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»Ja, Kapitän«, sagte ich, wandte mich ab, stieg den Niedergang hinab und ging nach vorn zum Bug. Die Ruderer arbeiteten mit einem Viertel der normalen Schlagzahl. Ich setzte mich neben meinen Sachen nieder und schärfte eine Zeitlang die Klinge meiner Waffe mit einem Wetzstein. Als ich fertig war, bedeckte ich den Stahl mit einem dünnen Ölfilm, um das Metall vor Rost zu schützen. Schließlich legte ich mich nahe der Steuerbordreling auf das glatte Deck und schlief schnell ein.

4

»Wie viele sind es?« hörte ich den Offizier Callimachus fragen; die beiden standen über mir auf dem Deck des Bugkastells.

»Zweiundvierzig«, lautete die Antwort.

Wir lagen reglos im Wasser, zweiundzwanzig Schiffe, die eine Doppelreihe bildeten. Die Ruder waren eingezogen.

»Die Kette hat gehalten«, sagte ein Mann in meiner Nähe.

»Ja«, antwortete ich. Im Norden war sie durchbrochen worden, hier aber, nahe dem Vosk-Südufer, hatte sie gehalten. Dies hatte uns die Möglichkeit eröffnet, unsere Flotte zu formieren. Zugleich war die linke Flanke unserer Position noch immer durch die schweren Glieder der cosianischen Kette geschützt, die zwischen ihren Pfeilern hing.

»Wo sind Callisthenes’ Schiffe?« fragte ein Offizier.

»Sie werden in Kürze zu uns stoßen«, antwortete Callimachus. »Und bis dahin müssen wir die Stellung halten.«

Obwohl wir ziemlich weit südlich standen, war das Südufer des Vosk nicht auszumachen, nicht einmal von der Höhe der Bugaufbauten aus.

»Sie bilden den Angriffskeil«, sagte ein Offizier neben Callimachus.

Unsere rechte Flanke wurde durch sieben Schiffe aus Port Cos gedeckt, sieben von den zehn, die ursprünglich auf dem Fluß unterwegs gewesen waren. Wir hatten bereits etliche Verluste zu beklagen, aber auch Ragnar Voskjard war nicht ungeschoren geblieben.

»Ja«, sagte Callimachus und reichte einem seiner Offiziere das Fernglas der Hausbauer zurück. »Es ist der Keil.«

»Und westlich der Kette stehen weitere Schiffe Voskjards«, sagte ein Mann niedergeschlagen.

Es waren die Schiffe, die seit gut einem Tag in unserem Sektor gegen die Kette anzurennen versuchten. Wir hatten noch keinen rechten Eindruck von der Zusammensetzung dieser Flotte gewinnen können, doch wurde angenommen, daß diese südliche Flotte größer war als die im Norden, die erfolgreich gegen die Kette vorgegangen war.

Auf der Grundlage von Callisthenes’ Angaben hatten wir geschätzt, daß Ragnar Voskjard etwa fünfzig Schiffe unter seinem Kommando hatte. Diese Zahl hatte sich inzwischen als grundlegend falsch herausgestellt und mußte vermutlich beinahe doppelt so groß angesetzt werden.

Während die Kette im Norden vermutlich immer weiter geöffnet wurde, hatte sie im Süden lange genug zu halten, um uns daran entlang zurückzuziehen und zu formieren.

»Es gibt kaum Hoffnung für uns«, sagte jemand.

»Die Piraten bilden den Keil«, bemerkte ein Mann.

»Wo sind Callisthenes’ Einheiten?« wollte ein anderer wissen.

»Sie werden bald eintreffen«, antwortete jemand.

»Kapitän!« sagte ein Offizier.

»Ja?« antwortete Callimachus.

»Soll ich den Befehl geben, die Schiffe zusammenzuketten?«

Solche Kommandos ließen sich mit Flaggen und Hornsignalen verbreiten.

»Nein.«

»Wie wollen wir dem Stoß eines solchen Keils anders widerstehen?«

»Wir werden unsere Beweglichkeit nicht einschränken«, befahl Callimachus. »Wir lassen uns die Wirksamkeit unserer Rammen und Scherblätter nicht beschneiden.«

»Wir müssen eine schwimmende Holzfestung bilden«, beharrte der Offizier. »Gegen eine solche Zitadelle rennt der Keil vergeblich an.«

»Die Schiffe in unserer inneren Verteidigungslinie könnten nicht zum Einsatz kommen«, erklärte Callimachus. »Wir wären nichts anderes als ein festgezurrtes, träge daliegendes Angriffsziel, das unmöglich zu verfehlen wäre. Außerdem könnten wir uns nicht wehren, sollte jemand uns seitlich umgehen. Uns bliebe nichts anderes übrig, als den Rammen des Feindes die ungeschützten Bordwände hinzuhalten. Nach knapp einer Ahn wäre deine schwimmende Festung ein einziges Gewirr aus hin und her schwappenden Wrackteilen.«

»Dann wollen wir uns zurückziehen«, sagte der Offizier.

»Dazu ist es zu spät«, widersprach Callimachus.

Mit bleichem Gesicht schaute der Offizier über das Wasser. »Die Flotte ist schon in Bewegung«, sagte er.

»Ja.«

»Was können wir tun?«

»Wir müssen die Stellung halten, bis Callisthenes eintrifft«, sagte Callimachus.

»Dem Stoß des Keils können wir niemals standhalten!« jammerte der Offizier.

»Hier meine Befehle«, sagte Callimachus.

Es war eine Galeere der schweren Klasse, geeignet für die Hochseefahrt. Sie bildete die Spitze des Keils. Nie zuvor hatte ich eine Galeere so schnell durchs Wasser pflügen sehen. An jedem Ruder saßen zwei Männer. Unser Bug war so ausgerichtet, daß der Eindruck entstand, wir wollten den Rammstoß mit unserem Rammschild auffangen. Der Aufprall, sollte es dazu kommen, konnte unseren Kiel zerbrechen lassen.

An unserer Backbordseite lag, beinahe auf Tuchfühlung, die Mira, unser Schwesterschiff aus Victoria.

Auf dem Bugkastell des angreifenden Schiffes hob der Kapitän den Arm. Beinahe sofort schwenkte die Galeere, die bei dieser Geschwindigkeit auf die geringste Regung des Ruders ansprach, einen Strich nach ihrem Steuerbord. Sie wollte nicht von der Tina abgebremst werden, sondern zwischen uns und der Mira durchbrechen und damit die Frontlinie aufreißen. Links und rechts von ihrem Heck folgten zwei weitere Galeeren wie gehorsam mitlaufende Sleen und hatten offenbar die Absicht, die Öffnung auszunutzen, die die Spitze des Keils reißen mußte. Hinter diesen nachrückenden Galeeren erweiterte sich die Formation durch andere Schiffe; auch direkt hinter der ersten Galeere pflügten Angreifer durch das Wasser. Es war wohl unausweichlich, daß unsere Formation durchbrochen, daß unsere Kommunikation gestört werden würde. Die Feinde würden sich unter uns mischen, womit sich die zu verteidigenden Flanken vervielfachen mußten. Getrennt würden wir uns wehren müssen, behindert durch die Versuche, uns gegenseitig abzuschirmen und zu unterstützen. Einzeln verfolgt, würde man uns zusammentreiben und umringen, woraufhin dann die Piraten ihr böses Spiel mit uns treiben konnten. Ragnar Voskjard war an der Kette im Süden aufgehalten worden. Ich nahm nicht an, daß er daran großen Spaß gehabt hatte. Und ich rechnete nicht damit, daß er Gefangene machen würde.

»Jetzt!« brüllte Callimachus.

Normalerweise hat jedes goreanische Schiff drei Stangen an Bord, mit denen die Boote beim Ablegen vom Ufer weggestoßen werden. So natürlich auch die Tina und die Mira. Die Ruder waren eingezogen.

Als das feindliche Schiff schon Anstalten machte, sich wie ein Messer zwischen uns zu pressen, hoben Männer auf der Mira und der Tina diese Stangen und stießen auf ein Kommando hin die Schiffe auseinander. Es gab ein dröhnendes Kratzen, doch schon stand die feindliche Galeere, die uns mit Gewalt hatte auseinanderdrücken wollen, ohne allerdings auf großen Widerstand zu stoßen, ein gutes Stück achteraus. Beinahe sofort traten andere Männer in Aktion und zogen unsere Schiffe mit Hilfe von Enterhaken und Seilen wieder dichter zusammen. Die Schiffe hinter der ersten Galeere hatten dem Anführer folgen und die Öffnung ausnutzen wollen, die er in unsere Formation riß. Die Spitze des Keils lag bis auf einige Splitter und Farbkratzer unbeschädigt hinter uns. Die beiden nachfolgenden Schiffe schabten mit den Bordwänden gegeneinander. Brennendes Pech und Pfeile regneten auf die Decksplanken nieder. Ich hörte an Backbord und Steuerbord Rammen dröhnen. Und schon wurde eines der Schiffe aus der zweiten Reihe von einem nachfolgenden Schiff, das nicht mehr aus dem Schwung genommen werden konnte, ins Heck getroffen. Die Piratengaleeren begannen rückwärts zu rudern, in dem verzweifelten Bemühen, sich zu lösen, doch wehrlos daliegend, halb aus dem Kurs gedreht, mußten sie unseren Beschuß hinnehmen. Zwei weitere Schiffe, die nicht mehr rechtzeitig abbremsen konnten, bohrten sich von hinten in das Schiffsgewirr.