Khadgar berührte die geschwollene Seite seines Gesichts. »Mir geht es gut, danke der Nachfrage.«
Garona schüttelte den Kopf. »Du närrisches Bleichgesicht! Wenn ich dich nicht niedergeschlagen hätte, hätte der Anführer dich sofort umgebracht – und dann mich angegriffen, weil ich dich nicht unter Kontrolle hatte.«
Khadgar seufzte tief. »Es tut mir Leid du hast Recht.«
»Und ob ich Recht habe«, sagte Garona. »Sie haben dich nur am Leben gelassen, weil sie dachten, du hättest etwas Wertvolles im Gasthaus versteckt. Sie hielten dich nicht für blöd genug, ohne Ausrüstung durch ein Kriegsgebiet zu ziehen.«
»Musstest du denn so hart zuschlagen?«, fragte Khadgar.
»Um sie zu überzeugen? Ja. Und es hat mir Spaß gemacht.« Sie warf ihm die Hasen zu. »Hier, häute die und bring Wasser zum Kochen. Es gibt noch ein paar Kessel in der Küche.«
»Ich bin nicht dein Sklave«, entgegnete Khadgar aufgebracht, »auch wenn deine Freunde das glauben mögen.«
Garona grinste. »Natürlich nicht. Aber ich habe das Frühstück gefangen. Also wirst du es zubereiten.« Das Frühstück bestand aus einem herzhaften Eintopf, der sich aus Hase und Kartoffeln zusammensetzte, mit Kräutern aus dem Küchengarten und mit Pilzen gewürzt, die Garona in der Wildnis gefunden hatte. Khadgar untersuchte die Pilze, um sicherzustellen, dass auch tatsächlich alle genießbar waren. Sie waren es.
»Orks benutzen ihre Jungen, um das Essen zu testen«, ließ Garona wissen. »Wenn sie überleben, ist es gut für die ganze Gemeinschaft.«
Sie kehrten zurück auf die Straße nach Stormwind. In den Wäldern war es merkwürdig still, und sie fanden nur Spuren des Krieges.
Gegen Mittag trafen sie erneut auf die Bleeding-Hollow-Orks. Sie lagen mit dem Gesicht nach unten auf einer Lichtung rund um einen zerstörten Wachturm. Etwas Großes, Schweres und Scharfes hatte ihre Rüstungen aufgerissen. Einigen fehlten die Köpfe.
Garona durchsuchte die Toten und nahm Brauchbares an sich. Khadgar betrachtete den Horizont.
Garona rief herüber: »Willst du nicht helfen?«
»Gleich«, sagte Khadgar. »Ich möchte nur sichergehen, dass der Mörder unserer Freunde nicht mehr hier ist.«
Garona betrachtete den Waldrand und dann den Himmel. Außer tiefhängenden Wolken war nichts zu sehen.
»Und?«, sagte sie. »Ich höre nichts.«
»Das haben die Orks wahrscheinlich auch nicht, bis es zu spät war«, sagte Khadgar und trat neben den Körper des Ork-Anführers. »Sie wurden im Laufen in den Rücken getroffen. Der Angreifer war größer als sie.« Er zeigte auf Hufspuren im Staub. »Die stammen von schweren Kriegspferden. Kavallerie. Menschliche Kavallerie.«
Garona nickte. »Zumindest sind wir also in der Nähe von Menschen. Nimm dir, was du brauchst. Wir können ihre Rationen gut gebrauchen. Sie schmecken nicht, sind aber nahrhaft. Und nimm dir eine Waffe, wenigstens ein Messer.«
Khadgar sah Garona an. »Ich habe nachgedacht.«
Garona lachte. »Ich frage mich, wie viele menschliche Katastrophen mit diesem Satz begonnen haben.«
»Wir sind in Reichweite der Stormwind-Patrouillen«, sagte Khadgar. »Ich glaube nicht, dass Medivh uns folgt, zumindest nicht auf direktem Weg. Wir sollten uns vielleicht aufteilen.«
»Daran habe ich auch schon gedacht«, sagte Garona, während sie die Taschen eines Orks durchwühlte und einen Umhang und ein in Stoff gewickeltes Päckchen hervorzog. Sie öffnete das Päckchen und fand einen Feuerstein, Stahl und einen Behälter mit öliger Flüssigkeit. »Zum Feuermachen«, erklärte sie. »Orks lieben Feuer, und damit geht es schnell.«
»Also glaubst du, wir sollten uns trennen?«, fragte Khadgar.
»Nein«, erwiderte Garona. »Ich sagte, ich habe darüber nachgedacht. Das Problem ist nur, dass niemand dieses Gebiet hier beherrscht, weder Mensch noch Ork. Vielleicht triffst du nach fünfzig Metern auf eine weitere Patrouille des Bleeding-Hollow-Clans, oder ich werde von deinen Kavalleriefreunden angegriffen. Zusammen haben wir eine größere Überlebenschance. Der eine ist der Sklave des anderen.«
»Gefangener«, sagte Khadgar. »Menschen halten keine Sklaven.«
»Natürlich tut ihr das«, sagte Garona. »Ihr nennt sie nur anders. Also sollten wir zusammen bleiben.«
»Ist das alles?«, sagte Khadgar.
»Fast«, sagte Garona. »Außerdem habe ich Gul’dan seit einiger Zeit nicht mehr informiert. Wenn wir ihm begegnen, werde ich erklären, dass ich in Karazhan gefangen gehalten wurde, und dass es nicht weise von ihm war, seine Anhängerin in eine Falle zu schicken.«
»Meinst du, er wird das glauben?«, fragte Khadgar.
»Ich bin mir nicht sicher«, sagte Garona. »Auch deshalb sollten wir zusammen bleiben.«
»Du könntest großen Einfluss erlangen mit dem, was du erfahren hast«, sagte Khadgar.
Garona nickte. »Ja, zumindest falls mir niemand den Schädel einschlägt, bevor ich davon berichten kann. Im Moment versuche ich es lieber mit den Bleichgesichtern. Jetzt müssen wir nur noch eines tun.«
»Und das wäre?«
»Ich muss die Leichen zusammentragen und mit Holz und Sträuchern bedecken. Wir können die Sachen liegen lassen, die wir nicht brauchen, aber wir müssen die Körper verbrennen. Das ist das Mindeste, was wir tun können.«
Khadgar runzelte die Stirn. »Wenn die Kavallerie noch in der Nähe ist, wird der Rauch sie anlocken.«
»Ich weiß«, sagte Garona und betrachtete die Überreste der Patrouille. »Aber es ist richtig so. Wenn du menschliche Soldaten tot nach einem Angriff auffändest, würdest du sie nicht auch begraben?«
Khadgar kniff die Lippen zusammen, sagte jedoch nichts. Stattdessen nahm er einen der Orks und zerrte ihn auf die Überreste des Wachturms zu. Innerhalb einer Stunde hatten sie die Leichen zusammengetragen und angezündet.
»Jetzt sollten wir gehen«, sagte Khadgar, während Garona den Rauch betrachtete.
»Es wird die Reiter anlocken«, sagte Garona.
»Ja«, sagte Khadgar. »Und es wird ihnen auch eine Botschaft schicken, nämlich, dass Orks hier sind, die sich sicher genug fühlen, um die Leichen ihrer Gefallenen zu verbrennen. Ich möchte lieber alles in Ruhe erklären können, als plötzlich vor einem angreifenden Kriegspferd zu stehen.«
Garona nickte. Sie warfen sich die gestohlenen Umhänge über die Körper und verließen den brennenden Wachturm.
Garona behielt Recht, die Ork-Version einer Feldration war eine unangenehme Mischung aus gehärtetem Sirup, Nüssen und etwas, das Khadgar für gekochte Ratte hielt. Aber wenigstens füllte es den Magen, und sie kamen gut voran.
Zwei Tage vergingen, und das Land öffnete sich, wurde zu weiten Feldern, die voller Getreide standen. Auch hier war der Krieg nicht spurlos vorbeigezogen. Die Ställe waren leer und die Häuser verfallen. Sie fanden mehrere Spuren von Ork-Bestattungen und etliche Lager, die auf Flüchtlinge und Patrouillen hinwiesen.
So weit es ging hielten sie sich in Büschen und im Wald verborgen. Im offenen Gelände war es zwar leichter, Fremde zu sehen, aber auch sie selbst wären schneller entdeckt worden. Als eine kleine Armee von Orks vorbeizog, versteckten sie sich in einem fast unversehrten Bauernhaus.
Khadgar beobachtete die Orks. Es gab Infanterie, Kavallerie, die auf großen Wölfen ritt, und Katapulte, die mit Drachenköpfen und Totenschädeln verziert waren. Neben ihm beobachtete Garona die Prozession und sagte: »Narren.«
Khadgar sah sie fragend an.
»Sie fallen viel zu sehr auf«, erklärte sie. »Wir können sie sehen, also auch die Bleichgesichter. Diese Bande hat kein Ziel. Sie zieht einfach nur durch das Land auf der Suche nach einem. Sie wollen ehrenhaft im Kampf sterben.« Sie schüttelte den Kopf.
»Du hältst nicht viel von deinem Volk«, sagte Khadgar.
»Im Moment halte ich wenig von allen Völkern«, sagte Garona. »Für die Orks bin ich nichts, die Menschen wollen mich umbringen … und der einzige Mensch, dem ich je vertraut habe, entpuppte sich als Dämon.«