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»Recht heftig? Es war das beste seit Monaten! Wie konntest du dir das nur entgehen lassen?«

»Du brauchst mich doch nicht mehr dafür. Du bist längst ein viel besserer Blitzhändler, als ich es jemals war.«

Die Gleichgültigkeit seines Vaters war nichts Ungewohntes für Liam, trotzdem ärgerte er sich jedes Mal aufs Neue darüber. »Darum geht’s doch gar nicht«, sagte er ungehalten. »Du bleibst nächtelang fort, und ich muss mich um alles kümmern. Ich dachte, wir machen das hier gemeinsam!«

Endlich ließ sein Vater von den Papieren ab und sah ihn an. »Wie viele hast du rausgeholt?«

»Neunzehn Blitze und ein bisschen Elmsfeuer.«

»Ordentlich, ordentlich. Hast du sie schon verkauft?«

Liam seufzte. »Wie denn, Vater? Das Gewitter war erst letzte Nacht.«

»Ach ja, richtig.«

»Sie sind noch oben. Ich war gestern zu müde, um sie nach unten zu bringen. Willst du sie sehen?«

»Später«, meinte Fellyn. »Lass mich erst meine Notizen finden.«

Liam hätte schreien mögen. Dann fiel ihm auf, wie angespannt sein Vater war. Er schien vor Nervosität regelrecht zu vibrieren. »Willst du mir nicht sagen, wo du letzte Nacht warst?«

»Ich sagte doch, ich hatte zu tun.«

Antworten wie diese hörte Liam seit Monaten. Er war nicht länger bereit, sich damit abspeisen zu lassen. Nicht, wenn er allein dafür sorgte, dass regelmäßig Geld hereinkam. »Jetzt hör mir mal zu«, begann er ärgerlich. Doch als er zum Tisch trat, verstummte er. Durch das Fenster neben der Tür sah er drei Gestalten den Hügel heraufkommen: zwei Spiegelmänner und Corvas. »Was wollen die denn hier?«, murmelte er mit einem Anflug von Unbehagen.

Sein Vater hob den Kopf - und erbleichte. »Der Himmel sei uns gnädig«, hauchte er.

»Was soll das heißen?«, fragte Liam alarmiert. »Sind die etwa auf dem Weg zu uns

»Sie müssen irgendwie auf mich aufmerksam geworden sein.«

»Wann denn?«

Sein Vater zerriss ein Stück Papier in kleine Fetzen, die er in den Papierkorb warf. Mit einem gehetzten Blick aus dem Fenster kam er hinter dem Tisch hervor. »Heute Morgen. Bei meinen Nachforschungen. Und ich dachte, ich wäre vorsichtig gewesen!«

»Was denn für Nachforschungen? Erklär mir endlich, was hier los ist!«

»Ich fürchte, ich bin zu weit gegangen.«

»Wobei?« Liams Verwirrung verwandelte sich in Angst, als er sah, dass Corvas und die beiden Spiegelmänner zielstrebig auf die Sternwarte zukamen. »Wobei zu weit gegangen?«

Fellyn packte ihn an den Schultern und sah ihm in die Augen. »Hör mir jetzt gut zu: Wenn mir etwas zustößt, musst du zu Nestor Quindal gehen, dem Erfinder...«

»Was soll das heißen, wenn dir etwas zustößt?«

»Zuhören, nicht fragen«, befahl sein Vater. »Bitte Quindal, das Gelbe Buch von Yaro D’ar zu beschaffen. Es gibt davon nur ein Exemplar. Lady Sarka besitzt es. Hast du das verstanden?«

»J-ja«, stammelte Liam. »Aber warum...«

»Wiederhole, was ich gesagt habe.«

»Ich soll zu Nestor Quindal gehen und ihn bitten, das Gelbe Buch von Yaro D’ar zu beschaffen. Von der Lady.«

»Gut. Und jetzt versteck dich im Geheimraum. Ich versuche, Corvas irgendwie abzuwimmeln.«

Sein Vater ließ ihn los, doch Liam war nicht fähig, sich zu bewegen.

»Bitte, Liam! Das ist kein Spaß.«

Erst als Liam die nackte Angst in den Augen seines Vaters sah, überwand er seine Erstarrung. Er hastete zur Aussparung unter der Treppe und drückte auf einen Ziegelstein, woraufhin ein quadratisches Mauersegment aufschwang. Liam schlüpfte hinein und zog die verborgene Klappe von innen zu - keine Sekunde zu früh, denn im selben Moment klopfte es.

Mit eingezogenem Kopf kauerte er in der muffigen Kammer. Durch eine Ritze in den Mauerfugen konnte er beobachten, wie sein Vater die Tür öffnete.

»Fellyn Satander?«, fragte Corvas.

»Der bin ich.«

Der bleiche Mann gab den beiden Spiegelmännern einen Wink, woraufhin sie in die Sternwarte eindrangen und Liams Vater festhielten, während Corvas ihnen folgte und die Tür hinter sich schloss.

»Was soll das? Was wollt ihr von mir?«

»Du stehst im Verdacht, in gewisse Aktivitäten verwickelt zu sein.«

»Welche denn?«

»Eine Verschwörung zum Schaden der Stadt.«

Liam glaubte, sich verhört zu haben. Sein Vater und eine Verschwörung? Angestrengt starrte er durch den Mauerschlitz und fürchtete dabei, das heftige Pochen seines Herzens könnte ihn verraten.

»Das ist doch lächerlich«, sagte sein Vater barsch. »Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Lasst mich verdammt noch mal los!«

Mit einem Handzeichen befahl Corvas den Spiegelmännern, von ihm abzulassen. Liams Vater rieb sich die schmerzenden Arme und bedachte die Eindringlinge mit einem finsteren Blick.

Corvas schritt durch den Raum und betrachtete mit ausdrucksloser Miene die Aetherfässer, das Gerümpel, den Tisch. »Was sind das für Papiere?«

»Geschäftsunterlagen.«

»Du handelst mit Blitzen, richtig?«

»Ja.«

»Lebst du hier allein?«

Liams Vater nickte.

Corvas warf einen Blick in die beiden angrenzenden Schlafkammern. »Und wer schläft dort?«

»Das Zimmer gehört meinem Sohn.«

»Wo ist er?«

»Ich habe ihn vor zwei Wochen zu meinem Bruder nach Torle geschickt.«

Liam staunte, wie leicht seinem Vater diese Lüge über die Lippen kam, obwohl er nicht gerade der geborene Schwindler war. Es erschien ihm, als hätte sich sein Vater diese Antwort schon vorher zurechtgelegt. Liam schauderte, als ihm klar wurde, was das bedeutete: Offenbar fürchtete sein Vater seit Längerem, eines Tages Besuch von Corvas zu bekommen.

»Nach Torle, so«, sagte das Oberhaupt der Geheimpolizei. »Weswegen?«

»Weil ein Junge dort besser leben kann und nicht ständig Angst vor den verdammten Spiegelmännern haben muss«, erwiderte Liams Vater beißend.

Der Glanz in Corvas’ Augen wurde kalt. »Ich warne dich, Satander«, sagte er leise. »Treib es nicht zu weit.« Er wandte sich an die Spiegelmänner, die reglos im Raum standen. »Nehmt die Papiere an euch und durchsucht alles.«

Einer der Spiegelmänner stopfte die Notizen und Aufzeichnungen in einen Beutel, während der andere von Zimmer zu Zimmer ging. Liam hatte schon oft Spiegelmänner im Viertel gesehen, aber noch nie waren sie ihm so nahe gekommen. Die Kutte verhüllte ihren Körper vom Kopf bis zu den Stiefeln, in ihren gewölbten Masken spiegelte sich seltsam verzerrt die Umgebung. Ihre Hände steckten in Handschuhen, schwarzen Bandagen ähnlich. An ihren Gürteln hingen Rabenschnäbel, schreckliche Hiebwaffen mit einem eisernen Dorn an der Spitze, der jeden Helm, jeden Panzer durchschlagen konnte. Niemand hatte sie je sprechen gehört, niemand wusste, woher sie kamen, obwohl manche behaupteten, sie seien Söldner aus den fernen Ländern jenseits des Meeres und hätten geschworen, Lady Sarka bis zum Tod zu dienen. Furcht folgte ihnen auf Schritt und Tritt, denn überall, wo sie und ihr bleicher Anführer auftauchten, verschwanden wenig später Menschen.

Mach, dass alles nur ein Missverständnis ist, und lass sie wieder gehen, betete Liam in seiner Kammer, und das Herz schlug ihm bis zum Hals.

Sein Vater stand währenddessen mit verschränkten Armen da. Als Corvas ihm einmal kurz den Rücken zuwandte, spähte er verstohlen in eine Ecke des Raumes. Die Apparatur, die dort lag, halb unter einer Decke versteckt, besaß eine längliche, spitz zulaufende Kupferspirale. Ein Blitzwerfer. Sie hatten ihn vor Jahren gekauft und seitdem nie benutzt, und Liam wusste nicht einmal, ob er überhaupt noch funktionierte. Als er begriff, was sein Vater möglicherweise vorhatte, atmete er scharf ein. Mach keine Dummheiten!, hätte er ihm am liebsten zugerufen.

Just in diesem Moment kam der Spiegelmann aus dem Nebenraum. Liam dachte, er würde die Treppe hinaufsteigen, doch plötzlich, vielleicht weil er Liams Keuchen gehört hatte, blieb der Schwarzgekleidete stehen und beugte sich zu der verborgenen Klappe herunter.