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»Ich wage es, Mutter«, sagte das Bild aus der Vergangenheit. »Und ich habe die nötige Macht. Die Macht, die du mir bei meiner Geburt verliehst. Eine Macht, die ich weder gewollt noch erbeten habe.«

Der vergangene Medivh gestikulierte knapp, und ein Blitz fuhr seiner Mutter entgegen. Khadgar bemerkte, dass sie beide Hände benötigte, um ihn abzuwehren, und trotzdem noch zurückstolperte.

»Aber wieso hast du die Orks nach Azeroth gebracht?«, zischte die ältere Frau. »Das ergibt keinen Sinn. Du gefährdest die gesamte Bevölkerung – wofür?«

»Um den Kreis zu durchbrechen, natürlich«, sagte der vergangene Medivh. »Um das starre Universum zu zerstören, das du für mich errichtet hast. Alles hat darin seinen Platz, sogar dein Kind. Wenn du schon nicht ewig die Wächterin sein kannst, dann willst du zumindest einen Nachfolger, den du selbst geboren und ausgebildet hast – und der deinen Regeln genauso sicher folgt wie die anderen Figuren in deinem Spiel.«

Der gegenwärtige Medivh war auf die Knie gesunken und beobachtete das Schauspiel. Seine Lippen formten die Worte, die sein vergangenes Ich sprach.

Garona zupfte an Khadgars Ärmel, und er nickte. Gemeinsam verließen sie das Innere des Schutzkreises und bewegten sich durch den Raum. Sie wollten sich an der gegenwärtigen Inkarnation des Magus vorbeischleichen.

»Aber das Risiko, Kind …«, sagte Aegwynn.

»Risiko?«, erwiderte Medivh. »Für wen besteht ein Risiko? Für mich nicht, nicht so lange ich über die Macht der Tirisfalen verfüge. Für den Rest des Ordens? Dort interessiert man sich mehr für interne Intrigen als für Dämonen. Für das Land der Menschen? Sie sind fett und glücklich, werden vor Gefahren geschützt, von denen sie nichts ahnen. Besteht für irgendeine wichtige Person tatsächlich ein Risiko?«

»Du spielst mit Kräften, die stärker sind als du, Sohn«, sagte Aegwynn. Khadgar und Garona waren fast bis zur Tür vorgedrungen. Der gegenwärtige Medivh beobachtete gefesselt die Vision.

»Oh, natürlich«, sagte der vergangene Magus mit bösem Lächeln. »Wenn ich der Meinung bin, ich könnte solche Kräfte beherrschen, ist das die Sünde des Stolzes. So ähnlich, als würde man glauben, gegen einen Dämonenherrscher antreten und siegen zu können.«

Sie waren jetzt hinter Medivh, und Garona griff nach dem Messer unter ihrer Bluse. Khadgar hielt ihre Hand fest und schüttelte den Kopf. Sie schlichen sich an Medivh vorbei. Tränen glitzerten in den Augenwinkeln des alten Mannes.

»Was passiert, wenn diese Orks siegen?«, fragte Aegwynn. »Sie beten dunkle Götter und Schatten an. Wieso willst du ihnen Azeroth geben?«

»Wenn sie siegen«, sagte der vergangene Medivh, »werden sie mich zu ihrem Herrscher machen. Im Gegensatz zu dir und dem Rest dieser traurigen Welt respektieren sie Stärke. Und dank deiner Fürsorge bin ich das mächtigste Wesen auf dieser Welt. Ich werde die Ketten zerschmettern, die du und andere mir angelegt haben, und ich werde herrschen.«

Es wurde ruhig in der Vision. Khadgar und Garona blieben stehen und hielten den Atem an. Würde der gegenwärtige Medivh sie in der Stille bemerken?

Seine Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf Aegwynn in der Vergangenheit. »Du bist nicht mein Sohn«, sagte sie.

Der gegenwärtige Medivh vergrub das Gesicht in den Händen. Seine vergangene Version sagte: »Nein. Ich bin nie dein Sohn gewesen. Zumindest niemals ganz.«

Und der vergangene Medivh begann zu lachen. Es war ein tiefes donnerndes Lachen, das Khadgar schon einmal in der Eiswüste gehört hatte, als die beiden zuletzt gekämpft hatten.

Aegwynn wirkte schockiert. »Sargeras?«, stieß sie hervor, als sie die Stimme erkannte. »Ich habe dich getötet!«

»Du hast einen Körper getötet, Hexe. Du hast nur meine körperliche Abbildung vernichtet«, knurrte der Medivh aus der Vergangenheit. Khadgar konnte jetzt das zweite Wesen sehen, diesen anderen Schatten, der ihn auffraß. Ein Wesen aus Schatten und Feuer, mit einem Bart aus Flammen und Hörnern aus Ebenholz. »Du hast den Körper getötet und tief unter dem Ozean eingesperrt. Aber ich habe ihn geopfert, um eine größere Belohnung zu erlangen.«

Gegen ihren Willen legte Aegwynn eine Hand auf ihren Bauch.

»Ja, geliebte Mutter«, sagte der vergangene Medivh. Die Flammen leckten über seinen Bart, die Hörner bildeten sich aus dem Rauch auf seiner Stirn heraus. Es war Medivh – aber auch Sargeras. »Ich habe mich in deinem Bauch versteckt und in den Zellen deines ungeborenen Kinds gewartet. Ein Krebs, ein Geburtsfehler, ein Makel, mit dem du nie gerechnet hättest. Es war unmöglich, dich zu töten oder zu verführen. Also machte ich mich zu deinem Erben.«

Aegwynn schrie einen Fluch und riss die Hände empor. Ihr Ärger schloss sich um Worte, die nicht für menschliche Stimmen gedacht waren. Ein Blitz aus regenbogenfarbener Energie traf das Medivh/Sargeras-Wesen mitten in die Brust.

Das Phantom aus der Vergangenheit taumelte einen Schritt zurück, dann zwei. Erst dann hob es eine Hand und fing die Energie ab, die auf es einströmte. Das Zimmer roch nach verschmortem Fleisch. Sargeras/Medivh knurrte und spuckte. Er schrie seinen eigenen Zauberspruch und schleuderte Aegwynn damit quer durch den Raum.

»Ich kann dich nicht töten, Mutter«, zischte das Dämonenwesen. »Ein Teil von mir verhindert das. Aber ich werde dich zerbrechen. Zerbrechen und verbannen, und wenn du geheilt bist und zurückkehrst, wirst du in ein Land kommen, das mir gehört. Dieses Land und der Orden von Tirisfal!«

In der Gegenwart schrie Medivh wie eine verlorene Seele. Er bat den Himmel um eine Vergebung, die er niemals erhalten hatte.

»Das ist unser Stichwort«, sagte Garona und zog an Khadgars Kleidung. »Lass uns verschwinden, so lange wir noch können.«

Khadgar zögerte einen Moment, dann folgte er ihr zur Treppe.

Sie rannten drei Stufen auf einmal nehmend hinab und wären beinahe mit Moroes zusammengestoßen.

»Aufgeregt«, bemerkte er ruhig. »Probleme?«

Garona lief an dem Verwalter vorbei, aber Khadgar ergriff ihn an der Schulter. »Der Meister ist verrückt geworden.«

»Verrückter als sonst?«, erwiderte Moroes.

»Das ist kein Witz«, sagte Khadgar, dann blitzten seine Augen auf. »Habt Ihr die Pfeife, um Greife zu holen?«

Der Diener hob eine mit Runen verzierte Metallpfeife. »Soll ich einen …«

»Ich mach das schon«, sagte Khadgar, nahm ihm die Pfeife aus der Hand und lief hinter Garona her. »Er will vor allem uns erwischen, aber Ihr solltet auch verschwinden. Nehmt Köchin und flieht so schnell Ihr könnt.«

Und damit rannte Khadgar weiter.

»Fliehen?«, fragte der Verwalter und sah Khadgar nach. Er grunzte. »Wo sollte ich denn hingehen?«

14

Flucht

Sie legten mehrere Meilen zurück, bevor der Greif sich zu sträuben begann. Nur ein einziges Tier hatte auf Khadgars Pfeife reagiert. Es war nervös geworden, als sich Garona ihm näherte. Nur durch reine Willenskraft gelang es dem jungen Magier den Greif dazu zu bringen, die Gegenwart der Halb-Ork zu tolerieren. Selbst hinter den Hügeln konnten sie Medivh noch schreien und fluchen hören. Sie lenkten den Greif in Richtung Stormwind, und Khadgar grub die Fersen in seine Flanken.

Sie kamen gut voran, aber jetzt schüttelte sich der Greif unter ihnen, zerrte an den Zügeln und versuchte in die Berge zurückzukehren. Khadgar stemmte sich gegen den Greif, um ihn auf Kurs zu halten, aber das Tier wurde immer nervöser.

»Was ist mit ihm?«, fragte Garona über Khadgars Schulter hinweg.

»Medivh ruft ihn zurück«, sagte er. »Er will heim nach Karazhan.«

Khadgar kämpfte mit den Zügeln, benutzte sogar die Pfeife, musste sich aber schließlich geschlagen geben. Er ließ den Greif auf einer tiefen öden Ebene landen und rutschte von seinem Rücken, nachdem zuvor Garona abgestiegen war. Er hatte den Boden gerade erst berührt, als der Greif auch schon wieder abhob. Er schlug seine schweren Schwingen gegen den dunklen Himmel und folgte dem Ruf seines Herrn.