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»Die Tais!« rief der Pirat. Vor ihm sprangen Männer über die Reling, und er warf sein Schwert fort. Ich eilte an der Gruppe vorbei auf die Mauertreppe zu. Kein Pirat durfte entkommen. Ich hastete die Stufen empor. Oben auf der Mauer wurde heftig gekämpft. Ich stieß einen Gegner in die Tiefe und erledigte einen zweiten, der eben durch eine Schießscharte nach draußen klettern wollte.

Besorgt entdeckte ich Männer im Wasser, im Innenbecken. Sie schwammen auf das große Tor zu. Ich kämpfte mich zum westlichen Torturm vor, schlug dem dort wachestehenden Piraten das Schwert aus der Hand, nahm ihn in den Schwitzkasten und legte ihm die Klinge vor die Kehle. Dann schob ich ihn auf den Innenbalkon, der sich über dem großen Raum der Torwinde befand.

»Du befiehlst jetzt, daß das Tor geschlossen wird, und zwar im Schnellgang!«

»Laßt das Tor herab!« schrie er. »Gebt es frei, gebt es frei!« Rufe der Bestürzung hallten unten im Wasser auf. Mit einem ohrenbetäubenden Rasseln und Dröhnen knallte das schwere Tor ins Wasser, und die dicken Gitterstäbe bohrten sich in die unter dem Wasser liegenden Öffnungen.

»Wir ergeben uns!« riefen die Piraten auf der Mauer. Schwerter wurden zu Boden geworfen. Ich brachte meinen Gefangenen zu den anderen. Aus der Höhe der Mauer erblickte ich das Gedränge unserer Männer auf dem Steg, die aus den Laderäumen der Tuka und der Tina hervorquollen. Die Flotte des Policrates, etwa vierzig Schiffe, war im Osten unterwegs, um eine Verstärkung der Ketten-Verteidiger durch Städte aus dem Osten zu verhindern. Dementsprechend war nur eine kleine Streitmacht unter Kliomenes’ Kommando in der Festung zurückgeblieben, zweihundert bis zweihundertfünfzig Mann. Sie hätten die Festung gegen einen frontalen Angriff halten können, doch war der Feind in solcher Zahl erst einmal im Innern, hatten die Verteidiger keine Chance mehr.

Von der Mauerkrone sahen Callimachus und ich Aemilianus aus der Festung kommen. Er blickte zu uns empor und hob das Schwert.

»Wir haben gewonnen«, sagte Callimachus.

»Diese Schlacht«, schränkte ich ein.

»Ja.«

Natürlich gedachten wir über der Festung nicht die Flaggen von Port Cos, Victoria oder Ar-Station wehen zu lassen.

11

»Möchtest du dich mir anschließen, mein Freund Miles aus Vonda?« fragte ich.

»Ja«, sagte er.

Es war der Abend unseres Sieges, unserer Eroberung der Piratenfestung.

Ich steckte den schweren Schlüssel in das Türschloß, öffnete und führte den anderen auf einen schmalen Balkon, der, verborgen hinter einem komplizierten Gittermuster, in etwa zwanzig Fuß Höhe um das zentrale Sklavinnenquartier der Anlage herumführte.

Lampen erhellten den weiten Raum.

Durch das Gewirr der Trennstäbe beobachteten wir die Mädchen; der Balkon war so angelegt, daß Beobachter von unten nicht zu bemerken waren.

»Ja«, sagte ich leise, »sie ist wunderschön.«

Mir war natürlich aufgefallen, daß Miles aus Vonda den Blick von einer bestimmten Sklavin nicht losreißen konnte. Sie saß an der gegenüberliegenden Wand und hatte die Hände auf die Knie gelegt. Ihr kastanienbraunes Haar schimmerte. Sie trug ihren Kragen und einen knappen gelben Stoffetzen. Sie war die ehemalige Lady Florence aus Vonda, inzwischen einfache Sklavin.

Ich bemerkte, daß Miles die Fäuste ballte.

»Wenn wir Erfolg haben«, sagte ich, »wird sie zweifellos mit den anderen an die Männer verteilt. Da du bis jetzt bei unserer Aktion eine wichtige Rolle gespielt hast, darfst du vielleicht hoffen, daß sie dir als Beuteanteil zugedacht wird.«

»Wenn ich sie noch will«, sagte Miles aus Vonda leichthin. »Wie ich sehe, gibt es zahlreiche andere Sklavinnen, die nicht minder schön sind.«

Ich mußte lächeln. Gedachte Miles mir seine Zuneigung zu einer einfachen Sklavin zu verheimlichen? Für mich lag auf der Hand, daß er sie anbetete. Ich bezweifelte nicht, daß er für sie sterben würde.

»Mir will scheinen«, sagte Miles aus Vonda nach einem Blick auf mich, »daß auch du eine dieser Sklavinnen von besonderem Reiz findest.«

»Es gibt da mehrere, die mir angenehm auffallen«, räumte ich ein.

»Was ist mit der hübschen kleinen Brünetten dort?«

»Welche meinst du?«

»Die dort«, sagte er und deutete auf ein Mädchen in einer ungemein kurzen roten Tunika nahe der anderen Wand.

»Sie?« fragte ich.

»Ja.«

Ich zuckte die Achseln. Nicht unmöglich, daß mein Blick sich mehr als einmal auf sie gerichtet hatte.

Lola und Shirley befanden sich ebenfalls unter den Sklavinnen; sie standen unter Befehl, niemandem gegenüber zu erwähnen, daß sich ein gewisser Jason aus Victoria in der Festung befand.

So hatte ich von dieser Stelle schon vor einigen Stunden beobachten können, wie Lola sich zornig auf die Brünette in der roten Tunika stürzte. »Du hast mich verkauft!« rief sie. »Jetzt trägst du ebenfalls den Kragen!« Entsetzt hatte sich die Brünette an die Wand gekauert, wo sie auch jetzt noch saß. Lola hatte es mit ihrer Rache aber nicht zu weit getrieben; sie wußte, daß sie sonst bestraft worden wäre. Jedenfalls hatte das brünette Mädchen Angst vor der anderen, und das gefiel mir. Ich lächelte. Es gab da einen anderen Menschen, den sie bald fürchten würde, einen Mann, der ihr Herr sein würde.

»Wie schön doch Sklavinnen sind!« sagte Miles aus Vonda seufzend.

»Ja.«

»Ich zähle neunundachtzig«, fuhr mein Begleiter fort, »einschließlich der beiden, die wir am Bug der Tuka und Tina mitbrachten.«

»Richtig. Es sind alle hier – aus allen Zellen und Nischen der Festung.«

Miles aus Vonda und ich ließen unsere Blicke durch den weiten Raum schweifen.

»Das Fest heute abend«, sagte Miles schließlich, »wäre sicher angenehmer, wenn die Mädchen da uns bedient hätten.«

»Wir müssen ihrer zunächst entsagen«, antwortete ich. »Männerarbeit erwartet uns.«

»Wann wird Ragnar Voskjards Flotte deiner Schätzung nach vor der Festung eintreffen?« fragte er.

»Morgen.«

12

»Es müssen mindestens fünfzig Schiffe im Kanal stehen«, sagte Callimachus und ließ das Glas der Häuserbauer zuschnappen.

»Bring Kliomenes auf die Mauer!« befahl ich. »Er soll schön angekleidet sein, damit er seine Freunde aus dem Westen begrüßen kann. Gewiß gibt es in der Mannschaft Reginalds einige Männer, die ihn kennen, gar nicht zu reden von Reginald selbst.«

»Jawohl, Jason«, sagte der Angesprochene und verließ im Laufschritt die Mauer. Kliomenes hatte einen großen Teil des gestrigen Tages und die Nacht an der Torwinde verbracht, dabei hatten ihm etliche andere Piraten Gesellschaft geleistet. Sein Auftritt auf der Mauer, das hofften Callimachus und ich, würde bei der anrückenden Flotte Mißtrauen gar nicht erst aufkommen lassen.

»Wie viele Schiffe passen in das Innenbecken?« wollte ein Mann wissen.

»Bestimmt fünfzig oder mehr«, antwortete Callimachus. »Aber ich glaube nicht, daß so viele in die Festung einfahren werden.«

Die Tuka, und Tina und die Tais hatten das Becken bereits wieder verlassen.

»Sind das Tassa-Pulver und die Willkommenskelche bereit?« fragte Callimachus.

»Ja, Kapitän«, antwortete ein Mann ernst, »aber es ist viel zu wenig für so viele.«

»Die Verliese der Festung sind vorbereitet?« wandte sich Callimachus an einen seiner Offiziere.

»Jawohl, Kapitän«, antwortete der Mann.

»Die Flotte rückt vor«, meldete jemand. »Die Erkennungssignale werden aufgezogen.«

»Antwortet mit dem Willkommenszeichen!« befahl Callimachus.

»Jawohl, Kapitän«, erwiderte ein Mann und gab einen Befehl.

»Sind die Feuerkrüge bereit?« erkundigte sich Callimachus.