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Die gotischen Reiter hatten sich zu einem Halbkreis formiert, der sich den Römern entgegenstellte und den Weg zur Festung blockierte. Ihre Pferde tänzelten, sie schlugen mit ihren Schwertern an die Schilder und schrien. Die römische Streitmacht war ihnen weit unterlegen; selbst ich konnte sehen, daß wir nur sehr geringe Chancen hatten, uns nach Salices durchzuschlagen. Ich bahnte mir einen Weg zum Befehlshaber. »Müssen wir denn gegen sie kämpfen?« fragte ich. »Was wollen sie?«

»Sie wollen uns töten«, erwiderte der Befehlshaber grimmig.

»Vor zwei Tagen haben wir einige ihrer Kameraden getötet.

Herr im Himmel, ich wußte nicht, daß immer noch so viele Barbaren in der Gegend sind!«

»Wenn wir uns jetzt zum Kampf stellen, werden wir ebenfalls einen Haufen Männer verlieren«, sagte ich. »Und das ist völlig sinnlos. Hör zu, ich bin ein Gastfreund des edlen Frithigern ich habe seine Frau geheilt, bevor das alles angefangen hat. Laß mich gehen und sie um einen Waffenstillstand bitten. Dann können wir uns in die Festung zurückziehen, und sie können wieder ihren Beutezügen nachgehen. Vielleicht gehen sie darauf ein.«

Der Befehlshaber sah mich einen Augenblick lang erstaunt an, dann blickte er zu den Goten hinüber. »Wenn du unbedingt mit diesen Teufeln sprechen willst, dann nur zu!« sagte er.

»Viel Glück! Hier, Valentinus, schneid uns ein paar grüne Zweige ab: Der Arzt will zu den Barbaren reiten und sie um einen Waffenstillstand bitten.«

Die Männer starrten mich an, dann brachen sie in Beifallsrufe aus. Valentinus, der Tribun, schnitt einige Zweige von einem Strauch am Wegesrand ab und reichte sie mir. Ich nahm einen Zweig in jede Hand, und die Männer ließen mich bis in die vorderste Reihe durch. Die Goten hatten ein paar hundert Schritt von uns entfernt Aufstellung genommen und warteten. Ich holte tief Atem, hob die Zweige hoch in die Luft und ritt los. Eine Kugel aus einer Steinschleuder zischte an mir vorbei. Ich zügelte mein Pferd, rührte mich nicht und hielt die Zweige hoch in die Luft. »Waffenstillstand!« rief ich. Ich konnte sehen, wie die Goten auf mich zeigten und miteinander sprachen und entdeckten, daß ich unbewaffnet war. Erneut begann ich, auf sie zuzureiten, und diesmal empfingen mich keine Geschosse.

Als ich mich den gotischen Linien näherte, löste sich aus der vordersten Reihe ein Mann auf seinem Pferd und kam auf mich zugeritten; aufgrund des Schmuckes, den er trug, hielt ich ihn für den Befehlshaber. »Waffenstillstand!« wiederholte ich auf griechisch, dann fügte ich »Freund!« auf gotisch hinzu.

»Freund?« erwiderte der gotische Befehlshaber in seiner Muttersprache, zügelte sein Pferd direkt vor mir und starrte mich an. »Kein Römer ist ein Freund der Goten! Wer bist du, und was willst du?«

»Ich bin Chariton von Ephesus, ein Arzt und Gastfreund des edlen Frithigern, ich möchte für die Römer einen freien Abzug nach Salices erbitten. Wenn ihr uns angreift, sterben wir, und viele von euch sterben ebenfalls. Doch keiner von uns kann einen Vorteil daraus ziehen.« Die Angst beflügelte meine Zunge und ließ mich fast fließend gotisch sprechen.

»Chariton von Ephesus?« fragte der Befehlshaber; einer der anderen Goten, der beinahe ebenso bedeutend ausstaffiert war und einen Mantel aus Wolfspelz trug, stieß einen Ruf der Überraschung aus und ritt auf uns zu. Er zog den Befehlshaber zur Seite, und sie flüsterten kurz miteinander und warfen mir immer wieder bedeutungsvolle Blicke zu. Dann wandte sich der Befehlshaber zu mir um. »Ich heiße den Gastfreund des edlen Frithigern willkommen«, sagte er in einem sehr viel freundlicheren Tonfall. »Bleib hier; übergib Triwane das Zeichen des Waffenstillstands. Deine Leute können nach Salices reiten.« Triwane, derjenige, der dem Befehlshaber offensichtlich etwas über mich erzählt hatte, nahm die Zweige, hielt sie hoch in die Luft und ritt langsam auf die Römer zu. Der Befehlshaber rief seinen Truppen etwas zu, die gotischen Linien teilten sich erneut in zwei Reihen, und die Römer begannen vorwärts zu reiten, geleitet von Triwane, der die grünen Zweige empor hielt.

Ich schluckte. Es war vorbei, den Göttern sei Dank.

»Ich danke dir, Herr«, sagte ich und drehte mich zu dem Befehlshaber um. »Kann ich mich jetzt meinen Leuten anschließen?«

Er betrachtete mich nachdenklich, kaute auf seinem Bart herum, dann beugte er sich zu mir hinüber und ergriff die Zügel meines Pferdes. »Der edle Frithigern möchte dich sprechen.« Ich starrte ihn einen Augenblick lang begriffsstutzig an. Frithigern wollte mich sprechen. Dann wurde mir blitzartig klar, daß Frithigern zweifellos ganz dringend Ärzte benötigte. »Nein«, erwiderte ich. »Ich bin Frithigerns Gastfreund, ich habe das Leben seiner Frau gerettet, als sie nach der Kindsgeburt krank war. Freiwillig komme ich nicht mit. Und Frithigern ist ein edel denkender Mann und wird es dir nicht danken, wenn du seinen Gastfreund bei dem Versuch, ihn mit Gewalt mitzubringen, tötest.« Ich versetzte meinem Pferd einen heftigen Tritt, und aufgeschreckt riß es sich von dem gotischen Befehlshaber los. Ich wandte mich den römischen Streitkräften zu, die jetzt durch das Festungstor ritten und galoppierte so schnell, wie ich konnte, in ihre Richtung. Hinter mir schleuderte jemand ein Wurfgeschoß nach mir, doch der Befehlshaber rief ihnen zu, sie sollten damit aufhören. Statt dessen hörte ich, wie andere Pferde hinter mir her galoppierten. Kurz vor mir sah ich, wie der römische Tribun sein Pferd zügelte und seinen Männern Befehl gab, anzuhalten. Dann stolperte mein ermüdetes Pferd und stürzte. In dem Moment, als es den Boden berührte, rollte ich mich von ihm weg und lag einen Augenblick lang zusammengekrümmt da. Die Goten galoppierten heran und sprangen von ihren Pferden. Einer von ihnen fing mein Pferd ein. Ich erhob mich auf Hände und Knie; der Schnee war naß, und das Tageslicht schwand allmählich. Einen Augenblick lang vermochte ich mich nicht zu rühren. In der Mitte zwischen den feindlichen Streitkräften fühlte ich mich so, als sei ich meiner Persönlichkeit beraubt worden. Und ich hatte Angst, Angst nicht so sehr vor all der Gewalt um mich herum – obwohl auch diese mich sehr mitgenommen hatte – als vor etwas anderem: vor der Dunkelheit, vor der Schutzlosigkeit und davor, überhaupt niemand mehr zu sein.

Erneutes Hufedonnern, dann kam der römische Tribun angeritten. Ich hockte mich auf meine Fersen und versuchte, meine Selbstbeherrschung wiederzuerlangen. Die Goten riefen etwas, und einer zog sein Schwert.

»Was ist hier los?« fragte der Römer. »Ich dachte, wir hätten einen Waffenstillstand geschlossen?«

Der gotische Befehlshaber rief seinem Soldaten zu, er solle sein Schwert wegstecken, dann wandte er sich dem Römer zu. »Wir haben einen Waffenstillstand geschlossen«, sagte er in perfektem Latein. »Aber der Arzt kommt mit uns.«

Der Tribun sah auf mich herunter und berührte den Knauf seines Schwertes. »Er ist Römer, und der Heerführer schätzt ihn außerordentlich«, sagte er in entschiedenem Tonfall. »Du hast kein Recht dazu, ihn gefangenzunehmen.«