»Du hast keine Zeit mit Trübsinnblasen vergeudet, scheint mir«, sagte sie und lächelte.
Ich zuckte die Achseln. »Das Problem ist schließlich äußerst dringend.« Aber erst jetzt wurde mir klar, daß ich überhaupt nicht anders reagierte als früher, als jedermann mich für einen Eunuchen gehalten hatte. Und ich hatte mich ja auch nicht verändert; nur was die anderen von mir wußten, hatte sich geändert. Was die anderen von einem wissen, ist allerdings ungeheuer wichtig, und es kann sogar einen selbst verändern; das könnte auch bei mir noch passieren.
»Nun gut, wir werden also Abwasserkanäle bauen müssen«, sagte Amalberga. »Weißt du, wie man so etwas macht?«
Ich erläuterte ihr den Plan, den ich Frithigern unterbreitet hatte, und zählte dann Frithigerns sämtliche Einwände auf. Sie sah mich kleinlaut an. »Und du hast dich deswegen bereits mit ihm gestritten? Ach du liebe Güte! Ich hoffe, du hast ihn nicht beleidigt. Es wird alles sehr viel schwieriger, wenn er erst mal verärgert ist.«
»Er behauptete immer wieder, seine Männer würden dies oder jenes nicht tun. Ich habe ihm gesagt, ich würde mit dir sprechen, weil du sie besser in der Hand hättest als er.«
Sie starrte mich an, dann ließ sie ein leises glucksendes Lachen hören. »O Gott! Ich hoffe, es war sonst niemand zugegen! War es eine Privataudienz? Dann dürfte es nicht allzu schlimm sein. Ich kann so tun, als sei deine Bemerkung ein Scherz gewesen. Nun, jetzt muß ich ja wohl etwas unternehmen. Was brauchen wir? Freiheit und Geld für ein paar römische Sklaven, um das System zu entwerfen. Arbeiter zum Graben – ich glaube, die Frauen und Haussklaven sollten dazu in der Lage sein. Die Soldaten werden niemals einwilligen, Abwasserkanäle zu graben. Du hättest gleich zu mir kommen sollen. Mein Gemahl kümmert sich in erster Linie um den Krieg, in zweiter Linie um die Vorräte, und dann spricht er noch Recht. Diese kleinen Probleme in Haus und Lager sind Sache der Frauen und Sklaven.«
Ich machte ihr klar, daß eine große Epidemie wohl kaum ein »kleines Problem« wäre.
Amalberga lächelte. »Nein, aber für gewöhnlich ist es schon so… Wir sind solche großen Lager, solche großen Städte nicht gewohnt. Wir haben so etwas noch nie gebaut. O ja, ich werde meinem Gemahl erzählen, daß er im Begriff ist, eine große Stadt zu gründen, so wie einst Konstantin und Alexander. Das wird ihn dazu bewegen, diesem Problem mehr Aufmerksamkeit zu widmen.«
»Frithigernopolis?« fragte ich mürrisch.
Amalberga lachte. »Ist das wirklich ein soviel törichterer Name als Hadrianopolis? Aber ich denke, wir werden die Stadt nach wie vor einfach Carragines nennen; auch wenn wir über eine öffentliche Kanalisation verfügen, werden wir nicht lange hier leben. Wenn wir Glück haben, wird man uns anderswo eigenen Grund und Boden zuteilen, und wenn nicht…« Sie machte eine Pause, ihr Blick schweifte unwillkürlich zu ihrem kleinen Sohn, der in einer Ecke des Zimmers saß und mit einem Holzpferdchen spielte. »Wenn nicht, wird die Stadt sowieso nicht überdauern.« Sie sah das Kind einen Augenblick lang besorgt an, so als brenne die Stadt bereits, dann seufzte sie. »Aber das ist im Augenblick nicht so wichtig. Was brauchen wir sonst noch für die Abwassergräben?«
Amalberga sprach mit ihrem Mann, sprach mit den Damen ihres Gefolges und deren Ehemännern, und innerhalb einer Woche schaffte sie es, daß die Arbeiten an der Kanalisation begonnen wurden. Inzwischen war es wärmer geworden, und wir befanden uns mitten in einer Epidemie, aber es gelang uns, sie mit harter Arbeit und strikter Quarantäne unter Kontrolle zu bringen. Wir gaben strenge Anweisung, jeder müsse sein Trinkwasser abkochen. Mit dieser und ähnlichen Maßnahmen kamen wir mühsam durch, bis ein paar Wochen später die Abwasserkanäle fertiggestellt waren. Dann wurden die Probleme, wie vorhergesagt, geringer, und die Goten waren von meiner Weitsicht und von der Klugheit des Hippokrates enorm beeindruckt.
Noch wichtiger aber war es, daß die Königin mehrere der gotischen Anführer dazu überreden konnte, ihre Soldaten auf den Beutezügen nach Heilkräutern suchen zu lassen. Auf diese Weise konnten wir einen ausreichenden, wenn auch unregelmäßig hereinkommenden Vorrat von unentbehrlichen Arzneimitteln wie Alraun und Nieswurz anlegen – obwohl wir ohne Opium auskommen mußten. Edico war überrascht.
»Ich habe seit Monaten versucht, jemanden dazu zu bewegen, nach diesen Kräutern Ausschau zu halten«, erzählte er mir. Im Verlaufe der Epidemie hatten wir wieder zu unserer früheren Partnerschaft gefunden. »Ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich Frithigern deswegen angesprochen habe.«
»Was solche Dinge anbetrifft, kannst du Frithigern vergessen«, meinte ich selbstgefällig. »Laß mich nur mit Amalberga reden. Du kannst dich auf die natürliche Überlegenheit der Frauen verlassen.«
Edico schnaubte verächtlich. »Ich bin froh, daß es nicht ›die Frauen‹ sind, sondern nur du und Amalberga. Sonst würden wir Männer den Haushalt führen und uns um die Säuglinge kümmern, und die Frauen würden die Welt regieren.«
»Das können wir euch doch gar nicht überlassen«, erwiderte ich. »Ihr verursacht ein solches heilloses Durcheinander beim Regieren, daß wir euch die Säuglinge nun wirklich nicht auch noch anvertrauen können. Das wäre das Ende der Menschheit.«
»Ich glaube, als Eunuch warst du mir lieber«, meinte Edico, und wir lachten alle beide.
16
Das ganze Frühjahr hindurch arbeitete ich hart und kümmerte mich um die Kranken von Carragines. Die meisten Verwundeten überließ ich Edico. Dies geschah zum Teil deswegen, weil er jetzt der ranghöhere Arzt war und aus diesem Grunde die angeseheneren Patienten übernahm, teils weil man es für schicklicher hielt, wenn eine Frau Frauen und Kinder als Patienten hatte, teils aber auch, weil ich die Verwundeten nicht pflegen wollte. Mir behagte der Gedanke gar nicht, Männer gesund zu machen, die, sobald es ihnen besser ging, losziehen und Soldaten meines eigenen Volkes töten würden. Frauen, Kinder, Sklaven, die Alten und die Schwachen – ich hatte nichts dagegen, diesen Menschen zu helfen, selbst wenn sie zum Feind gehörten. Ich hatte mich inzwischen mit meiner neuen Stellung abgefunden und dachte nicht mehr an Flucht. Nach den ersten paar Wochen verschwanden mein Umhang und meine Schuhe auch nicht mehr jede Nacht, und ich hätte aus dem Lager schlüpfen können – nur, wohin hätte ich mich wenden sollen? Salices war nicht weit, aber durch die römischen Sklaven, die den Goten entkamen, und die gotischen Sklaven, die den Römern entkamen, verbreiteten sich Neuigkeiten in Thrazien schnell. Wahrscheinlich wußten inzwischen sämtliche Soldaten Skythiens, daß Chariton von Ephesus in Wirklichkeit eine Frau war, so daß mich unter den Römern nichts als Schande erwartete. Vielleicht wußten sie sogar noch mehr: nämlich daß Chariton von Ephesus in Wirklichkeit Charis war, die Tochter des Theodoros, etwas, was ich den Goten noch nicht erzählt hatte. Es hing davon ab, was Athanaric entdeckt und wem er es erzählt hatte. Ich hoffte, daß er entweder nichts entdeckt oder aber nichts ausgeplaudert hatte, denn ich wollte nicht, daß Frithigern erfuhr, daß der Statthalter von Skythien mein Bruder war. Es war schlimm genug, eine Gefangene zu sein; ich wollte nicht auch noch eine Geisel sein. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, daß der König mir etwas antun würde, aber er könnte Thorion zumindest damit drohen, und daraus würde nur Ärger entstehen.
Mit Amalberga und den Edelfrauen aus ihrem Gefolge sowie mit den Pflegern im Hospital und einigen der Patienten kam ich gut zurecht – obwohl es zu viele gab, um einen von ihnen wirklich gut kennenzulernen. Ich mußte die ganze Zeit über gotisch sprechen und kam inzwischen schon besser damit zurecht; nach etwa einem Monat unterhielt ich mich sogar mit Amalberga und Edico auf gotisch. Ich vermißte meine Freunde und dachte an sie, wenn ich einmal Zeit hatte. Ich hatte jedoch keinerlei Möglichkeit, mit ihnen in Verbindung zu treten, und war so beschäftigt, daß mir die Welt außerhalb von Carragines allmählich unwirklich erschien. Ich hörte einige Neuigkeiten über Sebastianus: Die Goten sprachen viel davon, was die römischen Befehlshaber taten. Obwohl keiner von ihnen viel mehr tun konnte, als auf Verstärkung zu warten.