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»Du?« stieß ich etwas einfältig hervor. »Was tust du denn hier?«

»Athanaric brauchte jemanden, um die Pferde zu halten«, meinte Arbetio lächelnd. Dann verschwand das Lächeln, er machte einen Schritt zurück und sah mich an. Er machte keinerlei törichte Bemerkungen über meinen offensichtlichen Wechsel des Geschlechts, sondern sagte lediglich: »Aber du bist ja krank gewesen.«

»Das ist inzwischen schon ein paar Monate her. Ich werde schon reiten können – o verdammt!« Ich hatte nicht an den langen Rock gedacht, mit dem man unmöglich reiten konnte. Ich fühlte mich gedemütigt und starrte herunter auf den Boden.

»Zieh ihn einfach hoch«, meinte Athanaric, band eines der Pferde los und führte es zu mir. »Wir haben jetzt keine Zeit, deswegen etwas zu unternehmen. Sie müssen dein Verschwinden im Lager bereits bemerkt haben.«

»Sie werden zuerst drinnen suchen«, sagte ich und versuchte, in den Sattel zu klettern. Mein Fuß verfing sich im Rock. Arbetio bückte sich und bot mir seine Schulter an. Ich kletterte hinauf und versuchte, den Rock beiseite zu schieben. Athanaric schwang sich bereits auf sein eigenes Pferd, und Arbetio rannte zu dem dritten Tier, sprang in den Sattel und lächelte mir erneut zu. Athanaric preschte im Galopp davon, ritt quer über das Land in nordöstliche Richtung, preschte durch Flüsse und über felsiges Gelände, um die Goten in die Irre zu führen, falls sie den Versuch unternahmen, uns mit Hunden zu verfolgen. Ich war schon bald viel zu sehr damit beschäftigt, mich im Sattel zu halten, um an etwas anderes denken zu können.

Wir ritten stundenlang, bis es dunkel wurde und die Pferde zu müde waren, um den Weg fortzusetzen. Dann entdeckte Athanaric in einem Wald eine Stelle, die sich zum Übernachten eignete, und wir machten halt. Inzwischen war ich viel zu erschöpft, um irgendwelche Fragen zu stellen. Ich war seit einem Jahr nicht mehr geritten und hatte vor der Flucht den ganzen Tag schwer gearbeitet. Ich legte mich einfach in eine Mulde und zog meinen Umhang über mich. Einen Augenblick später weckte Arbetio mich und deutete auf ein Bett aus Farnkräutern, das er für mich bereitet hatte, und so wechselte ich hinüber und schlief sofort wieder ein.

Am nächsten Morgen, es dämmerte bereits, wachte ich auf. Der Wald roch lebendig, die Vögel sangen. Ich war über und über mit Mückenstichen bedeckt, meine Glieder taten mir vom vielen Reiten weh, aber ich fühlte mich großartig. Ich richtete mich auf. Die beiden waren bereits aufgestanden: Athanaric fütterte die Pferde, und Arbetio bereitete das Frühstück. Arbetio lächelte. »Gut geschlafen?« fragte er.

»Besser als seit vielen Monaten«, antwortete ich ehrlichen Herzens und stand auf – einigermaßen schwerfällig, da mir meine Muskeln weh taten und ich vom Reiten ein paar wundgeriebene Stellen hatte. Ich humpelte zu den beiden, um ihnen zu helfen, doch Arbetio händigte mir etwas Brot und einen Becher mit gewässertem Wein aus und meinte, ich solle mich ausruhen. »Du siehst nicht gut aus«, sagte er erneut. »Was haben die Goten in diesem verdammten Lager mit dir gemacht?«

Ich zuckte die Achseln. »Die meiste Zeit haben sie damit verbracht, mich zu verheiraten. Aber wie schon gesagt, ich war lange krank. Lieber Gott, es ist wunderbar, dich wiederzusehen. Aber wieso bist du hier? Ich dachte, du bist unentbehrlich in Novidunum.«

»Ich habe mir einfach ein paar Tage Urlaub genommen«, berichtete Arbetio fröhlich.

»Ich brauchte jemanden, dem ich vertrauen konnte«, warf Athanaric ein und gesellte sich zu uns. »Deshalb schrieb ich einen Brief und bat Arbetio um Hilfe.«

»Und du, wieso bist du hier? Ich dachte, du bist in Ägypten«, sagte ich. Er stand da, hielt den Zügel und sah mich mit einem Stirnrunzeln an. Die frühe Morgensonne sprenkelte sein Gesicht mit Lichttupfern.

»Ich habe mir ebenfalls Urlaub genommen«, erzählte er und setzte sich. Arbetio steckte ihm sein Stück Brot zu.

»Ist das nicht gefährlich? Du hast mir damals erzählt, die Behörden trauten den Goten nicht länger… Und wenn du deinen Posten in Ägypten verlassen hast, um nach Thrazien zu kommen…«

»Es wird mir schon nichts passieren, wenn ich mit dir zusammen zurückkomme. Du kannst für mich zeugen. Wenn ich ohne dich zurückkäme, würde man mich wahrscheinlich des Verrats bezichtigen. Aber ich bin nicht direkt aus Ägypten gekommen, lediglich aus Konstantinopel. Ich mußte dort eine Botschaft überbringen.«

»Ach, ihr beiden«, sagte ich und sah erneut von einem zum anderen. »Ich danke euch mehr, als ich überhaupt sagen kann. Ich glaube, ich wäre gestorben, falls ich noch einen weiteren Winter in Carragines hätte verbringen müssen.«

»Du siehst aus, als seist du bereits halb tot«, sagte Athanaric grob. »Du bestehst nur noch aus Haut und Knochen. Du sagtest vorhin, die Goten hätten immer noch versucht, dich zu verheiraten. Sie haben nicht etwa… das heißt…«

Ich war ein bißchen überrascht wegen seines plötzlichen Feingefühls. »Mich vergewaltigt? Nein. Aber… nun, mein Bruder hat einmal gemeint, kein Mann werde einen weiblichen Arzt heiraten wollen. Ich hatte allmählich das Gefühl, daß jeder Gote genau dies wollte. Ich fühlte mich wie Penelope auf Ithaca. Die ganze Zeit wurde mir nachspioniert. Außerdem gab es im letzten Winter nicht viel zu essen, und die Leute starben wie die Fliegen. So lange, bis ich selbst sterben wollte. Aber jetzt… ›O strahlender Glanz, o Licht des mit vier Pferden bespannten Sonnenwagens, o Erde und Nacht, die meinen starren Blick zuvor mit Dunkel füllten, jetzt schaue ich euch ungehindert an!‹« Ich lehnte mich zurück und sah zur Sonne auf; ich hatte das Gefühl, als falle das Jahr der Not und der Gefangenschaft wie die schmutzige Larve der Köcherfliege von mir ab und werde stromabwärts geschwemmt, während die Fliege ihre Flügel ausbreitet.

Athanaric lachte lauthals los. »Sebastianus hat erzählt, du wärest mit Euripides auf den Lippen in die Gefangenschaft gegangen. Dann ist es nur folgerichtig, daß du auf die gleiche Weise wiederkehrst.«

Er biß ein kräftiges Stück von seinem Brot ab und kaute herzhaft.

»Und wie geht es Sebastianus?« fragte ich.

Athanaric schluckte den Bissen schnell hinunter und warf Arbetio einen verlegenen Blick zu.

»Es geht ihm gut«, erwiderte Arbetio nach einem Augenblick des Zögerns. »Er ist zusammen mit seinem Vater, dem Feldherrn, bei der Armee.«

»Sein Vater hat den Ehevertrag annulliert«, erzählte Athanaric ohne Umschweife. »Er hat gesagt, der Vertrag sei ungültig, da sein Einverständnis gefehlt habe. Dann hat er ihn zerrissen und verbrannt. Du findest nicht seine… Billigung.«

»So«, seufzte ich einigermaßen erleichtert. »Er hat ja immer noch seine Daphne, oder?«

»Du brauchst nicht eifersüchtig auf sie zu sein!« meinte Athanaric.

»Eifersüchtig? Ich bin nicht eifersüchtig. Ich bin erleichtert: Ich bin im Grunde genommen froh, daß es wieder einmal nichts wird mit der Hochzeit. Aber ich dachte, du wolltest mich in Sebastianus’ Auftrag holen, um deinem Freund einen Gefallen zu erweisen.«