Ich drehte mich um. Die erste Galeere, die hinter unseren Linien isoliert war, versuchte nach Südosten zu entkommen, wo sie nicht von der Kette behindert wurde. Darin aber wurde sie von der Tais gestört, die von unserer rechten Flanke aus das andere Schiff umrundete und voll auf der Backbordseite traf. Der Rammstoß landete hoch, dennoch strömte Wasser in den Schiffsleib. Männer sprangen vom Deck ins Wasser. Kurze Zeit später lag die Galeere mit Schlagseite im Wasser, unbemannt. Das Leck in der Wandung hob sich schließlich gänzlich über die Wasserlinie. Ich sah, wie Männer von der Tais übersetzten und sich auf den schrägen Decks bewegten. Kurze Zeit später kehrten sie auf ihr eigenes Schiff zurück.
Anschließend entfernte sich die Tais von dem angeschlagenen Schiff, dessen Heck plötzlich ruckhaft herumschwang.
»Die Galeere sitzt auf einer Sandbank fest!« rief jemand.
»Ja«, sagte ich. Die beschädigte Galeere schwamm nicht länger mit der Strömung auf die Kette zu.
»Es ist die Tuka«, sagte ein Mann neben mir.
»Ist das ein bekanntes Schiff Ragnar Voskjards?« fragte ich.
»Ja.«
»Und wieder der Keil!« rief eine Männerstimme.
Ich blickte nach Norden. Die feindliche Flotte hatte sich neu formiert.
»Sie fahren nur halbe Rudergeschwindigkeit«, sagte ein Mann.
»Sie werden ihren ersten Fehler nicht wiederholen«, meinte ein anderer.
Diesmal hatte man sich vorgenommen, unsere Linie mit beständigem Druck zu sprengen – nicht in einem plötzlichen Aufprall, sondern als heranströmende Flut, als Lawine aus Holz und Stahl, kontrolliert, geordnet, jeden Augenblick auf die taktische Situation eingestellt. Es sollte nicht wieder vorkommen, daß die Spitze des Keils hinter unseren Linien verlorenging, sich ins Leere richtend.
An den Signalleinen stiegen Flaggen empor, zerrissen, im Wind knallend. Signalfahnen, Wimpel und Streifen, in gemischten Farben und Mustern, liefen am Bug der Tais auf und bestätigten diese Befehle.
»Sie macht volle Rudergeschwindigkeit«, sagte ein Mann.
Die Tais, das Heck tief im Wasser hängend, die Ramme halb in die Luft gereckt, raste nach Nordosten davon.
»Voskjards Keil rückt näher!« rief ein Offizier von unserem Bugkastell.
»Wir wollen die Schiffe zusammenketten, solange es noch möglich ist«, bat ein anderer Offizier.
»Nein«, sagte Callimachus.
»Seht doch!« rief ein Mann, der sich an einen Vorsprung unserer Bugaufbauten gehängt hatte. »Seht, die Tais verläßt unseren Verband. Die Schiffe aus Port Cos folgen ihr.«
»Unsere Flanke ist ungeschützt!« ertönte eine ängstliche Stimme und löste auf unseren Ruderbänken Verwirrung aus.
»Voskjard kann aus der Keilformation nicht mehr heraus«, sagte ich zu dem Mann neben mir.
»Unsere Flanke ist nicht unmittelbar gefährdet«, bemerkte er und legte einen Pfeil auf die Sehne seines kurzen Bogens.
»Nein!« rief ich lachend. »Nein! Schau doch! Plötzlich ist Voskjards Flanke nicht mehr geschützt.«
Die Tais und ihre schnellen, schnittigen Schwesterschiffe waren hinten um unsere Formation herumgekommen, vollführten eine unerwartete Umkreisungsbewegung und pflügten mit wirbelnden Rudern dahin, die Bugrammen halb erhoben, in der Sonne feucht schimmernd, von dröhnendem Trommelrhythmus angepeitscht, einer abgeschossenen Waffe vergleichbar.
Jubelnd waren unsere Ruderer auf die Bänke gestiegen.
Das führende Schiff des Angriffskeils versuchte den Kurs zu wechseln und fiel nach Steuerbord ab. Das unmittelbar nachfolgende Schiff, das fünfzig Meter zurücklag, vermochte nicht mehr innezuhalten. Seine Ramme traf den Anführer ins Heck, riß Holz auf und löste das Steuerbordruder. Beinahe gleichzeitig schwärmten die sieben Schiffe aus Port Cos auseinander, nahmen sich eine wehrlose Schiffsflanke zum Ziel und kamen in den ersten Kontakt mit ihrem Gegner. Und widmeten sich auf das tüchtigste dem Kriegshandwerk.
Mir war unverständlich, wie sich Ar bei seiner Auseinandersetzung mit Cos auf dem Vosk gegen solche Schiffe und Kämpfer auch nur die geringste Chance ausrechnen konnte. Die Schiffe, die Ar-Station zur Flotte entsandt hatte, schienen eher Rundschiffe zu sein als Kampfeinheiten. Manche besaßen überhaupt keine Rammen und Scherblätter, geschweige denn umlegbare Masten. Nur wenige Einheiten verfügten über mehr als zwanzig Ruder. Keines der Schiffe schien ausreichend bemannt zu sein. Ar, so wollte mir scheinen, mußte seine Politik am Vosk behutsam angehen.
Die Schiffe aus Port Cos, die unter dem Kommando der Tais standen, zogen sich von den Schiffen zurück, die sie leckgeschlagen hatten. In Voskjards Flotte herrschte Verwirrung. Viele Schiffe kollidierten. Immer wieder gellten Signalhörner auf. Kapitäne bemühten sich, aus der Enge der Keilformation freizukommen und zu wenden. Immer wieder suchten die Tais und ihre Schwesterschiffe wie lauernde Flußraubtiere das Äußere der verwirrten, behäbigen Stadt aus Holz ab und wählten beinahe ungestört ihre Opfer.
Wie gedachte sich Ar, so fragte ich mich, auf dem breiten Vosk gegen solche Männer und Schiffe zu behaupten?
Geradezu lächerlich wirkten die behäbigen, gedrungenen Schiffe aus Ar-Station im Vergleich zu den flotten Räubern aus Port Cos und auch noch zu den Schiffen Ragnar Voskjards.
»Die Tais hat zum drittenmal zugeschlagen!« rief jemand. Die Besatzung der Tina jubelte.
Jedes Schiff aus Ar-Station verfügte über lange schwere Plankenplatten, durch Querstreben zusammengehalten, jeweils etwa fünfundzwanzig Fuß breit und sieben oder acht Fuß lang. Diese waren unweit der Masten auf hochgelegenen Plattformen angebracht, eine Platte an jedem Mast, und ließen sich auf Rollen von den Masten fortziehen, an denen sie mit verstellbaren Ketten befestigt waren. Nach oben zu lehnten die Gebilde rückwärts zu den Masten und waren oben mit Tauen gesichert. Von der Oberkante jedes Plattengebildes wölbte sich ein riesiger geschmiedeter Dorn auswärts, der an einen krummgeschlagenen Nagel erinnerte.
»Die Flotte wendet!« rief eine Männerstimme.
Und tatsächlich: Trotz der Enge und der zahlreichen Wracks und obwohl manches Schiff gegen die Kette gedrückt wurde, hatte die Flotte Voskjards wenden können.
»Flieht!« rief ein Mann dicht neben mir, als könnte man ihn über das Wasser hören.
Die Rammen der Voskjardschen Flotte richteten sich auf die Tais und ihre Schwesterschiffe. Zwischen ihnen lagen mit Schlagseite oder bereits halb gesunken die Überreste von etwa achtzehn Schiffen. Einige weitere waren untergegangen.
»Die Flotte Voskjards ist wieder zum Angriff bereit«, sagte ein Seemann hinter mir.
»Schade um die mutigen Kämpfer aus Port Cos«, bemerkte jemand.
»Ruder durch!« rief Callimachus.
»Ruder durch!« rief sein Offizier.
»Ruder durch!« wiederholte der Rudermeister. Hinter uns dröhnte die kupferbedeckte Trommel unter dem Aufprall der fellbedeckten Schlegel.
»Ja! Ja!« rief ich. »Ragnar Voskjard zeigte nur uns die ungeschützte Flanke!«
Die Tina und ihre Kampfformation begannen vorzurücken.
»Zurückziehen! Neu formieren!« rief Callimachus.
Die Insel aus Holz in der Mitte des Vosk, die aneinanderschabenden, kämpfenden Schiffe, drehten sich an der Kette. Rammen und konkave Bugpartien bedrohten uns.
Wir zogen uns vom Schauplatz der Vernichtung zurück.
Wir, unsere Formation, hatte Voskjards Flotte an der rechten Flanke erwischt, während sie noch wendete, um die Tais und ihre Schwesterschiffe aus Port Cos zu bestrafen. Unser kühnes Manöver hatte Voskjards Flotte völlig überrascht. Daß Schiffe wie die aus Ar-Station und den unabhängigen Städten, zumeist umgebaute Handelsschiffe, die Sicherheit der eigenen Position verlassen würden, um einen Angriff zu beginnen, hatte man sich drüben nicht träumen lassen. Vermutlich wußte man nicht, daß auf unserem Bugkastell ein Mann namens Callimachus regierte.