»Behalt diesen Kerl im Auge!« sagte ich zu einem Mann und deutete auf Kliomenes.
»Auf den Bauch, Urt!« befahl der Mann. »Und leg die Hände auf dem Rücken zusammen, damit ich dich fesseln kann.«
Kliomenes gehorchte unverzüglich.
Ich hastete nach unten.
Schon knieten entwaffnete Piraten vor unseren Männern. Ich folgte dem Steg bis zum großen Tor. »Du da!« sagte ich und deutete mit meiner Klinge auf einen Mann. »Komm herauf zu mir und knie nieder!«
Durchnäßt, ohne Waffe, allerdings noch immer maskiert, kam der Kurier Ragnar Voskjards diesem Befehl nach.
Callimachus, der die hohe Mauer ebenfalls verlassen hatte, erschien hinter mir. »In den Sümpfen läuft alles nach Plan. Schiffe stehen in Flammen. Piraten versuchen zu fliehen.« Sein Blick fiel auf den Mann, der unter meiner Schwertspitze kniete. »Du bist also der Kurier Ragnar Voskjards«, sagte er grimmig. »Nun endlich tust du, was dir geziemt: Du kniest vor ehrlichen Männern am Boden.« Er war so zornig, daß ich ihn kaum verstehen konnte und mir Sorgen machte, er würde meinen Gefangenen mit dem Schwert durchbohren. »An ihn oder einen seiner Agenten hat Peggy uns verraten«, fuhr Callimachus fort, »jene verräterische Dirne von der Erde, die Pagasklavin Tasdrons.«
Ich schwieg.
»Wie sollte ich sie wohl bestrafen?« wandte sich Callimachus an mich.
»Wenn sie schuldig ist, steht dir die Wahl frei, denn sie ist Sklavin.«
»Wenn sie schuldig ist?« fragte Callimachus.
»Jenes hübsche Mädchen von der Erde«, sagte ich, »hatten wir absichtlich so plaziert, daß sie von unseren Diskussionen kaum etwas mitbekommen konnte, wenn sie uns bediente. Sie mag zwar geahnt haben, was wir im Schilde führten, doch meine ich, daß sie von den Einzelheiten unseres Planes wenig oder gar nichts wußte.«
»Wer kann es dann gewesen sein?« wollte Callimachus wissen.
»Außerdem glaube ich nicht, daß sie dich verraten würde«, fuhr ich fort, »denn ich meine, daß sie im Grunde ihres Herzens deine Sklavin ist.«
»Unmöglich!« sagte Callimachus.
»Kauf sie Tasdron ab«, sagte ich, »leg ihr deinen Kragen um, dann wirst du es sehen.«
»Wer kann es dann gewesen sein?«
»Ein anderer.«
»Aber wer?«
»Er«, sagte ich und zog dem Kurier Ragnar Voskjards die Maske vom Gesicht.
Zornig blickte der Mann auf. Sein Gesicht war erstmals entblößt.
»Callisthenes!« rief Callimachus.
»Gewiß«, sagte ich.
»Wie lange weißt du es schon?« wollte Callimachus wissen.
»Ich ahnte es seit einiger Zeit. Er überfiel mich im Hafen von Victoria. Bei meiner Verteidigung verwundete ich ihn. Am gleichen Abend erschien Callisthenes zu unserem Treffen mit einer verletzten Schulter und behauptete, er sei gestürzt. Trotz dieses Umstands und seiner Ähnlichkeit mit dem Kurier Ragnar Voskjards hielt ich es nicht für möglich, daß er der Schuldige sein könnte. Er war dir bestens bekannt, du hattest für ihn gebürgt. Außerdem gehörte er zu uns und war ein hoher Offizier Port Cos’. Dann wieder wollte mir scheinen, er müsse doch dahinterstecken, denn wir wurden verraten, und es gab nur eine kleine Zahl von Leuten, die von unseren Plänen wußten, und er ähnelte Ragnar Voskjards Kurier und war verwundet. Aber wieder wies ich diese Möglichkeit von mir – wegen seiner Position und des Vertrauens, das du in ihn setztest. Ich kam zu dem Schluß, die Erdensklavin Peggy müsse die Verräterin sein. Sie kam als einzige noch in Frage. Als dann aber die im Süden der Kette postierte Flotte aus Port Cos uns nicht unterstützte, obwohl wir die Hilfe dringend benötigt hätten, verhärtete sich mein Verdacht. Und so mancher fehlende Teil des Puzzles fand plötzlich seinen Platz.«
»Warum hast du nicht mit mir gesprochen?« fragte Callimachus.
»Die Last deines Kommandos ruhte schwer auf dir«, antwortete ich. »Da wäre es wenig dienlich gewesen, dich mit quälenden und unbewiesenen Mutmaßungen zu belasten.«
»Das war klug gehandelt«, sagte Callimachus traurig, »denn zweifellos hätte ich sie zurückgewiesen.«
»An deiner Stelle hätte ich bestimmt nicht anders gehandelt«, beruhigte ich ihn. »Hier und jetzt aber kniet der Beweis vor dir.«
»Was geschah mit den Schiffen aus Port Cos, deiner Flotte?« wandte sich Callimachus an Callisthenes.
»Die sind in Sicherheit«, antwortete der Mann. »Ich führte sie nach Port Cos zurück, unter dem Vorwand, ein Angriff auf die Stadt müsse abgewehrt werden. Dann tat ich, als wollte ich eine Kundschafterfahrt unternehmen, und schloß mich Voskjards Flotte an.«
»Wo ist Voskjard jetzt?« fragte Callimachus.
»Er reist in östlicher Richtung auf dem Fluß, in seinem schwarzen Schiff Wendiger Tharlarion. Er gedenkt, mit Policrates hier in der Festung zusammenzutreffen und dann das Kommando der vereinten Streitkräfte zu übernehmen – und die Herrschaft über den Fluß.«
»Kapitän«, sagte ein Offizier zu Callimachus, »der Kampf in den Sümpfen ist abgeschlossen. Fünfzehn Piratenschiffe sind vernichtet. Zahlreiche Piraten haben wir getötet oder gefangengenommen. Zwölf bis fünfzehn Schiffe konnten fliehen. Einzelne Piraten sind uns überdies in die Sümpfe entwischt.«
»Der Sieg ist unser«, sagte ich zu Callimachus.
»Hätten wir noch mehr Kämpfer zur Verfügung«, antwortete dieser, »könnte unser Sieg noch vollkommener sein.«
»Nicht aufstehen!« sagte ich warnend zu Callisthenes.
Dieser blickte lächelnd zu Callimachus auf. »Vergiß nicht, daß wir Freunde sind, Callimachus!« sagte er. »An der Zuneigung, die ich zu dir empfinde, ändert sich nichts. Als Kinder spielten wir zusammen in Port Cos. Wir waren Offiziere derselben Streitkräfte.«
»Du weinst ja«, sagte ich zu Callimachus.
»Das ist der Wind«, antwortete er und wandte sich an den neben ihm stehenden Offizier. »Callisthenes in Ketten!« befahl er.
Wir blickten Callisthenes nach, der unter Aufsicht des Offiziers von zwei Soldaten abgeführt wurde.
»Wäre es dir lieber, wenn die Sklavin Peggy uns verraten hätte?« fragte ich.
»Nein.«
Das hielt ich für eine interessante Antwort. Allerdings blieb mir wenig Zeit, mich damit zu beschäftigen.
»Die Flotte des Policrates!« rief eine Stimme von der Mauerkrone. »Die Flotte des Policrates steht am Eingang des Kanals!«
»Ruft unsere Kämpfer mitsamt ihren Gefangenen in die Festung!« rief Callimachus.
»Policrates kann die Festung nicht zurückerobern«, sagte ich. »Gegen zehntausend Mann könnten wir sie halten!«
Ich folgte Callimachus die Treppe hinauf zum oberen Wehrgang. Natürlich konnten wir nicht hoffen, Policrates auf ähnliche Weise hereinzulegen wie Alcibron und Reginald und die anderen. Geflohene Piraten hatten ihn bestimmt längst über die jüngsten Ereignisse informiert. Außerdem mußten ihn die im Kanal und in der Festung aufsteigenden Rauchsäulen warnen: Dort brannten noch zahlreiche Schiffe.
Callimachus und ich beobachteten Policrates’ Flotte von der Höhe der Mauer aus. Er hatte seine Arbeit im Ostteil des Flusses beendet. Er war zurückgekehrt, um sich mit Voskjard zusammenzutun.
»Wir haben von Policrates nichts zu befürchten«, sagte ich.
»Du kennst Policrates nicht«, antwortete er.
13
Meine Arme wurden nach hinten gezerrt und zusammengebunden. Die Fesseln, die sich um meine Handgelenke zogen, schnitten tief ins Fleisch.