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Weißes Licht blitzte auf. Schmerz bohrte sich in ihren Schädel, sie vergrub ihr Gesicht in den Armen. Sie fürchtete, bei lebendigem Leib zu verbrennen, doch dann verschwand die Hitze schlagartig. Schließlich wagte sie, die Augen zu öffnen.

Die flirrende Säule war fort. Seth blickte sich suchend im Saal um. Als er feststellte, dass Amander und Corvas bei Jackon waren, ging er zu einem Mann, der Lucien ähnlich sah und in einer Ecke kauerte: Aziel, vermutete Vivana. Seth half ihm aufzustehen und legte den Arm um den verwundeten Alb, und die beiden Geschöpfe verschwanden so plötzlich, als hätten sie sich in Luft aufgelöst.

Im gleichen Moment ließen die wenigen Ghule, die noch nicht erschlagen worden waren, von ihren Gegnern ab, reckten die Köpfe und zischten und wisperten mit ihren unmenschlichen Stimmen. Als sie feststellten, dass ihr Anführer verschwunden war, hasteten sie in heilloser Flucht durch den Saal, sprangen über Vivana hinweg, die hastig den Kopf einzog, und drängten durch das Portal. Die überlebenden Spiegelmänner setzten ihnen nach und streckten so manchen Untoten nieder, bevor die Horde fliehen konnte.

Stille kehrte in der Halle ein. Corvas’ Krähen hatten sich auf den Körpern der toten Ghule niedergelassen und labten sich an ihrem verrotteten Fleisch.

Vivana kroch auf allen vieren über den Boden. »Liam«, flüsterte sie, doch sie konnte ihn nicht finden. Wo er eben noch gelegen hatte, waren die Marmorplatten so heiß, dass sie sich die Hand daran verbrannte.

Mühsam stand sie auf und blickte sich um. »Liam, bist du da?«

Keine Antwort. Kalte Furcht erfasste sie. Überall lagen Körper und bewegten sich nicht. War Liam so schwer verletzt, dass er nicht antworten konnte? War er... tot?

Sie suchte die Mitte des Saales ab. Von Liam keine Spur.

Ein schmerzerfülltes Wimmern erklang. Jackon. Sie lief zu ihm.

Corvas hatte ihm einen zusammengerollten Teppich unter den Kopf geschoben. Er atmete schwer. Dicht über seinem Herzen befand sich eine schreckliche Wunde, als hätte sich ein Stück glühendes Metall in seine Brust gebohrt und das Fleisch verbrannt.

»Jackon«, sagte sie. »Kannst du mich hören?«

Er flüsterte etwas, vielleicht ihren Namen. Es war so leise, dass sie es nicht verstehen konnte.

»Liam ist fort. Seth hat irgendetwas mit ihm angestellt. Ich kann ihn nirgendwo finden.«

Abermals formten Jackons Lippen lautlose Silben. Seine Augen trübten sich zusehends - von ihm konnte sie keine Hilfe erwarten. Verzweifelt schaute Vivana sich um. Vielleicht konnte Lucien ihr sagen, was geschehen war. Aber der Alb schien ebenfalls verschwunden zu sein.

»Wo ist Lucien?«, fragte sie Jackon, nur um festzustellen, dass der Rothaarige das Bewusstsein verloren hatte.

Erst jetzt bemerkte sie, dass Corvas sie anstarrte.

»Bist du nicht Nestor Quindals Tochter?«, fragte der Schwarzgekleidete mit seiner monotonen Stimme.

Sie nickte.

»Was hast du hier zu suchen?«

Sie zuckte mit den Schultern, woraufhin Corvas sie mit einem stechenden Blick bedachte. »Hast du etwas mit dieser Sache zu tun?«

»Mit den Ghulen? Natürlich nicht!«

Er schien ihr nicht zu glauben. Doch bevor er ihr weitere Fragen stellen konnte, kam Lady Sarka die Treppe herunter, gefolgt von ihrer Leibwächterin Umbra. Sie kniete sich neben Jackon. »Wie geht es ihm?«

»Es hat ihn übel erwischt«, antwortete Amander. »Aber er wird durchkommen, denke ich.«

»In meine Gemächer mit ihm. Und ruft meinen Leibarzt.«

Corvas hob Jackon hoch und trug ihn die Treppe hinauf, ohne Vivana eines weiteren Blickes zu würdigen. Vivana atmete auf. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn der Anführer der Geheimpolizei beschlossen hätte, sie zu verhören.

In diesem Moment wurde Lady Sarka auf sie aufmerksam. »Du?«, fragte die Herrscherin von Bradost verwundert.

»Lady Sarka«, murmelte Vivana respektvoll. Die Lady und sie waren einander schon oft begegnet, bei verschiedenen offiziellen Empfängen, zu denen man ihren Vater eingeladen hatte.

»Was machst du in meinem Haus?«

Umbra antwortete an Vivanas Stelle: »Sie war offenbar bei Jackon und Quindals Großneffen, als die Ghule angegriffen haben.«

»Weiß dein Vater davon?«, fragte die Lady.

»Natürlich«, log Vivana.

Lady Sarkas Stimme bekam einen schneidenden Klang. »Hatte ich euch nicht den Befehl gegeben, niemanden in den Palast zu lassen?«

»Wir wissen nicht, wie sie hereingekommen ist«, erwiderte Umbra.

»Sieh zu, dass sie nach Hause kommt. Wir haben Wichtigeres zu tun.« Die Lady stieg die Treppe hinauf.

»Wartet«, rief Vivana. »Was ist mit Liam?«

Lady Sarka wandte sich um und blickte sie voller Ungeduld an.

»Er ist verschwunden. Ich muss wissen, was mit ihm geschehen ist.«

»Kümmere dich darum«, befahl die Lady Umbra, ehe sie zu ihren Gemächern ging.

Dann war Vivana mit der Leibwächterin allein. Sie stieg über zertrümmerte Möbel und die Kutten zu Staub zerfallener Spiegelmänner, als sie den verwüsteten Saal durchquerte.

»Er stand hier, als es passiert ist.«

»Als was passiert ist?«

Vivana wusste, dass sie jetzt sehr vorsichtig sein musste. Umbra war auf ihre Weise genauso gefährlich wie Corvas. Ein falsches Wort, und es war um sie geschehen. Am besten spielte sie das naive Mädchen, das unversehens in etwas hineingeraten war, das es nicht einmal ansatzweise verstand. »Ich weiß es nicht. Der Mann im roten Anzug hat ihn angegriffen und irgendetwas mit ihm gemacht. Anschließend war Liam fort.«

»Welcher Mann im roten Anzug?«, fragte Umbra.

»Ich glaube, er war ein Incubus. Das hat zumindest dieser Alb gesagt.«

»Lucien?«

»Ja.«

Umbra seufzte und kam zu ihr. »Erzähl mir genau, was geschehen ist.«

Vivana berichtete von dem Kampf und wie Seth die seltsame Säule aus purer Hitze erschaffen hatte. Dass Liam ihn zuvor angeschossen hatte, behielt sie für sich. Besser, Umbra wusste nichts von der Pistole.

Die Leibwächterin hörte geduldig zu. Schließlich sagte sie: »Ich fürchte, für deinen Cousin gibt es keine Hoffnung mehr. Der Incubus hat ihn verbrannt.«

»Das glaube ich nicht. Hier liegt nirgendwo seine Leiche.«

»Ein Incubus kann das Feuer des Pandæmoniums heraufbeschwören. Es brennt so heiß, dass nichts übrig bleibt.«

»Nein«, erwiderte Vivana leise. »Liam ist nicht tot. Ich weiß es.«

Der Blick, mit dem Umbra sie bedachte, war voller Mitleid. »Komm. Du solltest jetzt nach Hause gehen.«

»Ich will nicht nach Hause«, protestierte Vivana schwach, doch als die Leibwächterin sie behutsam Richtung Tür führte, war ihr, als verließen sie all ihre Kräfte.

Wie in Trance ging sie neben Umbra her, bis sie zur Eingangshalle kamen. Beiläufig registrierte sie, dass dort dasselbe Ausmaß an Verwüstung herrschte wie im Kuppelsaaclass="underline" Türen und Möbel waren zerstört, Teppiche zerrissen. Durch die zersplitterten Fenster regnete es herein, überall lagen tote Ghule. Die wenigen Spiegelmänner, die den Kampf unbeschadet überstanden hatten, waren auf ihre Posten unter und auf der Galerie zurückgekehrt und standen dort in gespenstischer Stille, als wäre nie etwas geschehen.

Umbra trat zum Portal und blickte hinaus in die Nacht. »Ein scheußliches Wetter. Ich besorge dir besser eine Droschke.«