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Nach der Verwüstung blieb der Dämon verschwunden. Seine Klauenabdrücke waren auf dem Tisch zu sehen, und die Seiten von Die Erbfolge von Azeroths Königen waren zerknittert und zerrissen, als seien sie zwischen gewaltige Kiefer geraten. Aber es gab keine Leiche, kein Blut, keine Überreste, die man vor Medivhs Füße werfen konnte.

»Vielleicht wurde der Dämon gerettet«, schlug Garona vor.

»Er war ziemlich tot, als wir ihn zurückließen«, antwortete Khadgar und versuchte sich daran zu erinnern, ob er die Gedichtbände über oder unter den romantischen Epen eingeordnet hatte.

»Jemand hat den Körper entfernt«, sagte Garona. »Die gleiche Person, die ihn in den Turm brachte, hat ihn wieder herausgeholt.«

»Ebenso wie das Blut?«, fragte Khadgar.

»Ebenso wie das Blut«, wiederholte die Halb-Ork. »Vielleicht war es ein ausgesprochen ordnungsliebender Dämon.«

»Magie funktioniert so nicht«, sagte Khadgar.

»Vielleicht nicht deine Magie, nicht die, die du erlernt hast«, sagte Garona. »Andere Leute könnten eine andere Art von Magie beherrschen. Die alten Schamanen der Orks kannten eine Form von Magie, die Kriegszauberer, die Sprüche schleudern, kennen eine andere. Vielleicht handelt es sich um einen Spruch, von dem du noch nie gehört hast.«

»Nein«, sagte Khadgar scharf. »Es hätte eine Spur hinterlassen, den Hauch des praktizierenden Magiers. Eine Restenergie, die ich spüren könnte, selbst wenn sie nicht zu identifizieren wäre. Die einzigen Zauberer, die es hier im Turm gibt, sind der Magus und ich. Das weiß ich durch meine eigenen Kräfte. Und ich habe die Schutzzauber überprüft. Medivh hatte Recht – alle funktionieren. Niemand dürfte in der Lage sein, auf magischem oder anderem Wege in den Turm vorzudringen.«

Garona hob die Schultern. »Aber in diesem Turm geschehen auch seltsame Dinge, nicht wahr? Könnten die alten Gesetze hier vielleicht außer Kraft gesetzt sein?«

Jetzt hob Khadgar die Schultern. »Wenn das stimmt, haben wir größere Probleme, als ich dachte.«

Khadgars Beziehung zu der Halb-Ork hatte sich im Verlauf der Reparaturarbeiten verbessert, und wenn er ihr den Rücken zudrehte oder sie irgendwo zwischen den Regalen stand, klang ihre Stimme beinahe menschlich. Trotzdem verriet sie immer noch nicht, wen sie repräsentierte, und Khadgar behielt sie weiterhin im Auge. Er achtete darauf, welche Bücher sie las und welche Fragen sie stellte.

Er versuchte auch auf die Nachrichten zu achten, die sie verschickte oder erhielt, und ging so weit, die Gastquartiere mit Beobachtungszaubern zu versehen. Diese sollten ihm verraten, ob die Halb-Ork das Zimmer verlassen oder eine Nachricht abgeschickt hatte. Falls sie dies getan hatte, waren ihre Methoden so perfekt, dass seine Sprüche es nicht bemerkten. Das machte ihn nur noch nervöser. Wenn sie mit dem Wissen, das sie erworben hatte, irgendetwas anfangen wollte, so behielt sie es völlig für sich.

Garona blieb ihrem Versprechen treu und teilte mit Khadgar ihr Wissen über die Orks. Der junge Magier erfuhr, wie die Orks regiert wurden (durch Stärke und Kriegskunst) und in welche Clans sie sich aufteilten. Wenn die Abgesandte in Fahrt geriet, brachte sie ihre Meinung über die unterschiedlichen Clans deutlich zum Ausdruck. Ihre Häuptlinge hielt sie häufig für einfältige Narren, die sich nur für die nächste Schlacht interessierten. Aus ihren Beschreibungen der vielfältigen Clans, aus denen sich die Horde zusammensetzte, erfuhr Khadgar, dass die Hierarchien sich ständig änderten und nicht konstant blieben.

Ein großer Teil der Horde gehörte zum konservativen Bleeding-Hollow-Clan. Das war eine mächtige Gruppe, die auf zahlreiche Eroberungen zurückblicken konnte, doch ihr in die Jahre gekommener Anführer Kilrogg Deadeye schreckte seit einiger Zeit davor zurück, Leben im Kampf zu opfern. Garona erklärte, dass ältere Orks häufig pragmatischer wurden, eine Eigenschaft, die jüngere gerne mit Feigheit verwechselten. Kilrogg hatte bereits drei Söhne und zwei Enkel getötet, weil diese glaubten, sie könnten den Clan besser führen als er.

Der Clan, den man Blackrock nannte, schien ebenfalls einen großen Teil der Horde zu stellen. Sein Anführer war Blackhand, der diese Position nur deshalb einnahm, weil er jeden umbrachte, der noch hätte Anspruch darauf erheben können. Ein Teil des Blackrock-Clans hatte sich abgespalten; jeder Angehörige dieser Splittergruppe hatte sich einen Zahn ausgeschlagen und sich fortan als Black Tooth Grin betitelt. Charmant, wie Khadgar fand.

Es gab noch andere Clans: Twilight’s Hammer, der die Zerstörung liebte, und Burning Blade, der keinen Anführer hatte, sondern aus einer anarchistischen Meute bestand, die im Chaos der Horde lebte. Und es gab kleinere Clans wie die Stormreavers, die von einem Kriegermagier geführt wurden. Khadgar vermutete, dass Garona mit einem der Stormreaver in Verbindung stand, allerdings nur deshalb, weil sie sich über die Stormreaver weniger beschwerte als über alle anderen.

Khadgar machte sich so viele Notizen, wie er konnte, und stellte sie als Berichte für Lothar zusammen. Immer mehr Nachrichten trafen aus allen Teilen Azeroths ein, und es wirkte jetzt so, als dränge die Horde aus dem Schwarzen Morast nach allen Himmelsrichtungen. Die Orks, die man noch vor einem Jahr nur für Gerüchte gehalten hatte, waren jetzt überall präsent, und die Burg Stormwind mobilisierte ihre Kräfte, um sich der Bedrohung zu stellen. Khadgar hielt die schlechter werdenden Nachrichten von Garona fern, berichtete jedoch Lothar alle Details, die er erfuhr, bis hin zu Clan-Rivalitäten und den Lieblingsfarben der Clans (der Blackrock-Clan hatte zum Beispiel eine seltsame Vorliebe für Rot).

Khadgar wollte seine Entdeckungen auch Medivh mitteilen, doch der Magus war erstaunlich desinteressiert. Auch die Unterhaltungen, die der Magus mit Garona führte, wurden seltener, und mehrmals bemerkte Khadgar, dass Medivh den Turm verlassen hatte, ohne ihn darüber zu informieren. Auch wenn er anwesend war, wirkte Medivh fern. Mehr als einmal hatte Khadgar gesehen, wie er in einem seiner Sessel im Observatorium saß und in die azerothanische Nacht hinausstarrte. Er wirkte launischer, widersprach schneller und hörte weniger zu als früher.

Seine seltsame Stimmung blieb auch anderen nicht verborgen. Moroes sah Khadgar mit leidendem Blick an, wenn er die Gemächer seines Herrn verließ. Und selbst Garona sprach ihn darauf an, als sie die Karten der bekannten Welt betrachteten (die in Stormwind angefertigt wurden und sich deshalb bei Diskussionen über Lordaeron als völlig unzureichend erwiesen).

»Ist er immer so?«, fragte sie.

Khadgar antwortete stoisch. »Er hat viele Launen.«

»Ja, aber als ich ihm das erste Mal begegnete, wirkte er lebendig, engagiert und freundlich. Jetzt wirkt er eher …«

»Geistesabwesend?«

»Konfus«, sagte Garona und zog abwertend die Lippen nach unten.

Khadgar konnte nicht widersprechen. Später am gleichen Abend überbrachte er dem Magus eine Reihe übersetzter Nachrichten mit Purpursiegel, in denen dieser um Hilfe gegen die Orks gebeten wurde.

»Die Orks sind keine Dämonen«, sagte Medivh. »Sie sind aus Fleisch und Blut und somit die Angelegenheit von Kriegern, nicht von Magiern.«

»Diese Botschaften sind schlimm«, sagte Khadgar. »Das Land rund um den Schwarzen Morast wird verlassen, und Flüchtlinge strömen nach Stormwind und in die anderen Städte Azeroths. Die Streitkräfte reichen nicht aus.«

»Und so hoffen sie, dass der Wächter zu ihrer Rettung eilt. Schlimm genug, dass ich die Wachtürme am Twisting Nether hüten muss, um Ausschau nach Dämonen zu halten und all die Fehler zu korrigieren, die Anfänger begangen haben. Jetzt soll ich sie auch schon vor anderen Nationen retten? Wird man mich als nächstes bitten, Azeroth in einem Handelsstreit mit Lordaeron zu unterstützen? Solche Angelegenheiten sollten uns nicht interessieren.«

»Ohne Eure Hilfe wird es bald vielleicht kein Azeroth mehr geben. Lothar ist …«

»Lothar ist ein Narr«, murmelte Medivh. »Eine alte Henne, die überall Gefahren wittert. Und Llane ist nicht besser. Er sieht nicht, was seine Mauern zum Einsturz bringen könnte. Und der Orden, all diese mächtigen Magier haben so lange untereinander gestritten und gekämpft, dass sie keine Kraft mehr gegen einen neuen Gegner haben. Nein, mein Vertrauen, das ist nur eine nebensächliche Angelegenheit. Selbst wenn die Orks in Azeroth siegen sollten, werden sie einen Wächter brauchen, und ich werde für sie da sein.«