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»Wer ist da? Wer ist da?« rief Reginald.

»Jason«, antwortete ich. »Jason aus Victoria.« Ich stieg auf das Sims des zerstörten Fensters, zog das Mädchen zu mir heran und sprang ins Wasser. Im gleichen Moment hörte ich, wie sich Männer mit den Schultern gegen die verriegelte Tür zu werfen begannen.

9

»Wer da?« rief eine Männerstimme vom Deck der Tina. »Sprich, oder es wird geschossen!«

»Jason!« rief ich aus dem kalten, dunklen Wasser. »Jason aus Victoria. Helft mir an Bord!«

»Es ist Jason«, sagte Callimachus’ Stimme, die ich sofort erkannte. »Holt ihn an Bord!«

Ich zerrte das Mädchen am Haar hinter mir her; sie schwamm auf dem Rücken. An ihrem Kragen war der Balken mit dem Paket befestigt, der im Wasser mitgezogen wurde.

Hände streckten sich mir entgegen. Zwei Männer klammerten sich an die Ruderpforten und beugten sich weit hinaus. »Was haben wir denn da?« fragte einer.

»Eine Sklavin«, antwortete ich. »Und etwas anderes, das sehr wertvoll ist.«

Das Mädchen wurde an den gefesselten Armen an Bord gezerrt, wobei Brett und Paket an die Bordwand schlugen.

Ich stieg hinter ihr hinauf. Kurze Zeit später stand ich erschauernd auf dem Deck der Tina.

Callimachus umfaßte meine Arme. »Wir glaubten dich schon verloren«, sagte er.

»Wir müssen den Rückzug vorbereiten«, sagte ich. »Den Angriff morgen früh überstehen wir nicht mehr.«

»Wir haben auf dich gewartet«, sagte Callimachus.

Ich bückte mich neben dem Mädchen und löste Brett und Paket von ihrem Kragen. »Bring dies in die Kabine des Kapitäns!« befahl ich einem der Umstehenden.

»Jawohl, Jason«, sagte er.

»Was ist das?« wollte Callimachus wissen.

»Das werde ich dir später erklären.«

»An Deck der Tamira scheint Verwirrung zu herrschen; Lichter bewegen sich hin und her«, meldete ein Seemann, und wir schauten zu dem etwa dreihundert Meter entfernten Schiff hinüber.

Ich lächelte. Ich nahm nicht an, daß es Reginald eilig hatte, den Verlust seinem Flottenchef anzuzeigen.

»Was haben wir denn hier?« fragte ein Mann, hob die Laterne und deutete auf das Mädchen, das neben uns an Deck kniete.

Ich zog ihr die Augenbinde vom Kopf.

»Ein hübsches Ding«, sagte der Mann.

»Ja«, antwortete ein zweiter.

Erschrocken sah sich das Mädchen um, den Feinden ihres früheren Herrn hilflos ausgeliefert.

»Die Tamira wendet«, meldete ein Mann. »Ich glaube, sie will angreifen.«

»Man scheint begierig zu sein, deine Beute zurückzuholen«, sagte Callimachus.

Erstaunt hob das Mädchen den Kopf.

»Nicht du, hübsche Sklavin!« sagte ich zu ihr. »Er meint das Päckchen, das allein von Wert ist.«

Zornig blickte sie mich an.

»Fesselt sie und bringt sie unter Deck«, befahl ich einem Mann.

»Ruderer auf die Bänke!« befahl Callimachus. »Alle Mann auf Posten!«

»Der Kapitän der Tamira muß den Verstand verloren habe, gegen drei Schiffe vorzurücken«, bemerkte ein Offizier.

»Er ist verzweifelt«, antwortete ein Mann.

»Reginald ist vielleicht bereit, sein Schiff zu verlieren«, sagte ich. »Dann ließe sich nämlich der Verlust der Papiere verschleiern, auf diese Weise erscheint es unvermeidlich, als eine Folge des Kampfes.«

»Sicher hat er keinen Befehl erhalten, die Formation zu verlassen«, sagte Callimachus.

»Nein«, antwortete ich grinsend. Im gleichen Moment wurde mir ein Mantel um die Schultern gelegt, der die Kälte des Wassers vertreiben sollte.

»Kein Zweifel«, sagte ein Offizier. »Die Tamira will angreifen.«

»Meine Hoffnungen erfüllen sich«, sagte ich zu Callimachus. »Mit diesem Manöver reißt sie eine Lücke in die eigenen Reihen.« Ich hatte nicht erwartet, daß Reginald den Verlust so schnell bemerken würde. Ich hatte gehofft, mehr Zeit zu haben, mein Vorhaben mit Callimachus abzustimmen.

»Ich lasse Hornsignale geben«, sagte ein Offizier.

»Nein, nein!« widersprach ich.

»Keine Signale!« wandte sich Callimachus an den Offizier. »Es ist noch nicht angebracht, die Piraten zu alarmieren und in Verwirrung zu stürzen.«

»Genau«, sagte ich. Da wir in unmittelbarer Nähe der Olivia und der Tais lagen, ließen sich Befehle auch auf kurzem Wege übermitteln.

»Willst du die Öffnung in der gegnerischen Formation ausnutzen?« fragte Callimachus. »Sie wird nicht lange bestehen. Man wird sich schnell auf das Manöver der Tamira einstellen.«

»Nicht direkt«, sagte ich. »Das wäre als Kaissa-Taktik zu durchsichtig, wie man sagt. Allerdings wird der Gegner erwarten, daß wir auf die Lücke zuhalten.«

»Dementsprechend wird er die Deckung verlagern, um diese Entwicklung abzusichern«, meinte Callimachus.

»Was zahlreiche Verlegungen von Schiffen zur Folge hat – und vielleicht Verwirrung stiftet«, ergänzte ich.

»Womöglich gerät die ganze Armada durcheinander«, sagte Callimachus, »und öffnet sich an einem Dutzend Stellen.«

»Man wird nicht begreifen, warum die Tamira ihre Position verlassen hat«, fuhr ich fort. »So mögen viele Schiffe annehmen, daß der Angriff auf einem Befehl beruht.«

»Die Tamira nähert sich«, meldete ein Offizier. »Gehen wir auf den Kampf ein?«

»Nein!« rief Callimachus. »Rudergänger, hart Steuerbord! Rudermeister! Volles Tempo!«

»Volles Tempo!« brüllte der Rudermeister sofort.

»Backbordruder einziehen!« befahl Callimachus.

»Backbordruder einziehen!« kam sofort das Echo.

Die Tamira, deren Backbord-Scherblatt wie eine stählerne Mondsichel an unserer Backbordseite entlangglitt, schwang an uns vorbei, zwischen uns und der Olivia.

»Auf anderen Piratenschiffen werden Lichter gesetzt!« rief ein Offizier. Hier und dort sahen wir Laternen über dem Wasser. Hörner bliesen zum Kampf.

»Geh längsseits zur Olivia, Callimachus!« bat ich. »Es müssen schleunigst Befehle gegeben und ohne Zögern ausgeführt werden.«

»Gedenkst du zu fliehen?« fragte Callimachus.

»Ich gedenke nicht zu fliehen, sondern zu siegen«, antwortete ich.

Über das Wasser gellte Jubelgeschrei, als hätten Piraten einen Sieg errungen.

Immer wieder glitt ich mit den Füßen auf der Sandbank aus, doch unermüdlich stemmte ich die Schulter gegen den Schiffsrumpf der Tuka, die bei dem ersten großen Angriff gegen uns vor drei Tagen den Formationskeil angeführt hatte. Das Schiff war gerammt und beschädigt in der Nähe der Kette auf eine Sandbank gelaufen und von seiner Besatzung verlassen worden. Es war ein sehr bekanntes Schiff Ragnar Voskjards. Neben mir bemühten sich andere Männer mit den Schultern oder mit Rudern als Hebeln, den tief in den Sand gesunkenen Schiffsrumpf in Bewegung zu bringen. Zu beiden Seiten der Sandbank hatten die Tina und die Tais den Havaristen mit dicken Trossen in Schlepp genommen und zerrten, was das Zeug hielt.

Das Gebrüll war deutlich über das Wasser zu hören. Im Osten machte sich rötlicher Feuerschein bemerkbar.

»Sie werden bald merken, daß wir sie hereingelegt haben«, sagte ein Mann in meiner Nähe.

»Dann gib dir noch mehr Mühe«, riet ich ihm.

In der allgemeinen nächtlichen Verwirrung hatten wir die Olivia in Brand gesteckt und ließen sie nun mit gesetzten Segeln und festgebundenen Rudern nach Osten gleiten, die wahrscheinliche Fluchtroute zu Städten wie Port Cos, Tafa und Victoria. Wie meine majestätische Fackel würde sie mitten unter die Feinde segeln. Im Schutze dieser Ablenkung hatten sich die Tina und die Tais, die Aemilianus und die Besatzung der Olivia an Bord genommen hatten, mit Hilfe von eroberten Voskjard-Wimpeln und Fahnen getarnt und die anderen Schiffe wie Haie an sich vorbeigleiten lassen, hinter der leuchtenden Olivia her, deren Flammen sie für den Schauplatz des Kampfes hielten. Es konnte natürlich nicht lange dauern, wenn es nicht schon geschehen war, bis die Piraten entdeckten, daß sich niemand an Bord der Olivia befand.