Er griff nach seinem Schwert, doch schon war meine Waffe auf seinen Bauch gerichtet. Er nahm die Hand von seinem Schwertgriff.
»So ist’s besser«, sagte ich. »Nun auf den Bauch, hier vor mich!«
Zornig blickte er mich an. Ich grinste, löste die Schlinge meines Schwertes und bohrte es neben mich in die Decksplanken.
Sein Blick fiel auf die Klinge, die neben mir stand.
»Nun aber fix!« befahl ich.
Seine Augen funkelten.
Er versuchte, sein Schwert zu ziehen. Sofort eilte ich auf ihn zu und erwischte ihn mit einer geballten Faust in den Unterleib. Benommen starrte er mich an und klappte zusammen. Dies gab mir Gelegenheit, ihn mit einem wohlgezielten Kinnhaken niederzustrecken. An den Füßen zog ich den Bewußtlosen schließlich in die Mitte des hohen schmalen Achterkastells und drehte ihn auf den Bauch herum.
»Natürlich, von dir kann man nichts als Ärger erwarten«, sagte ich zu ihm und kniete über ihm nieder. »Ich habe Erfahrung als Kampfsklave«, fuhr ich fort. Mit Streifen, die ich von seiner Kleidung abriß, band ich ihm die Hände auf dem Rücken zusammen. »Vielleicht hast du selbst einmal, hier und dort, auf Burschen wie mich Wetten abgeschlossen.« Er stöhnte. »Amüsant, nicht wahr, daß der große Ragnar Voskjard nichts anderes ist als der Gefangene eines ehemaligen Kampfsklaven?«
»Laß mich frei!« bat er. Ich zog die Knoten nur noch fester. »Ich bezahle dir viel«, sagte er.
»Welches Geld könnte das Vergnügen aufwiegen, Ragnar Voskjard gefangenzunehmen?« fragte ich.
»Sei gnädig!« bat er.
»Nein.«
»Du hättest mich nicht so fest binden müssen.«
»Es macht mir aber Freude.« Über diese Worte mußte ich lächeln. So sprach ein Goreaner.
Plötzlich erbebte das Schiff unter einem gewaltigen Aufprall.
»Wir sind gerammt worden!« rief Voskjard.
»Und zwar durch das Schiff, das deine Steuerbordruder abgeschert hat«, sagte ich. »Wie du siehst, zeigt es die Farben von Turmus.«
»Wir werden sinken!« rief Voskjard.
»Nicht sofort«, antwortete ich, stand auf und schnitt ihm zum Zeichen, daß er mein Gefangener war, die Kleidung vom Leib. Aus seinem Schwertgurt machte ich mir eine kurze Führungsleine für ihn.
»Laß mich nicht in die Hände der Victorianer fallen!« flehte er.
»Du wolltest Victoria vernichten. Du hast gesehen, wie die Victorianer kämpfen. Und hier stürmen Männer aus Turmus an Bord.«
»Überlaß mich ihnen!« flehte er.
»Auf die Füße, Sleen!« befahl ich und zerrte ihn hoch.
»Wer bist du?« fragte er angstvoll.
»Jason«, antwortete ich. »Jason – aus Victoria!«
»Nein!« schrie er. Im gleichen Augenblick warf ich ihn vom hohen Achterkastell des Wendigen Tharlarion ins bewegte Fußwasser. Anschließend schob ich die Hand durch die Schwertschlinge, zog die Waffe aus dem Holz, winkte den Kämpfern aus Turmus zu, die bereits über das geneigte Hauptdeck wimmelten, und sprang mit den Füßen voran ins Wasser.
Der Kampf, so vermutete ich, war so gut wie vorbei.
Voskjard ächzte und würgte, als ich ihn, halb an der Halsschlinge, halb am Arm, über die Reling von Policrates’ Flaggschiff hievte. Unsanft landete er auf dem halb überschwemmten Deck. Policrates’ Flaggschiff schien verlassen zu sein. Es war gerammt worden. Ich nahm nicht an, daß es sich noch lange über Wasser halten würde.
Im Hafen Victorias wimmelte es von Schiffen, doch standen viele davon in Flammen.
Die Alarmstange wurde erneut geschlagen, nun aber zum Zeichen des Sieges. Menschen drängten sich am Hafen. Bekränzte weißgekleidete Mädchen waren zu sehen.
Ragnar Voskjard versuchte aufzustehen, doch mit dem Fuß stieß ich ihn energisch wieder auf das Deck.
»Laß mich frei!« flehte er.
»Still!« rief ich, denn ich glaubte ein Geräusch gehört zu haben. Mit schnellen Bewegungen zerrte ich ihn das geneigte Deck zur Steuerbordreling empor, wo ich ihn an einer Strebe festband.
»Wenn das Schiff sinkt, bin ich hilflos«, sagte er heiser.
»Ja«, gab ich zurück und wandte mich ab.
Vierzig Fuß entfernt stand Kliomenes, geduckt, das Schwert in der Hand.
»Du mußt dich im unteren Laderaum versteckt haben«, sagte ich zu ihm. »Als das Schiff dann gerammt wurde, wurdest du wie eine Urt nach oben getrieben.«
Langsam rückte er vor. Ich beobachtete seine Schwertspitze. Die Augen eines Mannes können lügen, nicht aber die Spitze einer Klinge.
»Wo sind Policrates und Callisthenes?« fragte ich.
»Ich weiß es nicht.«
»Befreie mich!« rief Ragnar Voskjard.
»Jetzt muß jeder für sich allein kämpfen«, erwiderte Kliomenes und stürzte sich auf mich. Ich verteidigte mich und wartete ab, bis er zurückwich.
»Wird dein Arm schon lahm?« fragte ich. »Vielleicht möchtest du mir deine Tunika überlassen. Mir ist kalt.«
Mit einem Wutschrei bedrängte er mich erneut – und wieder verteidigte ich mich lediglich. Manchmal standen wir bis zu den Knöcheln im Wasser, manchmal auch bis zu den Knien. Zweimal rutschte er aus, doch ich benutzte den Vorteil nicht.
Nach Luft schnappend, stand er schließlich vor mir, bedroht von meiner Klinge. »Du bist mein Gefangener«, sagte ich. »Knie nieder.«
Er gehorchte.
»Hörst du den Hammerschlag an Land?« fragte ich lachend. »Dort werden Eisenkragen geschmiedet, mit Ketten daran, bestimmt für die Hälse deiner Piraten. Eine unbequeme Sache, ein solcher Kragen. Ich habe diese Last selbst schon getragen.« Mit Streifen, die ich von seiner Tunika abriß, fesselte ich ihm die Hände auf dem Rücken.
Lachend richtete ich mich wieder auf. »Der Wendige Tharlarion ist gesunken«, sagte ich. Im gleichen Moment lief auch durch Policrates’ Flaggschiff ein heftiger Ruck, und ich hätte beinahe das Gleichgewicht verloren.
»Wir sinken!« rief Ragnar Voskjard und versuchte sich zu befreien, vergeblich.
»Seid gegrüßt!« rief ich fröhlich zu Callimachus und Tasdron hinunter, die, mit anderen Männern in einem Ruderboot sitzend, längsseits gekommen waren. Ich hatte die Annäherung seit einiger Zeit verfolgt.
»Was hast du denn da oben?«
»Zwei hübsche verschnürte Urts«, antwortete ich. »Ob sich wohl Eisenkragen für sie finden lassen?«
»An Land«, antwortete Callimachus. »Wir sperren sie zu den anderen.«
Ich blickte in das Boot hinab. »Wie ich sehe, hast du dir zwei Tuniken erobert«, sagte ich.
»Policrates war so nett, mir die seine zu überlassen«, antwortete Callimachus und deutete in den Bug des Beibootes. Dort lagen Policrates und Callisthenes nackt und gefesselt nebeneinander.
»Ob sie ihre Wunden überleben?« fragte ich.
»Ich habe sie nicht tödlich verwundet«, antwortete Callimachus. »Sie werden also in den Genuß der Steinbrüche oder der Ruderbank kommen.«
Ich beneidete Policrates und Callisthenes, Kliomenes und Ragnar Voskjard nicht. In den Steinbrüchen und auf den Galeeren sind die Ketten schwer und die Peitschen schnell zur Hand.
»Komm an Bord!« sagte Callimachus und streckte mir die Hand entgegen.
17
Sie heißt die Straße der zuckenden Sklavin. Sie ist dunkel und schmal und zieht sich in engen Windungen vom Hafen empor. Hier versuchen die meisten Münz-Mädchen, von ihren Herren losgeschickt, ihr Geld zu verdienen.
Heute war es schon spät; die meisten dieser Mädchen waren schon wieder hinter die verschlossenen Türen ihrer Herren zurückgekehrt.
In unübersichtlichen Kurven zieht sich die Straße der zuckenden Sklavin durch einen Handelsdistrikt und nähert sich einem hügeligen Wohnbezirk. Freie Frauen lassen sich selten hier sehen.
Wenn ich die Hände ausstreckte, konnte ich beinahe die ganze Breite der Gasse überbrücken.