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»Ich bin schließlich erst seit ein paar Tagen sein Schüler«, erklärte Khadgar.

Lothar hob die Augenbrauen. »Seit ein paar Tagen? Wie lange genau bist du schon Medivhs Lehrling?«

»Wenn man bis morgen früh zählt?«, fragte Khadgar und erlaubte sich ein Lächeln. »Dann wäre es einer.«

Medivh wählte diesen Moment, um zurückzukehren. Er sah erschöpft aus. Lothar öffnete den Mund, um zu einer hoffnungsvollen Frage anzusetzen, aber der Magus schüttelte nur den Kopf. Lothar runzelte tief die Stirn, und nachdem sie ein paar Nettigkeiten ausgetauscht hatten, ging er fort, um den Rest der Aufräumarbeiten zu leiten. Der Teil der Patrouille, der auf der Straße weitergeritten war, kehrte zurück, aber die Männer hatten nichts gefunden.

»Kannst du reisen?«, fragte Medivh.

Khadgar zog sich auf die Füße, und die sandige Insel inmitten des Schwarzen Morasts erschien ihm wie ein Schiff, das von einer rauen See hin und her geworfen wurde.

»Ich denke schon«, sagte er. »Ich weiß aber nicht, ob ich schon wieder für einen Greifen bereit bin, selbst mit dem hier …« Er führte den Satz nicht zu Ende, sondern berührte nur seine Stirn.

»Das macht nichts«, sagte Medivh. »Dein Reittier wurde von den Pfeilen verschreckt und ist in Richtung Hochland davongeflogen. Wir werden zu zweit auf meinem Greif reiten müssen.« Er hob die runenverzierte Pfeife an seine Lippen und stieß ein paar kurze, scharfe Töne aus. Hoch über ihnen ertönte der Schrei eines Greifen, der am Himmel seine Kreise zog.

Khadgar sah auf und sagte: »Ich bin jetzt also Euer Schüler.«

»Ja«, sagte Medivh, das Gesicht eine starre Maske.

»Ich habe Eure Prüfungen bestanden«, sagte der Junge.

»Ja«, sagte Medivh.

»Ich fühle mich geehrt, Herr«, sagte Khadgar.

»Das freut mich«, erwiderte Medivh, und der Hauch eines Lächeln strich über sein Gesicht. »Denn jetzt beginnt der schwierige Teil.«

5

Sand im Stundenglas

»Ich habe sie schon vorher gesehen«, sagte Khadgar.

Es war sieben Tage nach dem Kampf im Sumpf. Mit ihrer Rückkehr in den Turm (und nach einem Tag der Erholung für Khadgar) hatte die Lehrzeit des jungen Magiers ernsthaft begonnen. In der ersten Stunde des Tages, vor dem Frühstück, übte Khadgar unter Medivhs Anleitung seine Zauber. Vom Frühstück bis zum Mittagessen und vom Mittagessen bis zum Abendessen half Khadgar dem Magus bei verschiedenen Arbeiten. Seine Aufgaben bestanden vor allem darin, Notizen zu machen, während Medivh Zahlen ablas, in die Bibliothek zu gehen, um dieses oder jenes Buch zu holen, oder einfach die Werkzeuge zu halten, während der Magier arbeitete.

Und genau das tat Khadgar gerade, als er sich in der Nähe des älteren Magiers endlich wohl genug fühlte, um ihm zu erzählen, was er über den Hinterhalt wusste.

»Wen hast du schon vorher gesehen?«, fragte sein Mentor geistesabwesend, während er weiter durch eine große Linse auf sein aktuelles Experiment blickte. Der Meistermagier trug kleine, spitze Fingerhüte, die in unglaublich dünnen Nadeln endeten. Damit justierte er einen Apparat, der wie eine mechanische Hummel aussah, die ihre schweren Flügel bewegte, während Medivhs Nadeln in ihr herumstocherten.

»Die Orks«, sagte Khadgar. »Ich habe die Orks schon vorher gesehen.«

»Das hast du nicht erwähnt, als du hier angekommen bist«, sagte Medivh, immer noch wie abwesend. Seine Finger tanzten in erstaunlicher Präzision über das Gerät hinweg, die Nadeln fuhren hinein und heraus. »Ich weiß noch, dass ich dich nach anderen Völkern gefragt habe. Du hast sie nicht erwähnt. Wo hast du sie gesehen?«

»In einer Vision. Kurz nach meiner Ankunft«, sagte Khadgar.

»Ah, du hattest eine Vision. Nun, da bist du nicht der Einzige. Moroes hat dir wahrscheinlich davon erzählt. Er ist ein ziemliches Plappermaul …«

»Ich hatte eine Vision, vielleicht sogar zwei. Diejenige, bei der ich mir vollkommen sicher bin, handelte von einem Schlachtfeld, und diese Kreaturen, diese Orks, waren dort. Sie griffen uns an. Ich meine, sie griffen die Menschen an, bei denen ich war.«

»Hm«, machte Medivh, und unter seinem Schnurrbart erschien die Spitze seiner Zunge, während er die Nadeln vorsichtig über den Kupferleib der Hummel bewegte.

»Und ich war nicht hier«, fuhr Khadgar fort. »Nicht in Azeroth oder Lordaeron. Wo auch immer ich war, der Himmel war rot wie Blut.«

Es war als hätte Medivh ein mystischer Blitz getroffen. Er zuckte heftig zusammen, und das komplizierte Gerät unter seinen Händen strahlte hell auf, als er die falschen Teile berührte. Dann kreischte es auf – und starb.

»Roter Himmel?«, rief der Magier, wandte sich von der Werkbank ab und fasste Khadgar scharf ins Auge. Eine machtvolle Energie schien über die dunklen Brauen des älteren Mannes zu huschen, und seine Augen waren so grün wie ein vom Sturm heimgesuchtes Meer.

»Rot. Wie Blut«, sagte Khadgar. Der junge Mann hatte gedacht, er habe sich inzwischen an Medivhs wechselhafte Launen gewöhnt, aber dieser jähe Stimmungsumschwung traf ihn mit der Wucht eines Schlags.

Der ältere Magier stieß ein Zischen aus. »Erzähl mir davon. Von der Welt, den Orks, dem Himmel«, befahl Medivh, und seine Stimme klang hart wie Stein. »Erzähl mir alles

Khadgar gab die Vision seiner ersten Nacht wieder und erwähnte alles, woran er sich erinnern konnte. Medivh unterbrach ihn ständig. Wie waren die Orks gekleidet? Wie war diese Welt beschaffen? Was war am Himmel zu sehen, am Horizont? Trugen die Orks irgendwelche Banner? Khadgar hatte das Gefühl, seine Gedanken würden seziert. Medivh kitzelte die Informationen mühelos aus dem Jungen heraus. Khadgar erzählte ihm alles.

Nur von den seltsam vertrauten Augen des Krieger-Zauberers, der die Menschen angeführt hatte, erwähnte er nichts. Er fühlte sich nicht wohl dabei, und Medivhs Fragen schienen sich mehr auf die Welt mit dem roten Himmel und die Orks als auf die menschlichen Verteidiger zu konzentrieren. Während Khadgar die Vision beschrieb, schien sich der ältere Magier zu beruhigen, aber die bewegte See brodelte immer noch unter seinen buschigen Augenbrauen. Khadgar sah keinen Grund, den Magus weiter zu verärgern.

»Kurios«, sagte Medivh schließlich langsam und nachdenklich, nachdem Khadgar seinen Bericht beendet hatte. Der Meistermagier lehnte sich in seinem Stuhl zurück und tippte mit einem nadelbewehrten Finger an seine Lippen. Schweigen breitete sich wie ein Leichentuch über den Raum. Schließlich sagte er: »Das ist neu. Das ist wirklich neu.«

»Herr?«, begann Khadgar.

»Medivh«, erinnerte ihn der Meistermagier.

»Medivh, Herr«, begann Khadgar von Neuem. »Woher kommen diese Visionen? Sind sie ein Spuk aus der Vergangenheit – oder Vorzeichen der Zukunft?«

»Beides«, sagte Medivh. »Und keines von beidem. Geh und hol einen Krug Wein aus der Küche. Meine Arbeit ist für heute erledigt, fürchte ich. Es ist bald Zeit zum Abendessen, und diese Sache hier verlangt ein paar Erklärungen.«

Als Khadgar zurückkehrte, hatte Medivh ein Feuer im Kamin entfacht und es sich bereits in einem der größeren Sessel bequem gemacht. Er hielt seinem Schüler zwei Becher hin, und Khadgar goss ihnen ein. Der süße Duft des roten Weins mischte sich mit dem Rauch des Zedernholzes.

»Trinkst du?«, fragte Medivh, als habe er erst nachträglich daran gedacht.

»Manchmal«, sagte Khadgar. »In der Violetten Zitadelle ist es Sitte, zum Essen Wein zu servieren.«

»Ja«, sagte Medivh. »Das wäre unnötig, wenn ihr einfach nur die Blei-Auskleidung eures Aquädukts beseitigen würdet … Aber du hast mich nach den Visionen gefragt.«

»Ja, ich sah, was ich Euch beschrieben habe, und Moroes …« Khadgar zögerte einen Augenblick. Er wollte den Ruf des Kastellans als Tratschtante nicht noch mehr vertiefen, aber dann entschied er sich weiterzusprechen. »Moroes sagte, damit stehe ich nicht allein. Die Menschen würden hier ständig solche Dinge sehen.«

»Moroes hat Recht«, sagte Medivh, nahm einen Schluck Wein und leckte sich die Lippen. »Eine Spätlese, wirklich nicht übel. Dass dieser Turm ein Ort der Macht ist, sollte dich wenig überraschen. Zauberer fühlen sich von solchen Orten angezogen, wo das Universum oft weniger gefestigt ist und sich um sich selbst windet. Und manchmal findet man dort sogar Durchgänge zum Twisting Nether oder zu noch ganz anderen Welten.«