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Eines Nachts, nachdem ich mehrere Wochen lang krank gelegen hatte, ohne auf die Behandlung anzusprechen, wachte ich auf und sah, wie Athanasios an meinem Bett stand. Er war gekleidet wie damals, als er starb, in einer leinenen Tunika und mit einem Umhang aus altem Schafsfell. Nach seinem Tode hatten ihm die Gefolgsleute seine besten Gewänder aus Brokat und golddurchwirkten Stoffen angezogen, aber er zog immer die einfachen Sachen vor. Ich richtete mich auf, mein dumpfer Kopf war mit einemmal ganz klar. »Hochwürden«, fragte ich, »bist du den ganzen Weg aus Ägypten hierhergekommen?« Er lächelte und schüttelte den Kopf: »Nein, nicht aus Ägypten.« Es war schön, seine Stimme zu hören, den singenden Tonfall und die sorgfältig gesetzten, griechischen Worte.

»Charis, meine Liebe, ich habe dir gesagt, du würdest heiraten, doch es sieht so aus, als hättest du dich entschlossen, mich zu widerlegen.«

»Fang doch nicht auch wieder damit an«, sagte ich. »Das macht mich noch ganz krank. Ich dachte, du schätzt die Ehe nicht.«

Er lächelte erneut. »Auch ich habe Fehler gemacht, wenn auch kleine im Vergleich zu den großen, die in der Welt gemacht worden sind. Die Ehe sollte kein Mittel sein, Eigentum zu erlangen oder Macht zu gewinnen oder Frauen zu unterwerfen. Weil sie all das ist, willst du nichts von ihr hören, und ich kann dich deswegen nicht tadeln.«

»Ich dachte, daß du sie nicht schätzt, weil sie mit Begierde einhergeht.« Er lachte. »Von dort aus, wo ich herkomme, sieht die Begierde völlig anders aus. Die Welt ist ein dunkler Ort, und nichts in ihr ist ewig und fehlerlos. Weder die Begierde noch das Kaiserreich noch die Goten. Und sie werden alle miteinander nicht überdauern.«

»Nicht einmal das Kaiserreich?« fragte ich.

»Weil etwas lange Zeit überdauert hat, muß es noch lange nicht ewig sein«, erwiderte er freundlich.

»Ich bin der Welt so überdrüssig«, sagte ich und war nahe daran zu verzweifeln.

»Du, die du so viele Menschen in ihr festgehalten hast?«

Das ging mir immer noch nahe. »Es ist nichts Schlechtes daran, Menschen zu heilen!«

Er lächelte erneut und berührte meine Stirn. »Ich wünschte, du liebtest Gott ebenso wie Hippokrates. Doch ›jede gute und vollkommene Gabe kommt vom Vater des Lichts‹, und wenn du sie nur weit genug zurückverfolgst, wird sie dich vielleicht zu seiner Quelle führen. Gott erschuf die Welt und drückte uns seinen Stempel auf, und wir haben ihn nie ganz auslöschen können. Ja, es ist gut, zu heilen. Gott heilt. Und du mußt noch mehr Menschen heilen, bevor du gehst.«

»Aber ich bin so müde!« protestierte ich.

»Dann ruh dich aus.« Die strahlenden dunklen Augen sahen mich an, intensiv, zärtlich, drängend. Selbst seine Hand fühlte sich kühl an, als er mich freundlich in die Kissen zurückdrückte. Ich legte mich hin, und die Kühle breitete sich aus. Ich schloß die Augen und fühlte, wie die Erde unter mir wie Wasser hin und her schwankte. Wie eine Wiege, die im Rhythmus meines Herzens schaukelte.

Ich schlief ein, und als ich aufwachte, war es Tag, und das Licht fiel schräg durch die Fensterläden und warf ein goldenes Gitter auf das Fußende des Bettes. Mein Kopf und mein Magen taten mir immer noch weh, und ich fühlte mich äußerst schwach, aber ich wußte, daß mein Fieber gesunken war und daß ich am Leben bleiben würde. Ich lag auf der Seite und starrte auf die Stelle, an der Athanasios gestanden hatte. Einen Augenblick später öffnete sich die Tür und Edico und Amalberga kamen herein.

»Sie ist wach!« rief Edico aufgeregt. Er eilte an mein Bett, prüfte meinen Puls und fühlte meine Stirn.

»Das Fieber ist gesunken«, sagte ich zu ihm. »Hast du ihn gesehen?«

Edico sah mich verständnislos an. »Wen?«

Ich seufzte und legte eine Hand über die Augen; die Hand fühlte sich sehr schwer an, und meine Augen taten mir weh. Es bedeutete eine zu große Anstrengung, zu entscheiden, ob ich eine Vision, einen Besuch oder einen Traum gehabt hatte. Aber es war ein Trost gewesen. Ob er nun dagewesen war oder nicht, ich war froh, jemanden aus den glücklichen alten Tagen in Alexandria gesehen zu haben.

»Möchtest du etwas zu trinken?« fragte Edico eifrig. »Vielleicht etwas klare Brühe?«

Ich sah zuerst ihn an, dann Amalberga. »Darf ich Römer behandeln, falls ich mich erhole?« fragte ich sie.

Sie wurde blaß und setzte sich auf die Kante meines Bettes.

»Wenn wir doch nur alle tun könnten, was wir wollten!« sagte sie plötzlich und rang die Hände. »Ich schwöre, daß ich die Römer niemals gehaßt habe, nicht einmal, nachdem sie uns so übel mitgespielt hatten. Und trotzdem sind sie unsere Feinde, und die Hunnen, die ich gehaßt habe, sind unsere Verbündeten, und wir sind an diesen Krieg gefesselt wie ein Sklave an die Folterbank!«

»Ich habe die Goten niemals gehaßt«, erwiderte ich mit schwacher Stimme. »Aber jetzt wünsche ich, ich wäre weit fort von hier. Ich würde lieber sterben, als so weiterzumachen wie bisher.« Und mir wurde klar, daß ich gerne mit Athanaric verheiratet gewesen wäre und ein Privathospital geleitet hätte. Es war das erstemal, daß ich derartige Gedanken so klar und präzise faßte, und ich war so überrascht, daß ich vergaß, was ich eigentlich sagen wollte.

»Ich kann dich nicht fortlassen«, sagte Amalberga betrübt.

»Der Krieg nimmt einen schlechten Verlauf, und es könnte sein, daß wir…« sie hielt inne und sah mich unglücklich an. Die Goten könnten dazu gezwungen sein, mich zu verkaufen, um sich selbst zu retten, hatte sie wohl sagen wollen. Und selbst wenn sie es nicht taten, konnte ich mir von ihnen auf keinen Fall die Freiheit erhoffen. Frithigern war stolz auf eine so berühmte Gefangene, und außerdem war ich als Ärztin immer noch sehr nützlich. »Es tut mir leid«, fuhr Amalberga nach einer kurzen Pause fort. »Ich will nicht, daß wir Feinde sind. Ich werde darum bitten, daß man dir erlaubt, Römer zu behandeln. Und ich kann weitere Freier von dir fernhalten – sie müssen jetzt sowieso alle in den Süden. Aber mehr kann ich nicht für dich tun.«

»Wenn du mich etwas für mein eigenes Volk tun läßt, dann genügt das«, entgegnete ich. »Ja, ich hätte gerne etwas klare Brühe. Und vielleicht ein wenig mit Honig gesüßten Wein.«

Es dauerte noch ein paar Wochen, ehe es mir gut genug ging, um Patienten zu behandeln, und als ich wieder auf den Beinen war, schien sich niemand so furchtbar für mich zu interessieren: Es gab zuviel anderes, worüber man sich Sorgen machen mußte. Frithigern war mit fast allen Soldaten in den Süden gezogen und hatte Carragines unter leichter Bewachung und der Befehlsgewalt von Amalberga zurückgelassen. Edico und die meisten der Pfleger des Hospitals waren mit ihm gezogen. Inoffiziell war mir zusammen mit ein paar Hebammen und weisen Frauen die Verantwortung für die Gesundheit der Lagerbewohner übertragen worden. Mir wurde zwar nicht wirklich vertraut, und ich stand nach wie vor unter dauernder Bewachung, aber im Grunde genommen gab es sonst niemanden, dem man die Verantwortung hätte aufbürden können.

Kaiser Augustus Valens hatte einen Friedensvertrag mit Persien abgeschlossen, und es hieß, er eile nach Konstantinopel und sammle unterwegs Soldaten um sich. Man erzählte sich, der Augustus des Westreichs, Gratianus, habe die Alemannen in Gallien besiegt und ziehe mit den gallischen Legionen ostwärts, bereit, die Goten anzugreifen. Die bereits in Thrazien stationierten Truppen hatten einen neuen Befehlshaber: Sebastianus’ Vater, den früheren Heerführer in Illyrien. Er war ein äußerst energischer und geschickt operierender General, und er wurde seinem hervorragenden Ruf schnell gerecht. Kaum angekommen, gelang es ihm, einem ungewöhnlich großen Trupp Goten, der sich auf einem Beutezug befand, einen Hinterhalt zu legen und ihn zu vernichten. Frithigern war deswegen derart beunruhigt, daß er die übrigen Stoßtrupps zurückzog – und zwar nicht nach Carragines, sondern in eine weiter südlich gelegene Stadt namens Kabyle. Die Männer waren nicht gerade erpicht darauf, noch einmal nördlich der Berge eingeschlossen zu werden. Sie sammelten sich – Terwingen, Greuthungen, Alanen und Hunnen und erwarteten die Römer.