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Such die Tür, dachte er, aber schon im nächsten Moment wusste er nicht mehr, woher dieser Gedanke kam. Obwohl er wichtig zu sein schien, gelang es ihm nicht, ihn festzuhalten, denn er war vollauf damit beschäftigt, ein Beet umzugraben.

Mechanisch und selbstvergessen trieb er seine Schaufel ins Erdreich und arbeitete sich Schritt für Schritt voran, schuftete, bis er seine Arme nicht mehr spürte. Er konnte nicht sagen, wie viel Zeit währenddessen verging, Stunden, vielleicht sogar Tage. Dabei war ihm vage bewusst, dass er eigentlich etwas Besseres zu tun hatte, als Erde umzuwälzen. Er wünschte nur, er könnte sich daran erinnern, was. Irgendetwas mit einer Tür. Aber eine Tür war nirgendwo zu sehen.

Plötzlich spürte er, dass er beobachtet wurde. Verstohlen blickte er sich um, konnte jedoch niemanden entdecken. Er war allein in dem riesigen Garten.

War Darren hinter ihm her? Oder, schlimmer noch, der unheimliche Krähenmann? Jackon beschloss zu fliehen, solange er noch konnte. Er vergaß die Tür, warf die Schaufel weg und nahm die Beine in die Hand.

Und dann war der Garten verschwunden. Jackon hetzte durch dunkle Tunnel, die so niedrig waren, dass er den Kopf einziehen musste. Wasser rauschte in der Finsternis, und der Gestank von Unrat und Exkrementen raubte ihm den Atem. Diese Tunnel waren ihm so vertraut, dass er blind den Weg fand. Hatte er einmal hier gelebt? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Er konnte sich nicht erinnern.

Aus der Finsternis hörte er hastige Schritte. Also hatte er sich nicht geirrt - er wurde wirklich verfolgt! Und offenbar nicht von einer einzelnen Person, sondern von einer ganzen Horde.

Er warf einen Blick über die Schulter und sah Augenpaare, die in der Finsternis glühten, hörte wispernde Stimmen, die nach seinem Fleisch riefen. Ghule!, kam es ihm in den Sinn. Also war eingetreten, wovor er sich sein halbes Leben lang gefürchtet hatte. Sie hatten ihn gefunden, sie würden ihn hetzen, bis er vor Erschöpfung zusammenbrach, um sich dann auf ihn zu stürzen und ihn mit ihren Klauen und gelben Fangzähnen zu zerreißen.

Er musste noch schneller laufen, musste einen Ort finden, wo es Licht gab, denn Licht bedeutete Sicherheit. Am besten verließ er die Kanäle, in der Hoffnung, dass es draußen zu hell für die Ghule war. Doch mit seinen Beinen stimmte etwas nicht. Sie bewegten sich, so wie sich Beine bewegten, wenn man wie der Teufel rannte, trotzdem kam er nicht vom Fleck. Er trat auf der Stelle, während die Untoten immer näher kamen.

Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Wenn er nicht schleunigst einen Ausweg fand, war er verloren.

Vor ihm landete eine Krähe. Obwohl es stockdunkel war, konnte er sie genau erkennen. Sie starrte ihn aus ihren Knopfaugen an, öffnete ihren Schnabel und krächzte: »Wieso gehst du nicht durch die Tür?«

Verblüfft blieb er stehen. Seit wann konnten Krähen sprechen? »Ich sehe keine Tür«, rief er.

»Sie ist genau neben dir, Dummkopf«, erwiderte der Vogel.

Jackon wandte sich zur Wand um. Richtig, da war eine Tür. Seltsam, dass er sie nicht schon vorher bemerkt hatte.

Eine Tür...

Plötzlich fiel ihm alles wieder ein. Deswegen war er hergekommen! Um die Tür zu finden! Wie hatte er das nur vergessen können? Dabei hatte man ihm eingeschärft, sich unter allen Umständen daran zu erinnern.

Sie stand mitten in einem Garten, auf einer Wiese, eingefasst in einen schlichten Holzrahmen. Der Messingknauf glänzte im Sonnenlicht.

Ein Garten?, dachte Jackon verwirrt. War er nicht eben noch woanders gewesen? Er drehte sich um die eigene Achse und blickte sich um. Überall Bäume und Hecken. Er hätte schwören können, dass er erst vor wenigen Augenblicken durch einen Tunnel gerannt war.

Und wieso hatte er Angst? Dieser Garten war nicht im Mindesten Furcht einflößend. Die Sonne schien. Von den Ästen regneten Blütenblätter. In den Baumwipfeln zwitscherten Vögel.

Dennoch blieb das vage Gefühl der Bedrohung. Besser, er sah sich ein wenig um und fand heraus, ob er wirklich allein in dem Garten war. Möglicherweise lauerten irgendwo Ghule, obwohl er sich nicht recht erklären konnte, wie er ausgerechnet auf Ghule kam.

Als er losstapfte, überkam ihn die drängende Sorge, dass er etwas Wichtiges vergessen hatte - nur was? So sehr er auch darüber nachgrübelte, es fiel ihm nicht mehr ein.

Er setzte sich an einen reich gedeckten Tisch, den er zwischen den Hecken fand. Ein livrierter Diener tauchte auf und schenkte ihm eine Tasse Kaffee ein.

»Kannst du mir sagen, weswegen ich hier bin?«, fragte Jackon.

Der Diener öffnete den Mund. Er hatte keine Zunge mehr.

Jackon zuckte mit den Schultern und trank von seinem Kaffee, der seltsamerweise wie Orangensaft schmeckte.

Er erwachte auf der Couch. Das Kissen unter seiner Wange war feucht von seinem Speichel. Die Lampen verströmten trübes Licht. Irgendetwas sagte ihm, dass draußen der Morgen dämmerte, obwohl kein Tageslicht in das Zimmer fiel.

Benommen setzte er sich auf.

»Hast du die Tür gefunden?«, fragte Lady Sarka, die aus den Schatten trat.

Es dauerte einen Augenblick, bis er den Sinn ihrer Frage erfasste. »Ja... nein. Sie war wieder weg, bevor ich sie öffnen konnte.«

Sie setzte sich in den Lehnstuhl. »Aber du hast sie gesehen.«

»Nur kurz.« Er konnte sich kaum noch daran erinnern. Auch der Rest des Traumes verblasste zusehends. Er wusste nur noch, dass es ein überaus verrückter und beklemmender Traum gewesen war. »Es tut mir leid«, fügte er hinzu.

Sie lächelte aufmunternd. »Für den Anfang bist du weit gekommen.«

»Für den Anfang?«

»Morgen Abend kommst du wieder hierher. Und übermorgen auch. So lange, bis du die Tür auf Anhieb findest.«

»Was, wenn ich es niemals schaffe?«

»Das wird nicht geschehen. Vertraue deinen Kräften. Du musst lediglich versuchen, dich an deine Aufgabe zu erinnern, während du schläfst.«

»Aber die Träume sind so verwirrend. Sie lenken mich immerzu ab.«

»Hab Geduld. Du wirst lernen, dich in deinem Seelenhaus zurechtzufinden.«

»Ich habe kein Seelenhaus gesehen.«

Anstelle einer Antwort erhob sich Lady Sarka. »Genug für heute, Jackon. Warte hier auf Umbra. Sie bringt dich zurück zu deiner Kammer.« Dann wandte sie sich ab und verschwand im Halbdunkel jenseits des Lampenscheins.

Nach einer Weile stand er auf. Er drehte die Lampe heller und warf einen verstohlenen Blick hinter den Wandschirm, der den hinteren Teil des Zimmers abtrennte.

Holzgetäfelte Wände, ein Tischchen mit einem Grammofon, eine Vitrine mit Kristallgläsern - aber nirgendwo ein Ausgang.

12

Audienz bei Lady Sarka

Rauch zog an den Fenstern von Quindals Droschke vorbei, während das Gefährt durch die Gassen des Kessels rumpelte.

»Ab jetzt lautet dein Nachname Hugnall«, sagte der Erfinder. »Ich habe entfernte Verwandte in Torle, die so heißen. Du hast deine Eltern beim letzten Ausbruch der Cholera verloren. Außer mir hast du keine Angehörigen, also bist du mit dem Luftschiff nach Bradost gekommen. Wiederhole das.«

Liam tat, was Quindal von ihm verlangte. Hugnall. Er sagte sich diesen Namen mehrmals stumm vor, damit er nicht zögerte, wenn man ihn danach fragte.

Die Droschke rollte durch ein Schlagloch, und der Stoß fuhr ihm unangenehm in den Magen. Seine Aufregung wurde von Minute zu Minute schlimmer. Er war tatsächlich im Begriff, bei Lady Sarka vorzusprechen und sie um eine Stelle in ihrem Palast zu bitten - er musste verrückt geworden sein. Dabei war ihm dieser Plan gestern noch vernünftig erschienen.