Ich ging hinunter in die Küche und holte einige heiße Kompressen. Die Haussklaven wärmten bereits einen ganzen Haufen davon auf dem Ofen und machten sie für die gefolterten Sklaven fertig. Ich nahm mir drei Kompressen für Maia und wickelte sie in ein Tuch, um sie warmzuhalten. Sie bestanden aus einer Mixtur von Gerste mit etwas Essig und waren in kleine Lederbeutelchen eingenäht, so daß sie lange heiß blieben. Sie taten schmerzenden Gelenken außerordentlich gut. Ich legte je eine auf Maias Schultern und eine unter ihren Rücken. Zuvor wickelte ich sie in ein Kleidungsstück, damit sie ihr nicht zu heiß würden.
»Das wird Festinus noch einmal bereuen«, sagte Thorion. Maia schnaubte verächtlich. »Du verschwendest nur deine Zeit, mein Lieber! Er ist es nicht wert, daß du dich mit ihm abgibst.« Sie dachte einen Augenblick lang nach, dann fügte sie hinzu: »Und unser Herr Jesus Christus hat gesagt, wir sollen unseren Feinden vergeben und für jene beten, die uns Böses tun.«
»Wie kannst du einem derart bösen Mann vergeben, der keine Spur von Reue zeigt? Es hat ihm Spaß gemacht, dies alles unserem Haus anzutun, es hat ihm Spaß gemacht, den Herrn zu erschrecken und die Sklaven zu foltern!«
»Nun«, meinte Maia sachlich. »Als christlicher Edelmann solltest du zumindest nicht auf Rache sinnen. Es schickt sich nicht für dich, derart barbarische Ansichten zu äußern. Und Festinus ist ein Niemand, und er ist den Haß eines hochgeborenen Herrn gar nicht wert.«
»Maia«, sagte ich, »ich liebe dich.« Nur sie konnte christliche Barmherzigkeit mit derart hochnäsiger Vornehmheit verbinden.
2
Natürlich hatte Festinus nichts weiter entdeckt, als daß Vater ein leidenschaftlicher Anhänger von Pferderennen war und das purpurfarbene Tuch genau zu dem Zweck verwenden wollte, den er angegeben hatte. Die gefolterten Sklaven, sogar Philoxenos, waren innerhalb von drei Tagen alle wieder auf den Beinen. Nur das mehrmals vergewaltigte Hausmädchen hatte nach wie vor Angstträume und wachte mehrmals des Nachts laut schreiend auf. Schließlich schickte Vater sie auf eines seiner Landgüter, wo sie im Haushalt helfen sollte. Er hoffte, die Ruhe auf dem Lande werde ihren Nerven gut tun. Er ließ Johannes frei und sprach davon, Philoxenos ebenfalls freizulassen, aber er tat es doch nicht. Philoxenos war einfach zuviel wert. Wegen Vaters Begeisterung für Pferderennen war Philoxenos einer der wichtigeren Sklaven in unserem Haushalt. Als Sohn des Reitknechts meines Großvaters war er in die Familie hineingeboren worden und kommandierte sämtliche Stallburschen und Gärtner herum. Wenn man das Kind eines reichen Vaters ist, denken die Leute manchmal, man braucht nur mit den Fingern zu schnippen und auf etwas zu zeigen, was die Sklaven tun sollen, und schon tun sie es. Aber Sklaven haben ebensoviel Anteil an der Führung eines Hauses wie ihre Eigentümer, und ein kluger Gebieter muß sie verständig behandeln. Vater hätte Philoxenos gerne freigelassen, doch er glaubte, dafür nicht reich genug zu sein. Er sagte immer, wir seien gar nicht so furchtbar reich, jedenfalls nicht nach den Maßstäben des Westreichs. Ihm gehörten kaum mehr als zweihundert Sklaven, und die meisten von ihnen lebten auf seinen Gütern und bearbeiteten das Land. Mehr als vierzig waren nie in unserem Stadthaus. Es hätte Vater eine Menge gekostet, einen so guten Stallmeister wie Philoxenos zu kaufen, falls es ihm überhaupt gelungen wäre, und er hätte sich zusätzlich verpflichtet gefühlt, Philoxenos zu einem guten Start im Geschäftsleben zu verhelfen. Philoxenos war ganz wild darauf, auf eigene Faust zu arbeiten: Er wollte gerne aufs Land ziehen und dort Pferde züchten und trainieren. Statt ihn freizulassen, schenkte Vater ihm schließlich eine Zuchtstute, um etwas zu diesem Gestüt beizusteuern. Ich glaube nicht, daß dies eine angemessene Entschädigung für die Folter war, die Philoxenos wegen der Eitelkeit seines Gebieters erlitten hatte, aber Philoxenos freute sich sehr darüber.
Vaters Wagenlenker, Daniel, war ebenfalls gefoltert worden, aber nicht allzu schlimm. Im nachhinein waren wir froh, daß es damals diese Aufregung wegen Zauberei in Ephesus gegeben hatte: Festinus’ Männer fanden in Daniels Haus keinerlei Beweise für Schwarze Magie. Ich war mir ziemlich sicher, daß Daniel seine Bücher und Schreibtafeln nur irgendwo anders gut versteckt hatte, doch er genoß die ungewohnte Rolle der mißhandelten Unschuld, und Vater mußte ihm einen Haufen Geld geben, um seine verletzten Gefühle zu besänftigen.
Wir waren noch einmal glimpflich davongekommen. Überall im Ostreich wurden Männer zum Tode verurteilt, nur weil sie von der Verschwörung gehört hatten, und nirgends waren es mehr als in Ephesus unter der Statthalterschaft von Festinus.
Der Philosoph Maximus, einst der vertrauteste Ratgeber von Kaiser Julian, wurde vor den Rennen in der Pferderennbahn enthauptet, weil er die Verse des Orakels über den Nachfolger von Valens kannte. Statt der Überraschungsprozession meines Vaters erlebten wir nun also die von Festinus veranstaltete Überraschungshinrichtung. Festinus ließ den armen Mann in die Mitte des weiten Rundes führen, dann erhob er sich auf seinem Ehrenplatz und hielt eine Ansprache über die Verruchtheit treuloser Männer. Maximus erhielt keine Chance, etwas zu entgegnen. Barhäuptig stand er in der heißen Sonne, trug lediglich eine braune Tunika und sah alt und elend aus. Die Stadt war stolz auf ihn gewesen, und alle waren entsetzt. Als Festinus seine Ansprache beendet hatte, warfen seine Leibwächter Maximus auf die Knie, und der Henker ließ sein Schwert herabsausen. Das Blut des Philosophen spritzte in weitem Umkreis über den Erdboden, und viele hielten dies für ein böses Omen.
Falls dem so war, dann erfüllte es sich nur allzu schnell. Den ganzen Sommer hindurch wurden Menschen angeklagt, vor Gericht gezerrt, gefoltert und aufgrund der fadenscheinigsten Beweise hingerichtet. Einem Kaufmann wurden wegen Unterschlagungen die Geschäftspapiere beschlagnahmt. Unter ihnen wurde ein Horoskop für einen Mann namens Valens entdeckt. Der Kaufmann sagte, dieser Valens sei sein Bruder, der vor mehreren Jahren gestorben sei. Er erbot sich, einen Beweis für diese Behauptung von dem Astrologen herbeizuschaffen, der das Horoskop gestellt hatte, und von Leuten, die seinen Bruder gekannt hatten. Doch es wurde ihm keinerlei Gelegenheit dazu gegeben, er wurde auf die Folterbank geschickt und dem Schwert des Henkers überantwortet. Es gab eine törichte alte Frau, die angeblich Fieberkranke mit einem Talisman heilen konnte (eine Methode, die, wie jeder Arzt weiß, wenig Erfolg verspricht): Sie wurde der Zauberei angeklagt und hingerichtet, nachdem sie mit Festinus’ Wissen einen seiner Sklaven behandelt hatte. Und dies waren nur ein paar Fälle von vielen.
Festinus wurde für seine Ergebenheit von unserem Erhabenen Gebieter, dem allerfrommsten Augustus, unserem Herrn Valens belohnt. Im Herbst wurde bekannt, daß seine Amtszeit für ein weiteres Jahr verlängert worden war. Außerdem wurden ihm einige kaiserliche Ländereien im Caystertal, die früher von einem seiner Opfer verwaltet worden waren, auf hundert Jahre zur Pacht überlassen. Solche Ländereien sind sehr beliebt, da keine Steuerlast auf ihnen liegt. Darüber hinaus war es hervorragendes Land: fruchtbar und eben.
Um seinen Zuwachs an Reichtum und Macht zu feiern, gab Festinus eine Gesellschaft, zu der er alle wichtigen Männer in Ephesus einlud, einschließlich Vater und Thorion. Jedermann hatte viel zu große Angst vor ihm, um die Einladung auszuschlagen. So legte Thorion seinen besten Umhang und seine schönste Tunika an, ließ Maia seine Haare bürsten und seinen Umhang glätten – sie sagte, er habe ihn mal wieder völlig zerknittert – und brach finsteren Blicks auf. Ich ging natürlich nicht mit. Ich war im späten Frühjahr sechzehn geworden, aber Mädchen gelten erst als erwachsen, wenn sie verheiratet sind, und gehen deshalb nicht auf Abendgesellschaften.
Wenn Thorion finstere Blicke um sich geworfen hatte, als er an jenem Nachmittag aufbrach, dann sah er wie vom Donner gerührt aus, als er in der Nacht nach Hause kam. Ich hörte, wie er und Vater mit ihrem Gefolge ankamen, und rannte in den ersten Innenhof, um sie zu begrüßen. Vater sah ganz einfach erschöpft aus und zog sich sofort in sein Zimmer zurück. Thorion kam mit in mein Zimmer hinauf und erzählte Maia und mir alles über den Verlauf des Abends.