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Häufig wurde in den Briefen nur etwas verlangt – ein Zauber, eine Information. Oder sie befahlen fast unverblümt, sofort zu kommen, weil ihre Kühe nicht fraßen oder die Milch sauer geworden war. Die freundlicheren Briefe verbargen ihre Bitten hinter Lobhudeleien. In anderen befand sich nichts außer pedantischen Ratschlägen, in denen detailliert darauf eingegangen wurde, weshalb ein bestimmter Kandidat einen perfekten Schüler abgeben würde (die meisten dieser Briefe waren ungeöffnet). Und es gab ständig Berichte über nichts und wieder nichts, Feststellungen über keine Veränderungen, keine besonderen Vorkommnisse.

Dies wiederum fand sich in den neueren Botschaften nur noch selten. Zwar waren sie alle nicht mit einem Datum versehen, aber eine Kontinuität ließ sich an der Vergilbung der Seiten und der Dringlichkeit des Tonfalls erkennen, mit dem um Taten und Ratschläge ersucht wurde. Nach dem plötzlichen Auftauchen der Orks klangen die Briefe merklich höflicher, vor allem nachdem die Orks mit den Überfällen auf Karawanen begonnen hatten. Doch der Strom der Bittstellungen riss nicht ab, nahm sogar zu.

Khadgar sah den alten Mann im Bett an und fragte sich, warum er diesen Leuten so oft half.

Und dann gab es die rätselhaften Briefe – gelegentliche Dankesschreiben, der Hinweis auf einen uralten Text, eine Antwort auf eine unbekannte Frage – Ja, Nein oder Natürlich das Emu. Während seiner Wache an Medivhs Seite traf ein weiterer mysteriöser Brief ohne Unterschrift ein. Darin stand: Bereite die Quartiere vor. Der Abgesandte wird bald eintreffen.

Am Ende der dritten Woche trafen eines Abends zwei Briefe mit einem fahrenden Händler ein. Einer trug ein Purpursiegel, der andere ein rotes und war an Khadgar adressiert. Beide stammten aus der Violetten Zitadelle der Kirin Tor.

Der Brief an Khadgar war in krakeliger Handschrift verfasst. Wir müssen dir bedauerlicherweise vom plötzlichen und unerwarteten Tod deines Lehrers Guzbah Kenntnis geben. Wie wir wissen, hast du mit dem verstorbenen Magier korrespondiert, und wir teilen dein Mitgefühl und deine Trauer. Solltest du über Briefe, Geld oder Informationen verfügen, die Guzbah zustehen, oder solltest du Besitztümer von ihm erhalten haben (insbesondere geliehene Bücher), bitten wir um eine Zustellung dieser Gegenstände, Dokumente oder Informationen an die unten genannte Adresse.

Am Ende des Briefes war eine Reihe von Zahlen in einer unleserlichen Handschrift hinzugefügt worden.

Khadgar fühlte sich wie taub. Guzbah war tot? Er drehte den Brief zwischen den Fingern, aber es fielen keine weiteren Informationen heraus. Benommen griff er nach der Rolle mit dem Purpursiegel. Das Schreiben war in der gleichen krakeligen Schrift verfasst, enthielt jedoch nach seiner Entschlüsselung weitaus mehr Informationen.

Guzbah war am Abend des Festes der Schriftgelehrten ermordet in der Bibliothek aufgefunden worden. Er hatte anscheinend gerade Dembrawns Kommentare zum »Lied von Aegwynn« überarbeitet. Khadgar fühlte sich plötzlich schuldig, weil er seinem ehemaligen Lehrer die Schriftrolle nicht geschickt hatte. Er war wohl von einer Bestie überrascht worden (die vermutlich beschworen wurde), die ihn auseinander riss. Sein Tod musste schnell gekommen, aber schmerzhaft gewesen sein – und die Anmerkungen über den Zustand seines Leichnams und den der Bibliothek waren eindeutig zu detailfreudig. Die Beschreibung ließ darauf schließen, dass die »beschworene Bestie« ein Dämon war, der jenem ähnelte, den Medivh in Stormwind bekämpft hatte.

Der Brief wurde in einem kalten analytischen Tonfall fortgesetzt, den Khadgar verstörend fand. Der Autor wies darauf hin, dass es sich um den siebten Todesfall eines Magiers der Violetten Zitadelle allein in diesem Jahr handelte, und dass dazu auch der Erzmagier Arrexis zähle. Weiterhin bemerkte er, dies sei der erste Todesfall dieser Art, der einen Magier betroffen habe, der nicht selbst Mitglied des Ordens war. Der Autor wollte wissen, ob Medivh in Kontakt mit Guzbah gestanden habe, entweder persönlich oder durch seinen Schüler. (Khadgar zuckte kurz zusammen, als er seinen eigenen Namen geschrieben sah.) Der unbekannte Autor fuhr fort darüber zu spekulieren, dass Guzbah ja kein Mitglied des Ordens gewesen sei und er vielleicht die Bestie selbst beschworen habe. In diesem Fall sollte Medivh nicht vergessen, dass Khadgar Guzbahs Schüler gewesen sei.

Khadgar spürte Ärger in sich hochsteigen. Wie konnte es dieser unbekannte Autor (er musste den oberen Rängen der Kirin-Tor-Hierarchie angehören, aber es gab keine Hinweise, wer es sein könnte) wagen, ihn und Guzbah anzuklagen? Khadgar war noch nicht einmal dort gewesen, als Guzbah starb. Vielleicht war der Autor selbst der Schuldige – oder jemand wie Korrigan. Schließlich stellte der Bibliothekar ständig Nachforschungen über Dämonenanbeter an. Wie konnte man nur solche Anschuldigungen aussprechen!

Khadgar schüttelte den Kopf und atmete tief durch. Nein, diese Spekulationen waren aus der Luft gegriffen und einzig das Resultat persönlicher Intrigen, wie so viele andere politische Schachzüge der Kirin Tor auch. Aus der Verärgerung wurde Traurigkeit, und mit ihr kam die Erkenntnis, dass selbst die mächtigen Magier der Violetten Zitadelle nicht in der Lage waren, die Mordserie zu stoppen. Sieben Zauberer (sechs von ihnen Mitglieder eines angeblich geheimen und mächtigen Ordens) waren gestorben, und diesem Autor fiel in seiner verzweifelten Hoffnung, die Todesfälle mögen endlich aufhören, nur eine solch haltlose Anschuldigung ein!

Khadgar dachte an Medivhs schnelle und entschlossene Reaktion in Stormwind und erkannte, dass es niemanden innerhalb seiner Gemeinschaft gab, der über vergleichbare Klugheit, Entschlossenheit und Intelligenz verfügte.

Der junge Magier nahm den verschlüsselten Brief und betrachtete ihn noch einmal im schwachen Kerzenlicht. Das Fest der Schriftgelehrten lag anderthalb Monate zurück. So lange hatte die Nachricht über Wasser und über Land benötigt. Anderthalb Monate. Sie war entstanden, bevor Huglar und Hugarin in Stormwind getötet wurden. Wenn der gleiche Dämon daran beteiligt war oder der gleiche Zauberer, musste er sich sehr schnell zwischen diesen beiden Orten bewegt haben. Einige der Dämonen in der Vision hatten Flügel besessen – war es denkbar, dass sie solche Distanzen überbrückten, ohne entdeckt zu werden?

Ein einzelner Windstoß fuhr plötzlich durch den Raum.

Die Haare in Khadgars Nacken sträubten sich. Als er aufblickte, sah er, wie sich eine Gestalt im Zimmer manifestierte.

Zuerst gab es nur Rauch, rot wie Blut, der aus einem winzigen Loch im Universum strömte. Er wallte auf und zog Schlieren wie Milch, die in Wasser aufsteigt. Schon bald bildete er eine wirbelnde Masse, durch die ein furchterregender Dämon trat.

Seine Gestalt war kleiner als auf der verschneiten Ebene, auf der Khadgar ihn in seiner Vision gesehen hatte. Er war geschrumpft, um in das Zimmer zu passen. Seine Haut war immer noch bronzefarben, seine Rüstung bestand aus tiefschwarzem Eisen, und seine Haare waren voller Feuer. Gewaltige Hörner ragten aus seiner Stirn hervor. Er trug keine Waffen, aber er sah auch nicht so aus, als würde er Waffen benötigen, denn er bewegte sich mit der lässigen Eleganz eines furchtlosen Raubtiers.

Sargeras.

Khadgar schwieg entsetzt. Er war vor Angst wie gelähmt. Hätten die Schutzzauber, die Medivh gewoben hatte, eine solche Bestie nicht fernhalten sollen? Und doch hatte sie den Turm und sogar Medivhs eigenes Zimmer so problemlos betreten, wie ein Adliger die Hütte eines einfachen Bauern aufsuchen würde.

Der Herr der Brennenden Legion sah sich nicht um, sondern glitt zum Fuß des Bettes. Eine Weile stand er dort, während die Feuer in seinem Bart und in seinem Haar lautlos brannten, und betrachtete den bewusstlosen Magier.