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In dem entstehenden Durcheinander hatte ich Miles aus Vonda und seinen Sklaven Krondar retten können. Unserem weiteren Plan folgend, fuhr die Tina mit der Tuka und der Tais in südlicher Richtung an der Kette entlang, bis wir die Lücke fanden, die von der dritten Flotte Voskjards, die wir zuerst für Callisthenes’ Entsatz gehalten hatten, in die Kette gerissen worden war. Hier erwies sich nun, daß die Piraten, die offenbar von Callisthenes nicht behindert wurden, den Weg durch die Kette gewählt hatten und nicht etwa mit ihren Schiffen mühselig zwei- oder dreihundert Meter weit über Land gerollt waren.

Durch die Lücke fuhren wir auf die westliche Seite der Kette. Vor unserem Aufbruch nach dem Zusammenstoß zwischen der Tais und der Tamira hatte ich noch laut gerufen: »Callimachus, wir haben’s geschafft! Fahren wir jetzt sofort nach Tetrapoli, wo wir sicher sind!« Und unsere Besatzung hatte gejubelt. Natürlich handelte es sich um eine List; die Männer, die ringsum noch im Wasser schwammen oder sich an Wrackteilen festhielten, sollten dies hören und den Gegner weiter in die Irre führen. Dabei war Tetrapoli tatsächlich die erste größere Stadt westlich der Kette.

Unsere eigentliche Absicht, davon waren wir überzeugt, ließ sich aus dieser Situation nicht erraten. Aus Reginalds Sicht mußte es uns darum gehen, eine große Streitmacht zusammenzustellen, die in der Lage war, den Vorteil, der uns durch die von der Tamira gestohlenen Dokumente zufiel, auch richtig zu nutzen. Bis es soweit war, mußte Voskjards Armada längst vor der Festung des Policrates stehen, sie stärken und bei der Entwicklung neuer Sicherheitslosungen mitgewirkt haben. Außerdem konnte ich mir vorstellen, daß Reginald es nicht eilig hatte, den Diebstahl der Dokumente zu melden, der ja eingetreten war, ehe sein Schiff von der Tais versenkt wurde. Wenn er den Untergang überlebt hatte, konnte er immer behaupten, die Papiere seien mit der Tamira verlorengegangen, mit der er unsere Flucht verhindern wollte. Vermutlich zog er es vor, wegen seines Mutes gelobt statt wegen einer Nachlässigkeit getötet zu werden.

Natürlich waren wir nicht nach Tetrapoli oder in eine andere Flußstadt gefahren. Statt uns nach Nordwesten zu wenden, waren wir mit Segel- und Ruderkraft nordwärts an der Kette entlanggefahren. Im Morgengrauen hatten wir das nördliche Loch der Kette erreicht, das von Voskjards zweiter Flotte gerissen worden war. Durch diese Öffnung wandten wir uns nach Ostsüdost. Wir waren sicher, daß man uns zunächst vergeblich in nordwestlicher Richtung, nach Tetrapoli hin, suchen würde. Während die Gegner unserem angeblichen Kurs folgten und der Rest der Piratenflotte sich neu formierte, Reparaturen vornahm und auf die Rückkehr der anderen wartete, rasten wir in Wechselschicht, Tag und Nacht fahrend, zur Festung des Policrates. Mein ursprünglicher Plan, davon war ich überzeugt, hätte uns in die Festung gebracht, wäre er nicht verraten worden.

Ich verstand die Worte nicht, die zwischen Kliomenes und Miles aus Vonda gewechselt wurden, doch ich hatte sie mehr als einmal gelesen.

»Was wird eine Einheit, wenn Steine sich zusammenfinden?«

»Das Schiff, welches das Topas-Meer befährt.«

»Wo findet sich ein Topas-Meer?«

»Innerhalb von vier Felsmauern.«

»Und wo befinden sich diese Felswände?«

»Rings um ein Topas-Meer.«

»Wem gehört der Vosk?«

»Jenen, denen das Schiff gehört, welches das Topas-Meer befährt.«

Die Piraten auf den Mauern begannen zu jubeln. Kliomenes sagte etwas zu einem Mann neben sich. Dieser Mann gab ein Zeichen an eine Gestalt in der Nähe des westlichen Torturms. Dieser gab den Befehl akustisch an einen Wächter weiter, der sich anscheinend im Innern des Turms befand. Meine Nackenhaare sträubten sich. Ich hörte das Ächzen und Knirschen des schweren Torgitters. Die Ketten strafften sich und hoben widerstrebend das mächtige Metallgeflecht, naß und funkelnd, aus dem Wasser.

Callimachus, der neben mir stand, griff nach seinem Schwert, hob es ein kurzes Stück aus der Scheide und ließ es wieder zurückfallen. Es war die Geste eines Kriegers. Vielleicht wußte er gar nicht, daß er seine Waffe bewegt hatte, so natürlich war diese Geste vor einem Kampf.

»Laß das!« flüsterte mir Callimachus zu.

»Was denn?«

»Dein Schwert zu lockern«, sagte er. »Das läßt erkennen, daß du damit rechnest, es zu gebrauchen.«

»Ach, habe ich das getan?« fragte ich.

»Ja.«

»Tut mir leid.« Ich mußte lächeln.

Gleich darauf fragte ich mich, wie viele Ruderer, die zumeist aus Ar-Station kamen, in diesem Moment wohl die Entfernung zu ihren Waffen berechneten, die unter den Sitzbänken versteckt waren.

Das Flußtor hob sich. Ich wußte sehr gut, welche Kraft dazu erforderlich war.

Aus der Festung drang der Klang von Flöten, Trommeln und Kalikas; es war eine langsame, getragene Melodie.

Miles aus Vonda hatte uns natürlich als Vorausschiffe der Voskjardschen Flotte angekündigt.

Als wir langsam unter das mächtige Tor glitten, blickte ich auf. Ein Gefühl der Beklemmung ließ sich nicht vertreiben, mußte ich doch daran denken, wie dieses Tor beim letzten Mal herabgesaust war. Es hatte das Schiff, auf dem ich mich befand, in zwei Teile zerschmettert.

Nach kurzer Zeit befanden sich die Tuka, die Tais und die Tina im inneren Hafenbecken der Festung. Kliomenes war von der Mauer heruntergestiegen und wartete auf dem breiten Steg unweit des eisernen Zugangs zur Festung auf Miles aus Vonda. Die Tuka warf Leinen über, die von hilfsbereiten Händen aufgefangen wurden.

Gut fünfzig Sklavinnen in knappen Gewändern erschienen und tanzten einen Blütentanz; sie trugen Körbe voller Blumen. Beverly oder Florence entdeckte ich nicht in der Gruppe. Zweifellos waren sie, wie viele andere Mädchen, damit beschäftigt, das Festmahl vorzubereiten.

Nicht ohne Mühe löste ich den Blick von den aufregenden Mädchen. Die Tür, die in das Innere der Festung führte, und die Außenmauern mußten so schnell wie möglich erobert werden.

Die Tuka glitt nun an den Innensteg. Die Leinen wurden festgemacht. Miles aus Vonda traf Anstalten, an Land zu gehen. Kliomenes erwartete ihn. Die Mädchen hörten auf zu tanzen; sie griffen in ihre Körbe und streuten Blüten vor Miles aus Vonda und den anderen Männern der Tuka, die nun auf die Reling traten und an Land sprangen.

»Ein Willkommensgruß den Herren!« sangen die Mädchen.

Kliomenes schüttelte Miles aus Vonda die Hand. Aemilianus und seine Männer mußten zur Tür vorrücken und die Festung besetzen.

Nun näherte sich auch die Tina dem Steg. Wir warfen die Leinen über. Kaum lagen wir still, sprangen Callimachus, ich und viele andere über die Reling. Callimachus und seine Männer waren für die Außenmauern eingeteilt worden.

»Willkommen, ihr Herren!« sangen die Mädchen.

Aemilianus und seine Leute eilten an verblüfften Piraten vorbei auf die Eisentür zu.

»Halt, halt mal!« rief Kliomenes plötzlich. Er hatte Callimachus und mich entdeckt. »Ihr habt Verräter in euren Reihen!« rief er. Im nächsten Moment lag schon Miles’ Schwert an seiner Kehle.

»Befiehl deinen Leuten, die Waffen niederzulegen!« forderte Miles aus Vonda. Schon war auch mein Schwert auf Kliomenes gerichtet, während zwei von unseren Männern seine Arme festhielten. Sklavinnen schrien durcheinander. Blütenkörbe fielen auf das Holz des Stegs. »Werft die Waffen fort!« rief Miles aus Vonda den Piraten auf dem Steg zu, »sonst seid ihr so gut wie tot!«

»Legt die Waffen nieder!« befahl Kliomenes heiser. Gefolgt von einer ganzen Horde, verschwand Aemilianus hinter der Eisentür. Gleich darauf war Gebrüll zu hören, das Klirren von Stahl, das Getrappel von Stiefeln. Callimachus eilte die Treppen zu den Mauern empor. Zwei Piraten stürzten von einem Wehrgang ins Wasser des Innenbeckens. Ein Pirat sprang an mir vorbei und hastete den Steg entlang. Ich folgte ihm. Doch schon legte vor ihm ein weiteres Schiff am Rand des Steges an.