»Er hat deinen Bruder darum gebeten, einen Ehevertrag aufzusetzen, und dein Bruder ist einverstanden.« Ich starrte ihn fassungslos an.
»Verstehst du das nicht?« fragte er. »Du warst doch in Marcianopolis dabei, als er seine Vorstellung von einer vollkommenen Frau entwickelte. Es muß dir doch klar gewesen sein, daß die Beschreibung auf dich zutrifft. Einen Tag, nachdem ich ihm erzählt hatte, wer du wirklich bist, sagte er zu mir, er wolle dich heiraten. ›Ich werde kein zweites Mal einer solchen Frau begegnen‹, sagte er.«
»Aber… aber seine Familie ist doch sicherlich von höherem Rang als die meine, und ich glaube nicht, daß meine Mitgift so besonders hoch ist.«
»Tausend Pfund in Gold wären genug. Aber im Grunde genommen ist Sebastianus bereit, die Mitgift für das Lösegeld auszugeben und den Vertrag ohne Billigung seines Vaters abzuschließen. Deine Familie ist genausogut wie seine – von konsularischem Rang. Und er möchte dich heiraten.«
»Aber warum? Das halbe Kaiserreich zerreißt sich über mich die Zunge.«
»Mein Gott nochmal! Was möchtest du denn, was ich dir darauf antworte? Daß er dich will, weil du intelligent, gebildet, edel, reich, mutig, tugendhaft und sehr hübsch bist? Daß er all dies mir gegenüber erwähnt hat? Du bist es doch, die ihm das alles vor Augen geführt hat. Du weißt doch ganz genau, daß er so denkt; warum mußt du es denn unbedingt von mir hören?« Ich saß dort im Halbdunkel unter dem Wagen und starrte Athanaric einen Augenblick lang an, dann schüttelte ich den Kopf. Plötzlich verspürte ich den heftigen Wunsch zu weinen, und ich preßte die Hand gegen den Mund, um mich daran zu hindern. »Ich weiß, daß ich intelligent bin«, sagte ich nach einer Pause. »Aber ich wollte nicht… das heißt… oh, heiliger Christ!« Ich biß in den Ärmel meiner Tunika, aber es half nichts: Mir kamen die Tränen. Ich war sehr müde von der harten Arbeit und all dem Ärger und der Warterei, und plötzlich schien ich es nicht ertragen zu können, daß Athanaric ärgerlich war und mich indirekt beschuldigte, Sebastianus verführt zu haben.
Er sah mich überrascht an. »Ich dachte…« begann er. »Du freust dich doch darüber, oder etwa nicht? Du bist doch in ihn verliebt?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Aber… aber wen hast du denn damals in Tomis gemeint? Du hast gesagt, daß du in jemanden verliebt bist. Ich dachte…«
»Laß nur«, entgegnete ich. Wenn er nicht von selbst darauf kam, würde ich es ihm nicht erzählen; ich würde mich nur lächerlich machen. Wenn er auch nur halb soviel empfand wie ich, sagte ich mir, wüßte er es. »Ich mag Sebastianus sehr gerne, aber ich bin nun einmal nicht in ihn verliebt. Und ich bin mir nicht sicher, ob es klug von ihm ist, mich heiraten zu wollen. Inzwischen kann ich mir wirklich nicht mehr vorstellen, mich mit einem Mann irgendwo als würdige Ehefrau niederzulassen.«
»Ich dachte mir, du könntest deine Mitgift dazu benutzen, ein privates Hospital zu gründen«, meinte Athanaric – ein aufregend einfacher und naheliegender Vorschlag, der mir den Atem nahm.
»Würde Sebastianus das denn billigen?«
»Ich weiß nicht«, antwortete er ehrlich. »Aber wen hast du denn damals gemeint? Jemanden in Ägypten – diesen Burschen Philon?«
»Laß nur! Nein, natürlich nicht Philon. Das Ärgerliche an dir ist, daß du immer alles wissen willst, du kannst niemals etwas auf sich beruhen lassen. Wann bist du eigentlich zuerst darauf gekommen, die Wahrheit über mich zu erraten? Schon vor meiner Gefangennahme?«
Zwei von Frithigerns Männern rannten am Brunnen vorbei und hämmerten an die Wagentür meiner Patientin. Athanaric zog mich weiter in den Schatten zurück. »Die Suche hat begonnen«, sagte er. »Ich denke, wir sollten die Diskussion darüber, warum ich das Offensichtliche nicht früher entdeckt habe, bis zum nächsten Mal verschieben.«
»Wird es ein nächstes Mal geben?«
»Bei Gott, ich hoffe doch. Obwohl ich nicht weiß, wann ich wieder aus Ägypten weg darf. Vielleicht gelingt es Sebastianus, dich vorher rauszuholen. Doch was auch immer geschieht, laß dich von niemandem heiraten. Es würde alles nur viel komplizierter machen, dich hier rauszuholen. Und es würde Sebastianus mehr als alles auf der Welt verletzen. Kannst du ihm eine Botschaft übermitteln, selbst wenn du nicht in ihn verliebt bist?«
»Sag ihm, daß mich sein Angebot sehr ehrt und ich sehr dankbar dafür bin, die Klugheit dieses Entschlusses jedoch bezweifle. Und sag ihm, daß es mir gutgeht. Erzähl das auch Thorion und bitte ihn, er soll sich keine Sorgen machen, wenigstens klagt mich hier niemand der Zauberei an. Ich muß gehen; ich kann es nicht zulassen, daß diese Männer meine Patientin aufregen. Liebster Freund, ich wünsche dir alles Gute!« Er ergriff meine Hand, sah mir ins Gesicht und runzelte die Stirn. Ich hörte, wie im Wagen meiner Patientin Leute zu rufen anfingen. Dann schrie das Baby. Ich konnte nicht anders, ich beugte mich vor und gab Athanaric ganz rasch einen Kuß – ein gestohlenes Vergnügen! –, dann riß ich mich von ihm los, glitt unter dem Wagen hervor und lief los, um meiner Patientin zu Hilfe zu kommen. Als ich danach mit den Wachen herauskam, warf ich rasch einen Blick unter den Wagen, doch Athanaric war fort.
20
Das folgende Jahr war das schlimmste meines Lebens.
Selbst nachdem Athanaric fort war, wurde ich dauernd bewacht. Jede Nacht wurden mir meine Kleider weggenommen und nicht vor dem nächsten Morgen wiedergegeben. Ich wurde direkt zum Hospital geführt und dort ununterbrochen beaufsichtigt. Man verbot mir, römische Patienten zu behandeln. Aus Protest dagegen weigerte ich mich strikt, auch nur einen einzigen gotischen Krieger zu behandeln, doch dies zeigte keine große Wirkung, da es andere gab, die dazu bereit waren. Nur um die römischen Sklaven kümmerte sich niemand. Es brach mir das Herz, überall im Lager auf sie zu treffen: Sie waren krank und leidend, und ich konnte ihnen nicht helfen. Ich hätte vielleicht sogar eingewilligt, einen Goten zu heiraten, falls man mir versprochen hätte, Römer behandeln zu dürfen – doch Amalberga wiederholte nur immer wieder, ein derartiges Versprechen müsse meinem Ehemann überlassen bleiben.
Und jedermann redete und redete wegen dieser Ehe auf mich ein. Nach meinen blutdürstigen Erklärungen wollte mich niemand gegen meinen Willen heiraten, doch eine ganze Anzahl gotischer Anführer war der Meinung, sie könnten mich dazu bewegen, meine Meinung zu ändern. Anfangs war ich überrascht, daß ich überhaupt interessant für sie war; immerhin gab es wenige Römer, die mich, eine Fortgelaufene ohne Mitgift, wollten. Doch ich machte die Erfahrung, daß nichts so sehr Aufmerksamkeit erregt wie eine skandalumwitterte Berühmtheit. Für einen jungen gotischen Edelmann, der sich einen Namen machen wollte, stellte ich eine glänzende Gelegenheit dar: Die Frau zu heiraten, die Festinus Schande bereitet hatte, würde ihm den Ruhm auf dem Servierteller einbringen. Außerdem erwarteten sie in der Mehrzahl, daß meine Familie, wenn ich erst einmal verheiratet war, nachgeben und für eine Mitgift sorgen würde. Ich wurde also in regelmäßigen Zeitabständen mit dem einen oder anderen dieser Edelleute alleine gelassen, und sie mühten sich ab, sich mit mir zu unterhalten oder mich ins Bett zu zerren, oder auch alles beides, während ich mich ihrer so höflich wie irgend möglich erwehrte. Ich mußte höflich sein, da ich es nicht wagte, solche mächtigen Männer ernsthaft zu beleidigen. Doch sie fühlten sich zu keinerlei Höflichkeit verpflichtet; sie waren der Ansicht, daß sie mich genügend ehrten, wenn sie mir die Ehe anboten. Einige von ihnen wahrten die gesellschaftlichen Manieren, andere jedoch nicht, und ich benötigte meine fünf Sinne und eine entschlossene Hand, um mit ihnen fertig zu werden. Das alles wäre sicher sehr komisch gewesen, wenn ich nicht solche Angst gehabt hätte und wenn mir nicht jedesmal so elend zumute gewesen wäre, sobald ich noch einmal davongekommen war. Und trotz allem waren sie natürlich beleidigt. Mit der Zeit entwickelte ich ein beträchtliches Mitgefühl für Penelope von Ithaka, die eine derartige Situation zehn Jahre lang ausgehalten hatte – aber keiner der Goten hatte je von ihr gehört, und keiner würde mit mir zusammen darüber lachen. All die edlen Frauen schwärmten mir gegenüber immer und immer wieder von dem Mut und der Tapferkeit und der Mannestugend von Munderich oder Levila oder Lagriman oder einem anderen jener ungebildeten, schwertrasselnden Barbaren, der mich gerade ins Auge gefaßt hatte, bis mir schon beim Klang des Gotischen ganz übel wurde und ich mir wünschte, ich hätte Festinus geheiratet und es damit hinter mich gebracht.