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Aber Vater war der Hausherr, nicht Thorion. Und bei einer gemischten Abendgesellschaft wurde von mir erwartet, anwesend zu sein.

An dem Tag der Abendgesellschaft fühlte ich mich elend und unbehaglich. Ich hatte Festinus seit dem Tag, an dem er seine Anschuldigungen gegen Vater vorbrachte, nur noch von weitem gesehen und hatte ganz einfach Angst vor ihm, um so mehr, als ich ihn nicht verstand. Ich war mir ziemlich sicher, daß er mit seinem Verhalten uns und anderen gegenüber einzig und allein den Kaiser beeindrucken wollte. Außerdem machte es ihm ganz einfach Spaß, seine Macht über Männer von Rang zu demonstrieren. Aber die Grausamkeit, mit der er Maia und Philoxenos und all die übrigen foltern und so viele andere töten ließ – diese Grausamkeit verstand ich nicht. Seine Beweggründe schienen unerklärlich, gegen die Vernunft, kaum mit menschlichem Maß zu messen. Ich konnte nicht wirklich glauben, daß er auch nur das geringste Interesse an mir hatte, nicht einmal in meiner Eigenschaft als ein vornehmes junges Mädchen aus Ephesus, das für eine Heirat in Frage kam. Aber eigentlich wußte er überhaupt nichts von mir: Er hatte ja nur die angemalte Puppe im Spiegel gesehen.

Ich hatte an jenem Tag einige Unterrichtsstunden, aber es war nur etwas von Euripides dran. Hippokrates hatten wir fürs erste beiseite gelegt. Ischyras mochte Euripides nicht besonders: Sein Stil war ihm nicht erhaben genug. Wir waren bei der Lektüre alle beide nicht so ganz bei der Sache, und schließlich gab er mir früher frei. Ich ging zu den Pferdeställen hinunter. Philoxenos erlaubte mir, mich um eine Stute zu kümmern, die einen entzündeten Huf hatte. Ich behandelte die Verletzung mit heißen Kompressen, wusch sie vorschriftsmäßig mit abgekochtem Wasser und einer reinigenden Lösung aus Essig und Zedernöl aus, und schon bald schien die Behandlung Wirkung zu zeigen. Dann mußte ich noch nach einem kranken Kaninchen sehen, doch ich konnte nicht feststellen, was ihm fehlte, außer daß es ihm schlechter zu gehen schien.

Am späten Nachmittag kam Maia und holte mich. Ich kniete gerade im Stroh und reinigte den Huf der Stute, meinen Umhang hatte ich über die Stalltür gehängt. Ich betupfte den Huf mit der Lösung und benutzte dazu einen Leinenstreifen, den ich um eines meiner kosmetischen Instrumente gewickelt hatte. Dann lehnte ich mich ein wenig auf meine Fersen zurück und prüfte die eitrige Masse auf dem Gewebe. Sie war hell und roch nicht allzu übeclass="underline" ein gutes Zeichen. Ich drehte mich um und entdeckte Maia, die dastand und mich beobachtete. »Oh«, machte ich.

Maia warf ihre Arme nicht zum Himmel und brach auch nicht in spitze Entsetzensschreie aus, wie sie es für gewöhnlich tat.

»Schade, daß du heute abend nicht so erscheinen kannst«, meinte sie statt dessen. »Das würde Festinus von dir heilen: Du siehst aus wie ein Stallbursche! Aber ich kann die Tochter meines Gebieters leider nicht so zu einer Gesellschaft gehen lassen. Komm mit!«

»Laß mich nur schnell noch diesen Huf verbinden«, bat ich inständig, und Maia lächelte tatsächlich und nickte ihr Einverständnis. Ich verband den Huf, klopfte der Stute beruhigend auf den Rücken und ging ins Haus zurück. Ein Bad nehmen, Locken brennen, parfümieren, Gesicht schminken, anziehen – was für eine Zeitverschwendung ist doch das Leben einer jungen Dame! Zum Schluß konnte ich wieder einmal »die anmutigste Dame von Ephesus« im Spiegel bewundern, und sie schien mir törichter und mir selbst unähnlicher als je zuvor. Diesmal wenigstens schien auch Maia nicht allzu zufrieden mit mir zu sein.

Weil es eine kleine, ungezwungene Gesellschaft war, wurde das Essen nicht im großen Kuppelsaal, sondern im Wagenlenkerzimmer gegeben. An den Wänden wurden Lampenständer angebracht, in denen ein süß riechendes, mit duftender Myrrhe versetztes Öl brannte. Auf dem Fußboden und auf dem Tisch aus Zitronenbaumholz waren Rosen verstreut. Der Schein der Lampen tauchte die prächtigen Wandteppiche und das silberne Eßgeschirr in ein sanftes Licht. Es verlieh den Wandbildern eine zusätzliche Tiefe, und es hatte fast den Anschein, als bewege sich der Streitwagen auf dem Mosaikfußboden. Der gesamte Raum zeugte von Reichtum und Kultur, und als die Sklaven Festinus hereinführten, sah er sich anerkennend um. Vier Ruhebänke standen rund um den Tisch herum: eine für Vater, eine für Pythion und seine Frau, eine für Thorion und mich und eine für Festinus. Vater hatte als Gastgeber Anspruch auf den höchsten Platz, Festinus lagerte zu seiner Rechten und Pythion zu seiner Linken; Thorion und ich teilten uns die Ruhebank am unteren Ende.

Festinus hatte Vater ein Geschenk mitgebracht, ein reich verziertes korinthisches Kelchglas mit der Abbildung eines Streitwagens. Vater drückte sein Entzücken darüber aus, und wir lehnten uns alle auf unseren Plätzen zurück. Festinus sah mich immer wieder an, doch ich schlug meine Augen bescheiden zu Boden, und Thorion sorgte dafür, daß er den Platz gegenüber vom Statthalter einnahm, so daß Festinus im Grunde genommen nicht viel mehr als meine Haare zu sehen bekam. Die Sklaven brachten die ersten Gerichte herein: gekochte Eier, in Wein und Fischsoße eingelegten Lauch, süßsaure Erbsensuppe. Und sie füllten die Trinkgefäße aus grünem Glas mit honigsüßem Weißwein, der frisch aus dem Keller gebracht worden war.

»Ausgezeichnet«, sagte Festinus und hob seine Hand in einer Geste der Bewunderung. »Das mag ich so an Asien: Die Menschen hier verstehen zu leben. In Rom stopfen sie sich den Magen entweder mit völlig zerkochten Leckerbissen voll und trinken viel zuviel, so daß sie krank davon werden, oder sie leben wie die Bauern von Brot und Wasser. Keine Mäßigung und kein Geschmack.« In diesem Tonfall schwadronierte er während des gesamten ersten Ganges, pries Ephesus und alles, was damit zusammenhing, so daß Vater und Pythion allmählich ihre Nervosität ablegten und ihre gewohnte freundliche Selbstgefälligkeit wiedererlangten. Nur Thorion blickte auch jetzt noch mißtrauisch um sich. Ich heftete den Blick nach wie vor zu Boden.

Während des zweiten Ganges (gegrillte, mit Asant gewürzte Seebarbe, Hühnchen auf parthische Art und Schweinebauch in Gurkenkraut) wandte sich das Gespräch der Literatur zu. Als Ehrengast rief Festinus nach den Sklaven, damit sie den Wein für den Hauptgang servierten. Vater hatte eine Amphore vorzüglichen Chianweines öffnen lassen. Festinus wies die Sklaven an, ihn so zu mischen, daß er nur ein Drittel Wasser enthielt. Das war stärker, als wir ihn für gewöhnlich tranken, und schon bald lachte Vater lauthals und zitierte Homer.

»Du bist ja tatsächlich ein Gelehrter, vorzüglicher und höchst gebildeter Theodoros«, sagte Festinus zu ihm. »Was ist mit deinen vortrefflichen Kindern? Ich bin sicher, daß ein kluger Mann seine Kinder nicht unwissend aufwachsen läßt, und ich bewundere stets, wenn die Jugend eine gute Erziehung genießt. Wie schon die Dichter sagen, ist sie eine dem Gold weit überlegene Zierde.«

»O gewiß«, erwiderte Vater. »Ich habe großen Wert auf die Erziehung meiner Kinder gelegt und einen äußerst klugen Hauslehrer für sie engagiert. Es handelt sich um Ischyras von Amida: Er kann das reinste Attisch schreiben und ist in allen Klassikern belesen. Außerdem glaube ich, daß meine Kinder nicht gerade faul sind. Mein Sohn Theodoros studiert jetzt die Rechte und Latein, so daß er Aussicht hat, bei Hof eine gute Stellung zu bekommen.«

»Eine kluge Entscheidung, junger Mann«, meinte Festinus beifällig. Thorion brummelte etwas vor sich hin und starrte in seinen Weinbecher. »Und deine Tochter?« fuhr Festinus fort.

»Manche Leute sagen, es sei unnötig, Frauen etwas beizubringen, aber ich war immer der Meinung, daß eine belesene Frau eine Zierde ihres Hauses ist.«

»Oh, Ischyras hat Charis die gleiche Aufmerksamkeit gewidmet wie ihrem Bruder Theodoros«, sagte Vater. »So halten wir es hier im Ostreich. Ich würde niemals eine Tochter ohne Kenntnisse von Homer aufwachsen lassen.«

»Großartig! Vielleicht könnte sie uns die Freude machen und uns etwas rezitieren? Viele der bedeutenden römischen Edelleute lassen während ihrer Festessen stets ein paar Verse rezitieren. Eine ausgezeichnete Sitte, finde ich.«