Doch die Goten sind anders als die Römer. Sie kannten gar keine öffentliche Kanalisation und verstanden nicht, warum diese so notwendig sein sollte. Sie glaubten, wenn man sich wegen derartiger Dinge Sorgen machte, zeuge dies von verweichlichten Sitten, ja von niedriger und sklavischer Gesinnung. Edico sah lediglich betreten vor sich hin, als ich ihm sagte, falls nicht sofort etwas unternommen werde, werde das Lager im Sommer eine Todesfalle sein. Natürlich war er meinetwegen sowieso sehr betreten. Als ich im Hospital zum erstenmal als Frau gekleidet erschien, starrte er mich die ganze Zeit an, dann wurde er rot und sah weg. Ich trug meinen Umhang immer noch locker über die Schultern geworfen, damit er mir nicht im Wege war. Ich hatte die Tunika fest um den Oberkörper gebunden und die Schnur zwischen meinen Brüsten gekreuzt, weil die Tunika ein bißchen zu groß war und weil ich den Halt des Korsetts vermißte. Die Veränderung, die mit meiner Figur vorgegangen war, bestürzte ihn wahrscheinlich. Schließlich mußte ich ihm sagen, er solle die Augen schließen und die »edle Frau Charis« vergessen! Ich war sein Meister und Lehrherr in der Heilkunst, und meine Kenntnisse waren die gleichen geblieben. Doch selbst so konnte ich ihn eine ganze Woche lang nicht dazu bewegen, vernünftig mit mir zu sprechen. Ich hatte keine Zeit, darauf zu warten, bis er sich beruhigt hatte: Das Wetter schlug bereits um, es wurde allmählich wärmer, und sobald der Erdboden taute, würde das Problem der fehlenden Kanalisation kritisch werden. Ich ließ das Hospital gleich am ersten Tag im Stich und bat um eine Audienz bei König Frithigern.
Ich wurde ziemlich schnell in den Audienzsaal gelassen. Frithigern war heute allein. Er sah mich neugierig an und machte mir wegen meiner Erscheinung ein Kompliment. Ich ignorierte es und kam direkt zur Sache: Ich erklärte ihm, Dutzende seiner Leute stürben im Augenblick aufgrund der unzureichenden hygienischen Verhältnisse und weitere Hunderte würden sterben, sobald es heiß würde. Er starrte mich an. Ich erklärte ihm die Sache, zitierte Hippokrates und Eristratos und erzählte ihm von den römischen Städten mit ihren öffentlichen Abwässerkanälen, mit deren Hilfe derartige Probleme vermieden wurden. Er machte einen etwas unglücklichen Eindruck und fragte mich, was er meiner Ansicht nach tun sollte.
»Laß sofort eine öffentliche Kanalisation bauen«, erwiderte ich. »Oder ein Aquädukt. Aber eine Kanalisation wäre einfacher, und außerdem könnten die Römer sie nicht so leicht zerstören.« Frithigern runzelte die Stirn. Er schlug vor, wir sollten abwarten und sehen, ob das gegenwärtige System nicht doch funktioniere, bevor wir ein neues bauten. Ich erwiderte, es sei bereits jetzt überdeutlich, daß das System nicht funktioniere.
Er meinte, es sei nicht die Aufgabe einer Frau, solche Dinge zu entscheiden.
»Vortrefflicher Frithigern«, entgegnete ich, »du hast dir große Mühe gegeben, dich meiner Dienste zu versichern und zu verhindern, daß ich zu den Römern zurückkehren kann. Jetzt, da du mich in deiner Gewalt hast, kannst du auch ebensogut auf mich hören. Es mag nicht die Aufgabe einer Frau sein, Medizin zu studieren, aber ich habe sie nun einmal studiert, und was ich sage, stimmt.«
»Ich habe von dir erwartet, daß du dich um das Wohl der Kranken kümmerst, nicht aber, daß du mir erzählst, wir benötigten eine riesige öffentliche Kanalisation!« fuhr Frithigern mich an. »Der Bau eines Abwassersystems für die ganze Stadt erfordert Hunderte von Männern. Das ist teuer. Und ich weiß nicht einmal, wie so etwas konstruiert wird, auch sonst niemand hier – es sei denn, du hättest dies auf genauso vorbildliche Weise studiert wie Medizin.«
Die Konstruktion einer öffentlichen Kanalisation war auf der medizinischen Fakultät Alexandrias zwar nicht gelehrt worden, aber ich wußte, daß die Goten einen Haufen römischer Gefangener gemacht hatten, die jetzt als Sklaven bei ihnen arbeiteten. Ich machte den Vorschlag, Frithigern solle einige, die von solchen Dingen etwas verstanden, heraussuchen lassen und ihnen ihre Freiheit sowie eine große Geldsumme versprechen, wenn sie eine Kanalisation für Carragines entwürfen. Ich sagte, sie würden auf ein derartiges Angebot sicherlich freudig eingehen. Es war schließlich etwas anderes, als wenn man sie dazu aufforderte, Befestigungsanlagen oder etwas dergleichen zu bauen, was von den römischen Behörden als Verrat angesehen werden könnte. Die Sklaven mußten im Falle einer Pest höchstwahrscheinlich sowieso am meisten leiden.
»Ich kann unmöglich die Gefangenen anderer Leute freilassen!« wandte Frithigern ein. »Bei der Hälfte der Streitfälle, bei denen ich als Schiedsrichter fungieren muß, geht es bereits um Sklaven. Ich kann schließlich nicht das Gesetz hochhalten und dann selbst das Eigentum anderer requirieren. Nein, es ist ganz unmöglich. Ihr Griechen seid einfach fanatisch, wenn es um Hygiene geht. Vielleicht machen euch fehlende Abwasserkanäle ja wirklich krank. Wir Goten sind da aus härterem Holz geschnitzt. Wir baden ja auch nicht dauernd, und das schadet uns ebenfalls nicht.«
Ich biß mir auf die Lippen, um nicht herauszuplatzen und ihn einen stinkenden, unwissenden Barbaren zu nennen.
»Erlauchter Frithigern, hier handelt es sich um verseuchtes Wasser und nicht ums Baden. Dieses Wasser hat bereits Menschen getötet. Heute morgen sind im Hospital mehrere Kinder gestorben. Wie viele müssen denn noch sterben, bevor du zugibst, daß hier ein ernstes Problem vorliegt?«
»Du übertreibst«, erwiderte Frithigern kalt. »Kinder sterben aus vielerlei Gründen. Ich kann meinen Männern nicht erzählen, sie sollten ihre Beutezüge einstellen und Abwassergräben bauen, nur weil irgendeine griechische Ärztin es für richtig hält.«
»Aber ich bin es doch nicht allein, die es für richtig hält! Alle medizinischen Autoritäten stimmen darin überein, daß verseuchtes Wasser Krankheiten verursacht! Und ein römischer Amtsarzt ist nun einmal dafür da, für die öffentliche Gesundheit zu sorgen.«
»Du bist kein römischer Amtsarzt!« fuhr mich Frithigern an.
»Geh jetzt ins Hospital zurück und kümmere dich um die Kranken!«
Ich starrte ihn einen Augenblick lang an, erkannte, daß ich nichts erreichen konnte und verbeugte mich steif. »Wenn du schon nicht in der Lage bist, mir zu helfen, vortrefflicher Frithigern«, sagte ich bitter, »könntest du dann einige deiner Leute, die auf Beutezüge gehen, nicht vielleicht bitten, nach Heilkräutern Ausschau zu halten? Edico hat mir gesagt, ihm seien eine ganze Menge ausgegangen. Ich könnte Zeichnungen von den Kräutern anfertigen, die wir am dringendsten benötigen.«
»Edico hat schon von Anfang an um Arzneimittel gebeten. Aber meine Männer sind nicht daran interessiert, irgendwelche Wurzeln auszugraben oder Beeren zu pflücken, wenn sie sich auf Beutezügen befinden. Du wirst mit dem auskommen müssen, was zur Verfügung steht.«
Ich biß die Zähne zusammen. »Nun gut, vortrefflicher Frithigern. Wenn du deine Männer nicht in der Hand hast und sie nicht dazu bewegen kannst, Abwasserkanäle zu bauen oder nach Heilkräutern Ausschau zu halten, dann werde ich eben jemanden um Hilfe bitten müssen, der vom Geschäft des Herrschens etwas mehr versteht als du!«
Er wurde rot und sprang von seiner Ruhebank auf. »Was willst du damit sagen?«
»Ich werde mit deiner Frau sprechen, edler Frithigern! Ich wünsche dir alles Gute!«
Und ich verbeugte mich und ging hinaus und hoffte, Amalberga werde mich anhören.
Sie tat es, Gott segne sie. Ich ging direkt zu ihr und erklärte ihr die Notwendigkeit von Abwasserkanälen, und sie verstand mich sofort. Ihr war bereits aufgefallen, daß eine Menge Leute um sie herum magenkrank waren, doch sie hatte nicht gewußt, woran dies lag. »Ist das wirklich der Grund dafür?« fragte sie. »Die Latrinen? Ich dachte, es sei die Luft oder das Wasser.«
»Es ist das Wasser«, sagte ich und zitierte meine medizinischen Autoritäten, bis sie abwehrend beide Hände hob und mich bat, aufzuhören.