»Was tun die da?« fragte jemand.
»Keine Ahnung«, sagte ich.
Gestalten waren in die Masten der Portia gestiegen und lösten die Taue, die die Oberseiten der langen schweren Holzplankenkonstruktionen hochgeklappt hielten. Diese Gebilde ruhten auf Plattformen, die von den Füßen der Masten auswärts gerollt wurden, ein Gebilde nach Steuerbord, das andere nach Backbord, um dort festgezurrt zu werden.
Piraten drängten sich an der Reling ihrer Schiffe. Wurfanker an langen Leinen wurden zur Portia hinüber geworfen. Doch beinahe im gleichen Moment klappten die seltsamen Plankengebilde, von Seilen gezogen, abwärts. Diese beinahe fünfundzwanzig Fuß langen und sieben Fuß breiten Flächen stürzten herab und veranlaßten die Piraten, hastig auszuweichen. Die langen Spitzen bohrten sich krachend in das Deck der Piratengaleeren. Auf diese Weise wurden die Schiffe fest miteinander verbunden, allerdings in einem Abstand von etwa acht Fuß.
Im gleichen Moment ertönte das Kampfsignal Ars auf der Galeere. Luken wurden geöffnet.
Verblüfft starrten die Piraten über ihre Reling – sie kamen plötzlich nicht mehr an das andere Schiff heran.
»Infanteristen aus Ar!« rief ein Mann auf der Tina.
Aus den offenen Luken strömten Ar-Krieger, die mit ihren Metallhelmen furchteinflößend aussahen. Sie trugen große runde Schilde und schwere Speere mit Bronzespitzen.
Piraten eilten zu der Plankenstraße, die den Zugang zu ihrem Schiff bildete, doch sofort wurde ein Dutzend Speere geworfen und schlug den Widerstand nieder, und schon kamen die Männer aus Ar im Laufschritt über die künstliche Brücke, die Schwerter gezogen, mit den Schilden zahlreiche Pfeile abfangend, und drängten und hieben die Gegner ins Wasser. Eine Hälfte wandte sich zum Bug des feindlichen Schiffes, die andere zum Heck. Die Kette der Piraten, die sich zum Entern über die ganze Schiffsseite verteilt hatte, wurde sofort durchbrochen. Rücksichtslos und schnell, sauber, genau – so traf der Stahl der Berufskrieger. Innerhalb weniger Sekunden waren die Decks beider Piratenschiffe gesäubert. Und immer neue Soldaten kamen aus dem Lagerraum. Ich hatte den Eindruck, daß sie den Piraten zahlenmäßig um gut das Zehnfache überlegen waren. Die weiten Laderäume der Portia waren voller Kämpfer gewesen.
»Eine Infanterieschlacht«, sagte ein Mann neben mir ehrfürchtig.
»Die aber zur See ausgefochten wurde«, bemerkte sein Nachbar.
Die breiten Plankengebilde wurden vorsichtig von den Decks der Piratenschiffe gelöst und wieder hochgezogen. An den Bugleinen beider Schiffe stieg die Flagge von Ar-Station auf.
»Ar weiß schon, worauf es sich am besten versteht«, sagte jemand.
»Ja«, wurde geantwortet.
Das Schiff Voskjards, das uns belauert und daran gehindert hatte, an dem Kampf teilzunehmen, zog sich nun langsam zurück.
Ich glaube wir alle, Freund oder Feind, sahen die Schiffe aus Ar-Station plötzlich mit ganz anderen Augen. Auf jeden Fall hatten sie unseren Respekt verdient.
»Kehren wir zu unseren Schwesterschiffen zurück!« rief Callimachus.
Langsam näherten wir uns der Portia und ihren Prisen.
»Es wird bald dunkel sein«, sagte jemand.
»Im Schutze der Dunkelheit können wir uns davonschleichen«, meinte eine Männerstimme.
»Callimachus wird Callisthenes auf keinen Fall im Stich lassen«, sagte ich.
»Wo aber ist Callisthenes?« wurde ich gefragt.
»Keine Ahnung.«
»Einen weiteren Tag halten wir auf keinen Fall durch.«
»Nicht ohne Unterstützung durch Callisthenes.«
»Es wäre der dritte Kampftag.«
»Callisthenes ist bestimmt vor dem Morgengrauen hier«, meinte jemand.
»Woher willst du das wissen?« fragte ihn sein Nachbar.
»Er muß hier sein«, meinte der erste Mann achselzuckend.
»Wir müssen uns ein neues Backbordruder zurechtmachen«, sagte ich. »Die Wracks liefern uns dafür das Material.«
»Ich helfe dabei!« rief ein Mann.
»Ich auch!« meldete sich ein zweiter.
Plötzlich mußte ich an die Tamira denken. Ich war heute schon bis auf hundert Meter an sie heran gewesen.
»Ich hole die Erlaubnis ein, das Beiboot zu Wasser zu lassen«, sagte einer meiner Genossen.
»Ja«, sagte ich.
Ich mußte auch an die Tuka denken. Sie war das führende Schiff in Voskjards erstem Angriffskeil gewesen. Jetzt lag sie beschädigt und verlassen auf einer Sandbank unweit der Kette, knapp einen Pasang entfernt. Angeblich war sie eine sehr bekannte Galeere Voskjards. Und sie besaß einen sehr großen Laderaum. »Woran denkst du?« fragte ein Mann. »An nichts«, antwortete ich. »An nichts.«
6
Wir sahen, wie die Leda aus Port Cos voll in die Seite getroffen wurde.
»Ruder rückwärts!« rief der Rudermeister.
Die Tina erbebte im Wasser und glitt seitlich ausweichend zurück. Eine mittelgroße Galeere Voskjards schob sich dicht an uns vorüber und drängte uns mit ihrer Bugwelle weiter zurück. Unsere Ramme streifte knirschend an der Bordwand entlang.
»Ruder rückwärts!« rief der Rudermeister. »Und halten!«
Bei uns waren viele Bänke leer. Auf vielen Holzsitzen schimmerte Blut.
Am Heck gab es ein Knirschen, und von einem der vielen Piratenschiffe, die uns bedrängten, sprangen Männer zu uns herüber.
»Angreifer abwehren!« vernahm ich einen Schrei.
»Bleibt auf den Bänken!« brüllte der Rudermeister.
Männer eilten an uns vorbei, um die Eindringlinge vom Heck zu vertreiben. Ich blieb auf der Bank sitzen, die Hände um das Ruder gelegt.
»Ruder rückwärts!« befahl der Rudermeister.
»Die Decks sind wieder frei!« rief eine Stimme.
»Die Portia ist getroffen!« meldete ein Offizier. Im gleichen Moment stürzt ein Bogenschütze vom Achterkastell; ein Pfeil steckte in seiner Brust.
Durch die Ruderpforte sah ich, wie der Bug der Leda plötzlich in steilem Winkel aus dem Wasser gehoben wurde, Ramme und Schiffskörper wasserschimmernd, und dann jäh zu drei Vierteln unter der Wasseroberfläche verschwand. Das Heck saß im Schlamm des Flußbettes fest. Von der Strömung getrieben, wurde der Bug, an dem sich Männer festklammerten, zur Kette herumgedreht.
»Ruder rückwärts!« rief der Rudermeister.
Wir fielen nach Backbord ab, bis unsere Ramme das Schiff Voskjards bedrohte. Die Bogenschützen suchten hinter den Bordwänden Schutz. Verwirrung breitete sich bei ihnen aus. Wie nervös zuckende Gliedmaßen wurden Ruder angehoben oder ins Wasser gesenkt, uneinheitlich und ohne Verbindung zwischen Backbord und Steuerbord. Dennoch bewegte sich das Piratenschiff allmählich nach Backbord und verschwand schließlich hinter dem Bug der zerstörten Leda. Wir hatten nicht angegriffen. Steuerbord voraus lag lauernd eine Galeere Voskjards: sie würde sofort in Aktion treten, wenn wir ihr die Flanke darboten. ›Hüte dich vor dem Sleen, der zu schlafen scheint‹, lautet ein goreanisches Sprichwort.
»Ruder langsam rückwärts!« sagte der Rudermeister.
Kurze Zeit später lagen wir längsseits der Olivia, des unter Aemilianus’ Kommando stehenden Flaggschiffs der Flotte aus Ar-Station, die zuletzt die Portia verloren hatte. Auf der Steuerbordseite der Olivia lag die Tais aus Port Cos, schnittig, zerkratzt, wehrhaft, und hielt die Mitte unserer Formation. Die Reihe setzte sich fort mit der Talender aus Fina und der Hermione, die in der Schlacht erbeutet und von Soldaten aus Ar-Station bemannt worden war.
»Einen weiteren Angriff überstehen wir nicht«, sagte jemand.
Wir lauschten auf die Hornsignale, die von Ragnar Voskjards Flotte herübertönten.