»Dann weiß ich, wer du bist«, sagte ich.
»Herr?« fragte sie. »Oh! Deine Hände pressen kräftig zu!«
»Unter welchem Namen warst du allgemein bekannt, Sklavin?« fragte ich.
»Lola, Herr!« antwortete sie erschrocken. »Lola!«
Ich ließ ihre Hände los und steckte das Schwert ein. »Du kannst mir deinen Gehorsam erweisen, Lola«, sagte ich.
Sie gehorchte.
»Weißt du, wer ich bin?«
»Mein Herr, mein Herr!« sagte sie.
»Steh auf, Mädchen! Ich bin Jason aus Victoria.«
»Herr!« rief sie, und Tränen liefen ihr über das Gesicht. Schluchzend umfaßte sie meine Arme und preßte sich an mich. Ich legte ihr die Arme um die Schultern, erlaubte mir diese Geste der Zärtlichkeit, obwohl sie nur eine gebrandmarkte Sklavin war. »Sie verkaufte mich!« schluchzte sie. »Sie verkaufte mich! Sie brachte mich zum Hafen, während du bei der Arbeit warst! Sie verkaufte mich!«
»Dazu hatte sie kein Recht«, stellte ich fest.
Schluchzend schmiegte sich das Mädchen an mich. Ich spürte ihre Tränen auf meiner Brust. »Ich wurde an einen Kaufmann aus Tetrapoli verkauft«, sagte sie. »In Tetrapoli verkaufte man mich an einen Zwischenhändler weiter, der im Auftrag Alcibrons unterwegs war, eines der Oberkapitäne Ragnar Voskjards.«
»Und der holte dich zu seinem Vergnügen an Bord der Tuka.«
»Ja, Herr.«
Ich ergriff ihren Arm und hielt sie von mir fort. »Ich habe im Moment wenig Zeit für dich«, sagte ich.
»Ja, Herr«, antwortete sie. »Oh!« rief sie, als ich sie rücklings auf die Planken des Laderaums drückte. Schnell ergriff ich von ihr Besitz, denn ich hatte es eilig. Erschaudernd klammerte sie sich an mich. Die Tuka war inzwischen von der Sandbank losgekommen. Auf dem Deck über unseren Köpfen hörte ich Schritte. Männer nahmen ihre Positionen auf den Ruderbänken ein. Die Trossen, mit denen die Tina und die Tais die Tuka geschleppt hatten, wurden losgeworfen. Aemilianus gab Befehle.
»Auf!« befahl ich. »Wir müssen zur Tina hinüberschwimmen.«
»Ja, Herr«, sagte sie und erhob sich ächzend.
Ich trat an das Leck in der Bordwand. Von dort vermochte ich die Tais und die dahinterliegende Flußkette zu sehen.
Die Leiche des Mannes, der mich in der Dunkelheit des Laderaums angegriffen hatte, warf ich ins Wasser.
»Kannst du schwimmen?« fragte ich das Mädchen, das mir gefolgt war.
»Nein.«
Ich ergriff sie, duckte mich und zog sie mit mir ins Wasser. »Dreh dich um«, sagte ich, »und entspann dich!«
»Ja, Herr!« sagte sie erschrocken.
Das Mädchen an den Haaren ziehend, schwamm ich langsam um den Bug der Tuka herum und näherte mich der Bordwand der Tina. Gleich darauf zogen uns hilfreiche Seeleute an Bord.
»Willkommen, Jason!« sagte Callimachus grinsend. »Während wir schwer geschuftet haben, scheinst du anderem Glück gefolgt zu sein.«
»Ich habe meinen Teil der Arbeit getan«, erwiderte ich lachend. »Das Mädchen lief mir eher zufällig über den Weg.«
Wir betrachteten das nasse, zitternde Mädchen, das eine vorzügliche Figur zur Schau stellte.
»Nett ist sie«, stellte Callimachus fest.
»Ja, ein hübsches Ding«, räumte ich ein. Lächelnd senkte das Mädchen den Kopf.
Ich ließ einen Mantel holen und das Mädchen unter Deck führen.
»Wir müssen bald aufbrechen«, sagte Callimachus.
»Ich suche mir einen Platz an den Rudern«, erwiderte ich.
»Herr«, meldete einer der Offiziere in diesem Augenblick, »auf dem Schiff an Steuerbord regt sich etwas.«
»Dann ist es also doch nicht verlassen«, sagte Callimachus. »Hatte ich’s mir doch gleich gedacht.«
Mir fiel das Schiff ein, von dem kurz vor meinem Betreten der Tuka die Rede gewesen war – angeblich verlassen flußabwärts treibend, fort von dem Durcheinander des Kampfes, erleuchtet von der Olivia, die wir zur Ablenkung in Brand gesteckt hatten.
Callimachus, der Offizier und ich gingen zur Steuerbordreling der Tina.
Drüben glitten Ruder außenbords. Das Schiff war nicht verlassen.
»Sie will doch nicht etwa drei Schiffe angreifen?« rief der Offizier.
»Warum ist sie nicht schon viel früher zur Tat geschritten?« wollte jemand wissen.
»Sicher hat sie auf die Unterstützung anderer Schiffe gewartet«, sagte ich.
»Warum sollte sie dann ausgerechnet jetzt losschlagen wollen?« fragte jemand. »Es sind keine anderen Schiffe in der Nähe.«
»Man hat dort drüben mitbekommen, daß die Tuka von der Sandbank herunter ist«, antwortete Callimachus. »Wenn man überhaupt angreifen will, dann jetzt.«
»Aber wir sind zu dritt!« sagte jemand.
»Zu zweit, wenn man die Tuka nicht mitrechnet«, antwortete eine Stimme.
»Aber auch so sind wir eindeutig im Vorteil«, sagte der erste Mann. Bei einem Ruderkampf kann sich ein einzelnes Schiff kaum gegen zwei Angreifer verteidigen. Eine Bordwand wäre auf jeden Fall ungeschützt.
»Der Kapitän drüben ist verzweifelt«, sagte ich.
»Du kennst das Schiff?« fragte Callimachus.
»Es war das erste Schiff, das die Formation verließ, das erste Schiff, das gegen uns losschlug«, sagte ich. »Trotz des Durcheinanders, trotz der zahlreichen Manöver und unserer Ablenkung, trotz der Voskjard-Wimpel, die wir aufgezogen haben, ist die Galeere bei uns geblieben. Sie ist uns unauffällig gefolgt.«
»Ah«, seufzte Callimachus.
»Ja«, sagte ich, »es ist die Tamira.«
»Sie fährt an!« rief der Offizier.
»Ebenso aber die Tais!« gellte eine Stimme. Ich blickte zur Seite. Die Tais, dunkel angestrichen, tief im Wasser liegend, schnittig und vom Kampf gezeichnet, eines der gefährlichsten Kampfschiffe aus der Flotte von Port Cos, fuhr unter dem Kommando von Calliodorus um das Heck der Tuka herum und am Bug der Tina vorbei. Sie hatte die Tamira ebenfalls gesichtet.
»Sie darf nicht versenkt werden!« rief ich. »Gib ein Signal an Calliodorus!«
»Nein«, antwortete Callimachus ernst. »Die Hörner würden unsere Position verraten.«
Ich beobachtete das Vorrücken der Tamira. Sie war ein bewaffnetes Handelsschiff.
»Der Kapitän muß den Verstand verloren haben«, sagte jemand.
»Er führt sein Schiff in den Untergang«, antwortete ein Mann.
Ich wußte nicht einmal, ob Reginald, der die Tamira führte, die Tais überhaupt bemerkt hatte.
»Sie darf nicht versenkt werden!« rief ich. »Allenfalls können wir sie entern.«
Holz splitterte, ächzte, dröhnte. Geschrei tönte auf.
»Zu spät«, sagte Callimachus.
»Blut für Port Cos«, sagte ein Mann.
»Auf die Tamira!« flehte ich Callimachus an. »Bitte, Callimachus!«
»Dazu ist keine Zeit«, antwortete er.
»Andere Schiffe werden nach uns suchen«, sagte ein Offizier.
»Wir müssen verschwinden!« empfahl Callimachus.
Ich warf Gürtel und Schwert ab und stürzte mich von der Reling der Tina ins Wasser. »Komm zurück!« rief Callimachus.
Gleich darauf war ich an der Bordwand der Tamira. Der dunkle Schiffsrumpf rollte in meine Richtung und drückte mich unter Wasser. Ich ertastete den Kiel mit beiden Händen, stieß mich ab und kehrte an die Wasseroberfläche zurück. Dabei geriet ich mit dem Arm gegen ein ins Wasser hängendes unbemanntes Ruder. Ringsum schwammen andere Männer. In der Nacht machte ich eine dunkle Masse aus, die einige Meter entfernt war, die Tais. Ich schob einen Mann fort, der sich im Wasser an mich klammern wollte. Meine Hand stieß gegen ein Wrackteil.
»Sie kommt noch einmal!« hörte ich einen Mann aufschreien.
Ich machte kehrt im Wasser. Der dunkle Umriß der Tais schien mich überfahren zu wollen. Ich wich zur Seite aus. Unter Wasser fühlte ich mich von der Bugwelle des Schiffes empor und zur Seite gehoben, und im gleichen Moment erklang das Dröhnen des zweiten Aufpralls. Einen Augenblick lang konnte ich keinen zusammenhängenden Gedanken fassen. Die Welt bestand aus Dröhnen, Bewegung und Schmerz. Und wieder kam mein Kopf über Wasser, und ich vermochte zu atmen. Ich befand mich an der Bordwand der Tais. Überall waren Männer im Wasser und schrien durcheinander. Ich streckte die Hand aus. Ich spürte das Steuerbord-Scherblatt der Tais. Im gleichen Moment bewegte sich die Klinge zurück, und die Tais löste sich mit rückwärts wirbelnden Rudern ächzend und knackend aus dem Rumpf der angeschlagenen Tamira. Durch Holzstücke und Männer schwamm ich zu dem anderen Schiff hinüber. Das Loch in der Wandung war etwa zwei Fuß hoch. Je nachdem, wie sich das Schiff bewegte, würde Wasser an mir vorbei in das Innere rauschen. Ich stieg in den Laderaum hinein. Hier war es dunkel. Eine im schwappenden Wasser schwimmende Kiste stieß mir gegen die Beine. Die Tamira erbebte, und Wasser bewegte sich nach achtern, während sich das Deck unter meinen Füßen neigte. Draußen sah ich den dunklen Umriß der Tais nach Backbord abfallen und sich langsam entfernen. Die Tais hatte ihr Werk vollbracht.