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Eine Tür öffnete sich, und Amalberga kam herein. Sie hatte ihre Tunika nachlässig übergeworfen, die langen Haare hingen ihr offen über die Schultern. Ihre Umrisse hoben sich gegen das schwache Licht des Feuers ab. Sie sah mich einen Augenblick lang unbewegt an, dann sagte sie: »Es wäre besser, wenn du bliebest. Was auch immer du morgen tun wirst, es wird dir besser gelingen, wenn du jetzt schläfst.«

»Was auch immer ich morgen tun werde?« erwiderte ich bitter. »Ich habe doch gar keine Wahl. Ich dachte, man hätte beschlossen, daß ich Edico bei der Betreuung seiner Patienten helfen soll.«

»Das ist richtig«, entgegnete Amalberga ruhig. »Ich hoffe, du kannst etwas für sie tun.«

»Weißt du, was du mir angetan hast?« fragte ich sie. »Vielleicht bist du ja der Meinung, ich verdiente die Sklaverei, da ich mich so unschicklich verhalten habe. Aber ich habe dir niemals etwas getan.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich bewundere, was du getan hast. Wenige Frauen sind in der Lage, so klar zu entscheiden, was sie wollen, und noch weniger können es auch erreichen. Es ist wahrscheinlich grausam, dir etwas zu nehmen, wofür du hart gekämpft hast, und es tut mir leid. Viele Leute aus meinem Volk wurden im letzten Sommer versklavt, und seitdem sind auch viele aus deinem Volk versklavt worden. Sie würden dich selbst jetzt noch um deine Freiheit beneiden.«

Ich biß mir auf die Lippen. »Das mag sein«, erwiderte ich nach einem Augenblick. »Aber das entschuldigt dich noch lange nicht.«

»Unser Volk hat sehr gelitten. Auch wir hatten keine Wahclass="underline" Wir sind dazu gezwungen worden, uns zu erheben. Mein Gemahl hofft immer noch, mit dem Kaiser Frieden schließen zu können und sein Vasall zu werden. Worauf können wir sonst hoffen? Niemand kann das Imperium besiegen – es ist zu groß. Aber unsere erste Pflicht, seine und meine, gilt unserem Volk, wir müssen es ernähren und beschützen. Das verstehst du sicherlich, und du verstehst auch, warum wir dich bei uns haben wollen, sogar gegen deinen Willen und gegen unsere Ehre.« Sie trat auf mich zu und berührte meine Hand, wobei sie mich ernst ansah. »Aber es muß nicht unbedingt so überaus schrecklich sein. Du kannst deine Heilkunst bei uns offen praktizieren und wirst dafür geehrt. Das ist doch immerhin etwas, oder?«

»Ich liebe mein eigenes Volk«, entgegnete ich. »Ich gehöre nicht hierher.« Sie ließ ihre Hand sinken und seufzte. »Ich verstehe nicht, warum die Menschen das Kaiserreich so lieben.«

»Wir sind in ihm geboren, und es hat uns geformt.«

Sie zuckte die Achseln. »Viele Goten, die unter unseren eigenen Königen geboren sind, geben ihr Volk auf, um bei den Römern zu leben. Mein Onkel Ermaneric hat das getan, und sein Sohn, mein Vetter Athanaric, liebt das Kaiserreich ebenso wie irgendein römisch geborener Bürger. Aber nur wenig Römer wollen bei uns leben, auch wenn man ihnen Reichtum und Ehre bietet. Mein Gemahl träumt immer noch von Rom, obwohl er sich im Krieg mit ihm befindet.«

»Ich mag keine Träume. Aber… das Leben, das ich gewählt habe, gibt es bei deinem Volk nicht. Ich bin Arzt und Hippokratiker, kein Zauberer, keine weise Frau oder Hexe. Ich passe nicht hierher.«

»Ärztinnen gibt es bei deinem eigenen Volk aber auch nicht.«

»Nun, ich war ja auch keine, oder?«

Bei dieser Bemerkung lächelte sie. »Nein. Aber bei uns könntest du eine sein. Du hast Edico schon halbwegs in der hippokratischen Medizin ausgebildet. Wenn wir diesen Krieg überleben, könntest du auch noch andere ausbilden. Vielleicht sind wir ja wirklich unwissende Barbaren, aber wir möchten ein Teil des Kaiserreichs sein und die römische Lebensweise erlernen vor allem römische Handfertigkeiten und römische Künste, so wie die deine. Warum willst du uns so rasch abtun? Bei deinem Volk mußt du so tun, als seist du jemand, der du gar nicht bist, um jemand sein zu können, der du tatsächlich bist. Hier hast du die Möglichkeit, dir dein eigenes Gesetz zu schaffen; hier kannst du ein Hippokratiker und eine Frau sein.«

Ich starrte sie an und war im Innersten aufgewühlt. Hatte sie vielleicht recht? In Alexandria hatte ich davon geträumt, eines Tages ganz offen sagen zu können, eine Frau und ein Arzt zu sein. Aber Alexandria ist eine Stadt mit vielen unterschiedlichen Gesetzen. Bei den Goten waren die Sitten und Gebräuche nicht so vielfältig. Und doch gibt es bei ihnen weibliche Heiler. Und vielleicht überstanden sie tatsächlich den Krieg, vielleicht konnten sie ihr Vasallenkönigtum errichten und Teil des Kaiserreichs werden. Es war durchaus vorstellbar, daß ich (wie es in der Rechtssprache hieß) einen Präzedenzfall schaffen konnte.

Und ich hatte kaum eine andere Wahl, als es zu versuchen. Amalberga lächelte mir zu. Sie bemerkte zweifellos, daß ihre Worte mich beeindruckt hatten. Sie berührte mich erneut am Arm. »Aber ruh dich aus. Ohne Essen oder Schlaf wirst du es nicht schaffen.«

So ging ich also wieder ins Bett.

15

Natürlich machte ich es genauso, wie Amalberga vorausgesagt hatte. Ich gewöhnte mich sehr schnell daran, eine weibliche Jüngerin des Hippokrates zu sein und meinen gotischen Patienten den ganzen Glanz der medizinischen Fakultät Alexandrias zuteil werden zu lassen. Und sie akzeptierten es. Dabei kam mir zustatten, daß die Goten jede Art ärztlicher Hilfe verzweifelt benötigten – gleichgültig, von wem sie ihnen verabreicht wurde. Und für mich war es wahrscheinlich hilfreich, daß es schrecklich viel zu tun gab.

Die Verantwortung für die Gesundheit der gesamten Wagenstadt lag bei Edico, und in Anbetracht der riesigen Schwierigkeiten, hatte er seine Sache recht gut gemacht. Er hatte ein Hospital eingerichtet, das nach dem Modell desjenigen in Novidunum aufgebaut war. Er hatte jeden rekrutiert, der sich auch nur einigermaßen dazu eignete, ihm als Krankenpfleger zu dienen – eine bunte Mischung ehemaliger römischer Armeeärzte, gotischer Hebammen und weiser Frauen, zweifelhafter Zauberer und Hexen sowie eindeutiger Scharlatane. Er hatte klar und deutlich auf die Notwendigkeit strikter Hygiene hingewiesen. Ansteckende Fälle behielt er im Hospital und isolierte sie samt ihrer Pfleger. Aber eigentlich war er nicht darauf vorbereitet, Amtsarzt einer großen Stadt zu werden, und dazu hatte sich die Wagenburg ganz unzweifelhaft entwickelt. Carragines nannten die Goten sie und benutzten dabei das lateinische Wort für »Wagen«. Mein erster Eindruck von ihr war durchaus zutreffend. Sie war groß, und sie war hoffnungslos übervölkert. Außerdem war sie schmutzig und wurde zunehmend ein Brutplatz für Seuchen.

Das Hauptproblem waren die sanitären Einrichtungen. Edico hatte mit großem Nachdruck auf Brunnen bestanden, aber er hatte nichts von der Notwendigkeit einer Kanalisation gewußt.

Die vorhandenen Einrichtungen waren absolut ungenügend. Die Goten verfügten über einfache Senkgruben, jeweils eine für zehn Familien, gleichmäßig über die Ansiedlung verteilt. Das mag für ein nur vorübergehend aufgeschlagenes Lager oder ein kleines Dorf genügen. Aber für eine Stadt von mehreren zehntausend Menschen war es völlig ungenügend. Nur das kalte Wetter hatte es bisher verhindert, daß die Latrinen das gesamte Grundwasser des Geländes verseucht hatten. Schon gab es zahlreiche Fälle von Wassersucht, Typhus und Ruhr. An diesen Krankheiten starben bereits mehr Leute als in den Kämpfen gegen die Römer. Aber die meisten Toten waren natürlich Kinder, und das bedeutete keine Schwächung für die gotische Streitmacht. Was jedoch im Sommer aus dem Lager werden sollte, wagte ich mir gar nicht vorzustellen.