Die gläsern wirkenden Augen fixierten mich, der Blick wurde intensiver und war von einem Stirnrunzeln begleitet.
»Bitte entschuldige mich, weiser Chariton, aber das ist kein guter Vorschlag. Es wäre besser, wenn die Sklaven einen Blick auf dich werfen und ihren Freunden berichten könnten, daß du wirklich ein Mann bist. Es würde die Phantasie der Leute beruhigen. Die Leute erzählen sich, daß du ein Teufel bist – es tut mir leid, viele Menschen hier sind äußerst töricht und abergläubisch und tun den ganzen Tag lang nichts anderes als zu klatschen. Außerdem glauben meine Frau und ihre Gefährtinnen, daß du in Wirklichkeit eine Frau bist. Bei uns Goten gibt es keine Eunuchen. Erlaube den Sklaven, dir aufzuwarten, so wie sie es mit jeder Person von Rang tun, dann werden sich die dummen Gerüchte von selbst erledigen.«
»Ich mag es nicht, wenn man mich anstarrt«, erwiderte ich auf gut Glück und versuchte, mir eine glaubwürdige Begründung für meine Schamhaftigkeit auszudenken. »Bitte, du hast mich zum Sklaven gemacht; laß mir wenigstens meine Würde.«
Frithigern starrte mich an und runzelte die Stirn. Hinter mir meldete sich Edico. »Wie kann die Würde eines vornehm geborenen Mannes denn leiden, wenn ihm Sklaven aufwarten?« fragte er. »Du bist wirklich zu empfindlich, vortrefflicher Chariton.«
»Jetzt, da du mir dienst, möchte ich, daß die Leute eindeutig wissen, wer du bist«, sagte Frithigern. »Meine Gemahlin behauptet, daß du eine Frau bist. Sie sagt, daß du dich verkleidest, weil es die Römer nicht erlauben, daß Frauen Medizin studieren. Wie kannst du mir ordentlich dienen, wenn die Leute derartige Dinge über dich verbreiten? Du mußt dich meiner Entscheidung in dieser Angelegenheit fügen.«
Edico lachte belustigt auf. »Frauen erzählen eine Menge. Wenn du nicht willst, daß die Leute einen derartigen Unsinn glauben, dann vergiß diese verrückte Bescheidenheit.«
Zur Hölle mit Amalberga. Sie hatte zu schnell zuviel herausgefunden, und sie hatte mich noch nicht einmal gefragt, ob sie recht habe. Sie hatte Verdacht geschöpft, hatte ein Motiv für meine Verkleidung entdeckt und ihre eigenen Schlüsse daraus gezogen. Ich überlegte, was ich noch vorbringen könnte, aber meine Zunge war wie gelähmt. Ich spürte, wie ich rot wurde. Frithigern beobachtete mich unentwegt.
»Ich bin es gewohnt, allein zu sein«, sagte ich, als das Schweigen unerträglich wurde. »Ich empfinde diese Neugier als ungehörig.«
Frithigern fegte meinen Einwand beiseite. »Du bringst mich beinahe dazu, zu glauben, daß der Verdacht meiner Gemahlin begründet ist.«
»Erhabene Majestät, ich würde mir deswegen keine Gedanken machen«, meinte Edico. »Ich habe fast zwei Jahre lang mit Chariton zusammengearbeitet. Ich weiß, daß diese Gerüchte unbegründet sind.«
»Wirklich?« fragte Frithigern und blickte von mir zu Edico. Dann blieb sein Blick erneut an mir hängen. »Schwöre es.«
Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ich wich dem Blick des Königs aus und sah auf das in den Fußboden eingelegte Mosaik: Der Stier brüllte die himmlischen Zwillinge an. Es gab keinen Ausweg mehr. Nachdem die Frage einmal gestellt worden war, gab es nur eine Antwort. Mein ganzes Täuschungsmanöver hatte davon abgehangen, daß diese Frage niemals von jemandem gestellt wurde. Wenn ich einmal so direkt gefragt worden war, war es zwecklos, zu lügen.
»Die Gerüchte stimmen«, flüsterte ich. »Ich bin eine Frau.« Edico starrte mich an, als zweifle er an meinem Verstand.
Walimir starrte mich an, alle starrten mich an. Ich verschränkte meine Hände auf dem Rücken und preßte sie zusammen, um sie am Zittern zu hindern.
»Ich höre nie genug auf meine Frau«, meinte Frithigern nachdenklich. »Für gewöhnlich hat sie recht.«
Ich sah ihn an. »Niemand hat jemals meine Fähigkeiten als Arzt in Frage gestellt.«
»Auch ich stelle sie nicht in Frage«, erwiderte Frithigern.
»Für deine Fähigkeiten spielt es keine Rolle, ob du ein Mann oder eine Frau bist. Und nur deine Fähigkeiten sind gefragt. Ich kann dich nur nicht außerhalb des Lagers einsetzen. Auf einem Beutezug könnte ich dir nicht genügend Schutz gewähren, und es würde eine große Schande für mich bedeuten, wenn du in meinen Diensten Beleidigungen erfahren müßtest. Ich werde dafür sorgen, daß du als Edelfrau behandelt wirst.«
Ich fühlte mich genauso wie in meinem Traum, als mein Vater sich in Festinus verwandelt hatte. Wenn man mich als Edelfrau behandelte, wäre das Geheimnis für immer und ewig preisgegeben. Falls ich weiter praktizieren wollte, würde ich mein Leben lang unter den Goten bleiben müssen – oder ich könnte nach Hause gehen, um einsam und allein und mit Schande bedeckt in dem Haus meines Bruders zu sitzen. In beiden Fällen hätte ich keine Macht mehr über das, was mit mir geschah. Ich wäre nichts mehr als eine Leibeigene Frithigerns oder meines Bruders. Meine Selbstbeherrschung verließ mich, und verzweifelt flehte ich: »Nein! Ich bitte dich! Ich bin für immer erledigt, wenn diese Nachricht bekannt wird. Ich werde nie mehr zu den Römern zurück können, ich…«
Frithigern lächelte. Natürlich. Wenn ich nicht zu den Römern zurückgehen konnte, um so besser.
»Nein«, rief ich erneut und war wie betäubt. »Ich habe dir und deinem Hause Gutes getan. Vergelte es nicht mit Bösem.«
»Man wird dich als Gast und als Edelfrau behandeln. Ich werde dafür sorgen, daß du bei meiner Gemahlin untergebracht wirst.«
»Wenn ich als Edelfrau behandelt werden wollte, hätte ich auch im Haus meines Vaters in Ephesus bleiben können!«
Aber Frithigern schüttelte den Kopf. »Ich kann dich nicht als Mann behandeln und bei den gemeinen Soldaten unterbringen. Du wirst bei meiner Gemahlin wohnen. Dann wissen die Leute, wer und was du bist. Meine Ehre wäre befleckt, falls dich jemand beleidigen sollte.«
»Aber du ruinierst mein Leben, siehst du das denn nicht ein?« schrie ich. »Gott im Himmel! Ich werde meinen Namen, meinen Beruf, alles verlieren. Ich werde nur noch als dein Diener existieren! Und wenn ich versuche, nach Hause zurückzukehren, werde ich gar nichts sein, niemand – nichts als ein Ärgernis. Meine Freunde und meine Familie werden sich meiner schämen … Nein, bitte, ich flehe dich an…« Ich war drauf und dran, zu weinen, und mußte innehalten. Ich schlug die Hände vors Gesicht. Frithigern sah mich leidenschaftslos an.
»Ich werde dich jetzt zu meiner Gemahlin schicken«, sagte er mit großer Bestimmtheit. »Dort kannst du dich ausruhen.«
Und tränenüberströmt wurde ich aus dem Raum geführt.
14
Amalberga fand genau die richtige Art, mit mir umzugehen. Ich hätte niemals gedacht, daß man mich so leicht lenken könne: Meine Familie und meine Freunde würden darin wohl mit mir übereinstimmen. Doch Amalberga ging so geschickt mit mir um wie ein Kindermädchen mit einem widerspenstigen Kind oder ein geschickter Reitknecht mit einem störrischen Pferd. Und ich merkte es nicht einmal, ehe es geschehen war. Fast blind vor Tränen wurde ich in den rückwärtigen Teil des Hauses geführt, in dem die Frauen wohnten. Amalberga saß zusammen mit einigen der anderen Edelfrauen an der Feuerstelle und spann. Sie machte einen äußerst erstaunten Eindruck, als die Wachsoldaten ihr erklärten, was passiert war, dann sprang sie auf, schickte die Männer fort und führte mich in ein leeres Schlafzimmer. »Leg dich eine Weile hin«, sagte sie zu mir und ließ mich allein. Und ich weinte – ziemlich hysterisch, nehme ich an – etwa eine Stunde lang, und lag dabei auf dem Bett, biß in meine Ärmel, wand mich in Krämpfen und schluchzte hemmungslos. Ich hätte mir ein Messer in den eigenen Leib stoßen können; ich war wütend auf ihn, weil er ein weiblicher Körper war und weil er mich verraten hatte.
Als das Schluchzen etwas nachgelassen hatte, kam Amalberga wieder herein und stand in der offenen Tür.
»Hochgeschätzte Chariton«, sagte sie auf griechisch, »eine meiner Frauen hat ein krankes Kind; sie ist ganz verzweifelt und fleht darum, daß jemand nach ihm sieht. Ich weiß natürlich, daß du müde bist, vortreffliche Chariton, aber könntest du vielleicht einen Blick auf das Baby werfen?«