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»Ja, überraschenderweise kann ich das«, erwiderte Garona schnippisch. »Ich habe über die Jahre hinweg viele Fähigkeiten erworben.«

Khadgar presste die Lippen zusammen. »Zweite Reihe, viertes Regal. Es ist ein rot eingebundenes Buch mit goldenem Rand.«

Garona verschwand zwischen den Stapeln, und Khadgar nutzte die Zeit, um seine Notizen vom Tisch zu nehmen. Er musste sie an einem anderen Ort aufbewahren, so lange die Ork sich frei im Turm bewegte. Zum Glück handelte es sich um keine Korrespondenz des Ordens. Sogar Medivh hätte wohl getobt, wenn er ihr das »Lied von Aegwynn« zugänglich gemacht hätte.

Seine Blicke fanden die Sektion, in der die Schriftrolle aufbewahrt wurde. Von hier aus schien sie unverändert zu sein. Es war nicht vordringlich, aber er sollte sie wohl ebenfalls an einen anderen Ort bringen.

Garona kehrte mit einem gewaltigen Buch in der Hand zurück und hob fragend eine ihrer buschigen Augenbrauen.

»Ja, das ist es«, sagte der Schüler.

»Die menschliche Sprache ist ein wenig … ausschweifend«, kommentierte sie die Dicke des Werkes und deponierte es auf dem freien Platz, wo eben noch die Notizen gelegen hatten.

»Nur weil wir so viel zu sagen haben«, erwiderte Khadgar und versuchte zu lächeln. Er fragte sich, ob Orks wohl auch Bücher besaßen, eigene Bücher. Lasen sie überhaupt? Sie hatten Schamanen, aber bedeutete das zwangsläufig, dass sie auch über echtes Wissen verfügten?

»Ich hoffe, ich war eben im Gang nicht zu heftig mit dir.« Ihr Tonfall war verbindlich, und Khadgar war sicher, dass sie es lieber gesehen hätte, wenn er einen Zahn ausgespuckt hätte. Aber vielleicht hielt man bei den Orks so etwas schon für eine ausreichende Entschuldigung.

»Kein Problem«, sagte er. »Ich brauchte die Abwechslung.«

Garona setzte sich und schlug das Buch auf. Khadgar bemerkte, dass sie beim Lesen die Lippen bewegte und im hinteren Teil des Buchs begonnen hatte, bei der Herrschaft von König Llane.

Jetzt, da er etwas Ruhe hatte, fiel ihm auf, dass sie nicht wie die anderen Orks aussah, gegen die er gekämpft hatte. Sie war schlank und muskulös, nicht so wie die verwachsenen grobschlächtigen Bestien, die er im Lager gesehen hatte. Ihre Haut war glatt, beinahe wie die eines Menschen, und zeigte ein helleres Grün als die jadefarbene Haut normaler Orks. Ihre Zähne waren etwas kleiner, ihre Augen ein wenig größer und ausdrucksvoller als die harten roten Augen von männlichen Ork-Kriegern. Er fragte sich, wie viele dieser Unterschiede von ihrer menschlichen Seite stammen mochten, und wie viele einfach Zeichen ihrer Weiblichkeit waren. Er dachte darüber nach, ob er bereits gegen weibliche Orks gekämpft hatte – es war ihm zumindest nicht aufgefallen, und zu Zeiten der Kämpfe hatte er kein Bedürfnis verspürt, es herauszufinden.

Ohne die grüne Haut, das entstellte, mit Fangzähnen versehene Gesicht und die feindselige überlegene Haltung, hätte man sie fast schon attraktiv nennen können. Doch sie saß in seiner Bibliothek und ging seine Bücher durch (nun ja, Medivhs Bibliothek und Medivhs Bücher, aber der Magus hatte sie ihm anvertraut).

»Du bist also die Abgesandte«, sagte er schließlich. Er schlug einen entspannten Tonfall an. »Man hat mir gesagt, du würdest eintreffen.«

Die Halb-Ork nickte und konzentrierte sich auf die geschriebenen Worte, die vor ihr ausgebreitet waren.

»Wen genau repräsentierst du eigentlich?«

Garona sah auf, und Khadgar erkannte an ihrem Blick, dass er ihr auf die Nerven ging. Er fühlte sich gut dabei, fragte sich aber gleichzeitig, wo die Frau wohl die Grenze ziehen würde. Er wollte nicht zu hart oder zu schnell vorgehen, sonst würde er sich nur weitere Schläge und eine Standpauke des Magus einhandeln.

Dieses Mal wollte er zumindest etwas über die Schlacht erfahren. Er sagte: »Ich meine, wenn du die Abgesandte bist, muss dir doch jemand Befehle geben, du musst jemandem Bericht erstatten. Wenn repräsentierst du?«

»Ich bin sicher, dein Meister würde es dir sagen, wenn du ihn fragst«, erwiderte Garona glatt, aber ihr Blick blieb hart.

»Ich bin sicher, das würde er«, log Khadgar. »Wenn ich die Unverschämtheit besitzen würde, ihn zu fragen. Also frage ich stattdessen dich. Wen repräsentierst du? Welche Befugnisse hast du? Bist du hier, um zu verhandeln, um etwas zu fordern … oder was?«

Garona schloss das Buch (Khadgar empfand es wie einen Sieg, dass er sie von ihrer Aufgabe abgelenkt hatte) und sagte: »Denken alle Menschen gleich?«

»Es wäre langweilig, wenn wir das täten«, sagte Khadgar.

»Ich meine, sind alle einer Meinung? Stimmen die Menschen immer dem zu, was ihre Herren oder Vorgesetzten wollen?«, fragte Garona. Die Härte in ihrem Blick schwächte ein wenig ab.

»Wohl kaum«, sagte Khadgar. »Das ist einer der Gründe, warum es so viele Bücher gibt. Jeder hat eine Meinung. Und das sind nur die Meinungen derer, die des Schreibens mächtig sind.«

»Dann wirst du verstehen, dass es unter den Orks auch Meinungsverschiedenheiten gibt«, sagte Garona. »Die Horde besteht aus vielen Clans, und alle haben eigene Häuptlinge und Kriegsherren. Alle Orks gehören einem Clan an. Die meisten Orks sind ihrem Clan und ihrem Häuptling ergeben.«

»Was für Clans sind das?«, fragte Khadgar. »Wie werden sie genannt?«

»Stormreaver ist einer von ihnen«, sagte die Halb-Ork. »Blackrock, Twilight’s Hammer, Bleeding Hollow. Das sind die größten.«

»Klingt alles sehr kriegerisch«, sagte Khadgar.

»Die Heimat der Ork-Völker ist wild«, sagte Garona. »Es überleben nur die, die stark und gut organisiert sind. Sie sind nur das, wozu ihre Wurzeln sie gemacht haben.«

Khadgar dachte an das vertrocknete Land mit dem roten Himmel, das er in der Vision gesehen hatte. Das war also die Heimat der Orks. Eine Einöde in einer anderen Dimension. Aber wie kamen sie hierher? Doch das fragte er nicht.

»Zu welchem Clan gehörst du?«

Garona schnaufte. Es klang wie das Niesen einer Bulldogge. »Ich habe keinen Clan.«

»Du sagtest doch, alle deine Leute gehören einem Clan an.«

»Ich sagte, alle Orks«, erwiderte Garona. Als Khadgar sie verwirrt ansah, hob sie ihre Hand. »Schau sie dir an. Was siehst du?«

»Deine Hand«, sagte Khadgar.

»Die eines Menschen oder die eines Orks?«

»Ork«, sagte Khadgar. Für ihn war das offensichtlich. Grüne Haut, scharfe, gelbliche Nägel, Knöchel, die ein wenig zu groß für einen Menschen waren.

»Ein Ork würde das für eine menschliche Hand halten. Sie ist zu schlank, um wirklich nützlich zu sein, hat zu wenig Muskeln, um eine Axt zu halten oder einen Schädel vernünftig einzuschlagen – zu blass, zu schwach und zu hässlich.« Garona ließ ihre Hand sinken und sah den jungen Magier von unten an. »Du siehst die Teile von mir, die orkisch sind. Meine orkischen Vorgesetzten und alle anderen Orks sehen die Teile, die menschlich sind. Ich bin beides und doch nichts, und beide Seiten halten mich für ein minderwertiges Wesen.«

Khadgar öffnete den Mund und wollte widersprechen, entschied sich dann aber dagegen und schwieg. Er hatte schließlich auch die Ork-Frau angegriffen, die er im Gang gesehen hatte – und nicht den Menschen in ihr gesehen, der Medivhs Gast war. Er nickte und sagte: »Es muss schwierig sein, ohne Clanzugehörigkeit zu leben.«

»Ich habe daraus meinen Vorteil gezogen«, sagte Garona. »Ich kann mich freier zwischen den Clans bewegen. Da ich ein Zwitter-Wesen bin, glaubt niemand, dass ich ständig auf Vorteile für meinen eigenen Clan aus bin. Niemand mag mich, deshalb habe ich keine Vorlieben. Einige Häuptlinge finden das beruhigend. Das macht mich zu einem besseren Verhandlungsführer – und ja, auch zu einem besseren Spion. Es ist besser, keinem Herrn zu dienen als mehreren.«

Khadgar dachte daran, wie scharf Medivh seine Verbindungen zu den Kirin Tor kritisiert hatte, sagte jedoch: »Und welchen Clan repräsentierst du momentan?«

Garona lächelte trocken und zeigte ihre Fangzähne. »Würde dir der Name Gizblah, der Mächtige etwas sagen? Oder vielleicht hat mich Morgax, der Graue oder Hikapik, der Blutige geschickt. Würden dir diese etwas sagen?«