vorgelagerten Haseninsel erhob sich dagegen ein weit imposanterer Bau: Auf einem Fundament aus Eichenpfählen stand bereits die Peter-Paul-Festung in Form eines länglichen, unregelmäßigen Sechsecks. Mehrere Bastionen waren angelegt, bereit jedem Gegner zu trotzen. Gerade war damit begonnen worden, die aufgeschütteten Erdwälle durch Steinmauern zu ersetzen. Doch schon jetzt gab die Festung ein großartiges Sperrwerk ab: So weit die Kanonen schießen konnten, war es möglich, jeden Punkt zu Wasser und zu Lande von den Bastionen aus unter Kreuzfeuer zu nehmen. So war die neue Stadt sowohl gegen die Angriffe der schwedischen Flotte von der Seeseite als auch vor schwedischen Landtruppen, die von Finnland oder von Livland aus angreifen konnten, geschützt.

Weiter links lag das zukünftige Zentrum der Stadt: die Wassilijewskij-Insel. Manche nannten sie auch Fürst Menschikows Insel, nach dem besten Freund des Zaren, der auch der Gouverneur der entstehenden Stadt war: Alexander Menschikow. Hier, an der östlichen Spitze, befand sich der Hafen. Enttäuscht erkannte Johannes jedoch, dass er an diesem Morgen keines der großen Schiffe zu sehen bekommen würde. Lediglich die üblichen Schwärme von Transportkähnen fuhren ihre Güter über den Fluss, außerdem kreuzten kleinere Ruderboote ihren vorgezeichneten Weg. Johannes’ Herz schlug höher, wenn er an die zwei Jachten des Zaren dachte, deren Konstruktion er inzwischen bis hin zum kleinsten Knoten an den Focksegeln auswendig kannte: die Sankt Peter und die Sankt Paul. In Amsterdam hatte sich der Zar zudem vor über zehn Jahren die erste Fregatte bauen lassen, der Grundstein zu seiner eigenen Flotte, die inzwischen um ein Vielfaches angewachsen war. Zu dieser Flotte gehörte auch ein schwedisches Schiff, das der Zar eigenhändig gekapert hatte. Johannes zog es nicht in die Seeschlachten, sehr wohl aber aufs Meer und am allermeisten in die Werft, die durch den Fluss getrennt schräg gegenüber vom Hafen auf dem südlichen Flussufer lag.

»Na, träumst du wieder?«, fragte Onkel Michael.

Johannes nahm sich zusammen und wandte sich wieder dem Gerüst zu, mit dem er gerade beschäftigt war. Der Hammer lag ihm heute schwer in der Hand.

Onkel Michael warf ihm einen düsteren Blick zu.

»Es ist ein langer Weg zum Schiffszimmermann«, sagte er, als seien Johannes’ Gedanken in schwarzer Schrift auf seine Stirn geschrieben. »Und wenn du meinst, du kommst schneller dorthin, wenn du bei mir die Zeit vertrödelst, hast du dich getäuscht.«

»Du würdest mich ohnehin nicht weglassen«, murmelte Johannes. Er widersprach seinem Onkel nicht oft, heute aber stieg seltsamerweise ein tiefer Ärger in ihm auf, Ärger darüber, dass sein Onkel mürrisch und unnahbar war.

»Aus gutem Grund«, gab Michael prompt zurück.

»Erstens brauche ich dich in der Werkstatt und zweitens möchte ich nicht, dass die See dich verschlingt.«

»Ich spreche nicht davon, Matrose zu werden«, erwiderte Johannes ernsthaft. »Ich spreche davon, Schiffe zu bauen.«

»Erst baust du sie und dann ruft dich die See«, sagte Michael. »Ich kenne diesen Ruf und er hat mir kein Glück gebracht.«

Johannes schwieg. Noch nie hatte er gewagt, seinen griesgrämigen Onkel nach seiner ebenso geheimnisvollen wie abenteuerlichen Vergangenheit zu befragen. Aber er wusste, dass er mit seinem Onkel am besten über das Schweigen sprach. So standen sie da, keiner von ihnen sagte ein Wort, die unausgesprochene Frage schwirrte wie ein lästiges Insekt in der Luft. Michael stand unschlüssig da, schließlich seufzte er und setzte sich auf die unterste Strebe des Gerüsts, an dem Johannes gerade arbeitete. »Setz dich«, sagte er beinahe freundlich. Johannes gehorchte. Michael sah ihn lange an, dann streckte er sich und deutete auf den Fluss. »Dein Vater hat es dir erzählt, nicht wahr?«

»Dass du zur See gefahren bist? Ja, er hat es erwähnt.«

»Es ist keine Heldentat«, sagte Michael. »Glaube es mir einfach. Ich kenne die Sehnsucht nach dem Meer, ich musste lügen, wenn ich sagen würde, ich verspüre sie nicht mehr, aber in Wirklichkeit waren es Einsamkeit, Entbehrungen und Stürme, die nur im Licht der Gewissheit, sie überlebt zu haben, in wunderschönen Farben erstrahlen. Es ist nichts für dich.«

»Woher willst du das wissen?«, erwiderte Johannes. »Nur eine Meile von hier baut Zar Peter seine Flotte. Russland wird eine riesige Seemacht werden!

Es wird Arbeit geben. Eines Tages könnte ich … ein eigenes Schiff haben.«

Michael sah ihn scharf an. »Weißt du, was du dafür alles lernen musst?«, gab er zu bedenken.

»Nichts, was der Zar nicht auch gelernt hätte. Er hat auf seinen Reisen beim Baumeister Brant gelernt und sogar als Schiffszimmermann auf den englischen Docks gearbeitet.«

»Das ist richtig«, sagte Michael. Sein Blick verdüsterte sich wieder. »Aber der Zar hat die Mittel dafür.

Du besitzt kein Geld – dein kostbarstes Gut ist dein Leben. Hüte es, Johannes. Ich will deinem Vater nicht schreiben müssen, dass du ertrunken bist wie dein Bruder.«

Johannes kniff die Lippen zusammen. Da war er wieder, der dumpfe Schmerz über Simons Tod. Fast hasste er Michael in diesem Moment dafür, dass er wieder an dieser Wunde rührte.

»Ich möchte dir nicht einreden, dass es unmöglich ist«, fuhr Michael sanfter fort. »Nur bitte ich dich, sehr gut zu überlegen, was du tust. Ich gebe dir noch zwei Jahre. Wenn du dann versuchen willst zu den Schiffsbauern zu gehen, steht der Weg dir frei.«

Johannes hob den Blick und sah seinen Onkel ungläubig an. »Warum?«, brachte er heraus.

Michael seufzte. »Warum, warum? Weil du ein noch größerer Dickkopf bist, als Simon es je war. Du bist als schweigsamer Lehrling zu mir gekommen – aber du bist schlau!«

»Danke!«, sagte Johannes. Er war so verwirrt, dass ihm weitere Worte fehlten.

Michael stand auf und rieb sich verlegen die Hände.

»Danke mir nicht zu früh«, sagte er sehr leise.

»Und liebe deinen Zaren nicht zu sehr. Zumindest nicht mehr als dein Leben.«

Mit einer barschen Geste scheuchte er Johannes zurück an die Arbeit. Er beeilte sich, den Hammer zu ergreifen und wieder ans Werk zu gehen. Die Freude über Michaels Vorschlag gab ihm das Gefühl, hundert Tage und Nachte arbeiten zu können ohne zu ermüden. In seinem Kopf sang es. Die täglichen Sorgen, selbst die Tote aus der Newa und Derejew waren mit einem Mal Tausende von Meilen entfernt. Im Geiste sah er sich bereits in der Admiralität arbeiten.

Nicht weit von hier entfernt stand diese Schiffswerft.

Hohe Erdwälle und ein Wassergraben umgaben das Gebäude mit dem u-förmigen Grundriss. Gerade jetzt, als Johannes eine Meile entfernt stand und Gerüste für die zukünftigen Häuser der Offiziere und Adligen zimmerte, wurde im Innenhof der Werft an den Schiffen für Zar Peters Flotte gebaut.

Mühsam nur unterdrückte Johannes das breite Grinsen, das sich ständig auf sein Gesicht schleichen wollte, und holte mit dem Hammer aus. In diesem Moment sah er in schlammgrüne Augen. Der Hammer kam aus dem Takt und verfehlte den Nagel.

Stattdessen schlug er mit einem Krachen eine unschöne Kerbe in das Kiefernholz. Der Gottesnarr Mitja stand vor dem Gerüst und starrte Johannes an.

Der zerlumpte Soldatenmantel schlotterte um seinen Leib. Als er sah, wie sehr er Johannes aus der Fassung gebracht hatte, grinste er triumphierend, was ihn mit einem Mal erschreckend klug aussehen ließ, drehte sich um und lief davon.

* * *

Seit dem Vorfall mit der Toten aus der Newa waren sieben Tage vergangen, als vor der Werkstatt Geschrei und auf geregtes Fußgetrappel ertönte. Schon wenn die Gehilfen die schweren, raschen Schritte von hohem Besuch hörten, veränderte sich die Atmosphäre in der Werkstatt. Einige Dinge, wie staubige Lumpen oder stumpfes oder beschädigtes Werkzeug, verschwanden, anderes dagegen, wie Brot, Gebackenes und ein Krug Kwass, wurde hastig herbeigeholt.