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Das Haus hatte ein sehr hübsches Eßzimmer, klein, aber sehr behaglich, mit roten Vorhängen und einem rot-weiß gemusterten Fußboden aus Fliesen. Tagsüber bekam es genug Licht durch ein großes, auf den Garten gehendes Fenster, und für den Abend war an der gegenüberliegenden Wand ein Ständer mit mehreren Lampen angebracht worden. Athanaric stand mit dem Rücken zu den Lampen, und sah aus dem Fenster in den Regen hinaus. Als ich eintrat, drehte er sich um.

»Oh!« machte er. »Du hast also ein anderes Gewand auftreiben können. Ich habe mich schon gefragt, was du anziehen würdest.«

Soviel also zu meiner Schönheit. »Arbetios Frau hat zwei von ihren eigenen Tunikas für mich geändert. Sie und ihr Mann sind sicher bald hier; ich habe sie ebenfalls eingeladen.«

Gudrun, die gerade den Weinkrug unter dem Lampenhalter abstellte, schüttelte den Kopf. »Nein, edle Frau, der Herr läßt ausrichten, er möchte heute abend lieber mit seiner Frau zu Hause bleiben. Er lädt euch ein, morgen abend mit ihnen zusammen zu essen.«

»Oh«, machte ich nun meinerseits und sah Athanaric an. Schweigend betete ich darum, Arbetio und Irene möchten immer soviel Freude und Glück haben, wie sie für ihr Zartgefühl, ihre Freundlichkeit, Rücksichtnahme und Großmut verdienten. Jetzt hatte ich einen Abend ganz allein mit Athanaric, die Möglichkeit, ausführlich mit ihm zu sprechen, und dazu die ehrbare Entschuldigung, daß eingeladene Gäste nicht erschienen waren.

Athanaric lächelte schwach. Er sah müde aus und war offensichtlich direkt von einem Gespräch mit Valerius zu mir gekommen, ohne sich die Zeit für ein Bad zu nehmen oder frische Sachen anzuziehen. »Mit dem ›Herrn‹ meinst du Arbetio?« fragte er Gudrun.

Sie errötete. »Ich bitte um Entschuldigung, meine Gebieterin«, sagte sie demütig.

»Macht nichts«, antwortete ich ihr. »Haben wir noch etwas mit Honig gesüßten Weißwein? Athanaric, setz dich bitte und versuche, dich zu entspannen.«

Athanaric machte es sich auf einer der beiden Ruhebänke des Eßzimmers bequem, ich lehnte mich auf der anderen zurück. Zwischen uns stand der Tisch. Gudrun brachte Weißwein und weißes Kümmelbrot. »Also«, sagte ich, »wie schlimm sind die Nachrichten?«

Einen Augenblick lang sah er mich ausdruckslos an. »Schlimm genug«, erwiderte er endlich. »Angeblich sind Zweidrittel der Armee ausgelöscht, der Kaiser ist höchstwahrscheinlich tot, und viele der wichtigsten Befehlshaber sind gefallen: der Vater von Sebastianus, Trajanus, Valerianus, Aequitius, der oberste Palastbeamte, Barzimeres und Dutzende von Tribunen. Es ist die schlimmste Niederlage in der Geschichte des Kaiserreichs. Und es sieht so aus, als habe Frithigern bis zum letzten Augenblick um einen ehrenvollen Frieden nachgesucht. Er hat mehrfach angeboten, mit seinen Verbündeten zu brechen und gegen sie zu kämpfen, falls der Kaiser ihm einen Vasallenstaat in Thrazien garantiere. Es hat noch niemals einen derart dummen, verhängnisvollen und sinnlosen Krieg gegeben.«

»Was ist mit unserem Sebastianus?« fragte ich nach einer Pause.

»Niemand weiß etwas Bestimmtes. Sein Name wurde nicht unter den Toten erwähnt. Aber vermutlich hat er an der Seite seines Vaters gekämpft. Vielleicht hat man ihn nur noch nicht gefunden.«

Ich saß da, rang die Hände und versuchte zu verstehen, was diese Niederlage bedeute. Mir war natürlich die ganze Zeit über bewußt gewesen, daß die Römer nicht unbesiegbar waren, aber mit einem derart grausigen Blutbad hatte niemand gerechnet.

Athanaric seufzte und rieb sich den Nacken, als täte ihm sein Kopf weh. »Der Augustus des Westreichs, Gratianus, weiß bereits von der Katastrophe. Er ist dabei, Briefe an die syrischen Truppen, an die Heerführer des Ostens und Ägyptens zu schicken, um weitere Soldaten um sich zu sammeln. Und er ist drauf und dran, einen neuen Heerführer zu ernennen, der wahrscheinlich sein Amtsgenosse und der Augustus des Ostreichs werden wird – Sebastianus’ Freund, Theodosius der Jüngere. Er ist etwa in Gratianus’ Alter, und sie scheinen Freunde zu sein, ungeachtet dessen, was Theodosius’ Vater zugestoßen ist. Es wäre wahrscheinlich keine schlechte Wahl. Theodosius ist ein äußerst tüchtiger und energischer General und hat sich ausgezeichnet gegen die Sarmaten geschlagen, als er der Heerführer der mösischen Provinz Dazien war. Ihm ist durchaus zuzutrauen, die Flut der Barbaren daran zu hindern, den Staat gänzlich zu verwüsten.«

Ich mußte an das verhängnisvolle Orakel denken und ein Schauer lief mir über den Rücken. »So wird es also doch ein ›THEOD…‹ sein, der dem Valens nachfolgt.«

Athanaric hörte auf, seinen Nacken zu massieren, und lächelte bitter. »Es sieht so aus. Und ich habe gehört, daß die Ebene südlich von Hadrianopolis die Mimas-Ebene genannt wird, nach einem alten Helden, der einst dort begraben wurde. Die Geister sprechen bisweilen die Wahrheit, auch wenn sie uns damit nicht unbedingt helfen wollen. Charis, das ist unser Ende. Ich glaube nicht, daß sich das Kaiserreich von diesem Schlag jemals vollständig erholen wird.«

»Du bist müde«, entgegnete ich. »Es ist Nacht, und es regnet, und dein Umhang ist naß. Das Kaiserreich ist eine großartige Sache, und es braucht mehr als eine Niederlage, sogar mehr als eine wie die von Hadrianopolis, um es zu zerstören. Trink deinen Wein, mein Liebster, und ruh dich aus. Morgen wirst du dich besser fühlen. Der Feind versteht immer noch nicht viel von der Belagerungskunst.« Dies war eines der Lieblingsthemen von Frithigern gewesen: Er riet seinen Freunden immer davon ab, »das Leben an steinernen Wällen fortzuwerfen«.

»Das stimmt«, meinte Athanaric, aber er machte deswegen keineswegs einen hoffnungsvolleren Eindruck. »Die Goten belagern jetzt Hadrianopolis. Das wird einige von ihnen das Leben kosten. Vielleicht zögert es die Katastrophe ja hinaus. Aber es wird sie nicht aufhalten.«

Wir verfielen beide in ein langes Schweigen. Gudrun brachte den ersten Gang: Lauch in Weinsoße.

»Du bist müde heute abend«, wiederholte ich. »Morgen früh wird es dir bessergehen.«

Er trank einen Schluck Wein und sah mich dabei an. »Wenn ich hier mit dir zusammensitze, kann ich das zur Not noch glauben. Aber das Kaiserreich ist einfach zu groß. Ich kenne mehr davon als die meisten. Im Westen bin ich bis Mediolanum gekommen, im Osten bis Amida und im Süden bis nach Ägypten. Überall gibt es Ärger: die Barbaren im Norden, die Perser im Osten, die Sarazenen und Afrikaner im Süden. Wir haben ganz einfach nicht die Kraft, sie abzuwehren. Allzu viele Landstriche sind verwüstet. Und dann die Streitereien der Kirche mit dem Staat. Beamte und Statthalter füllen sich die eigenen Taschen, meistens zum Schaden der Allgemeinheit. Die Männer, die weit genug weg sind von der Front, verachten die sie beschützenden Soldaten. Das Kaiserreich löst sich bereits auf. Es wird nicht so schnell zusammenbrechen – vielleicht währt es sogar länger als unser beiden Leben –, aber es wird zusammenbrechen, und wir werden sehen, wie es dahingeht.«

Ich war zutiefst betroffen. »Athanasios hat einmal zu mir gesagt, die Welt ist ein dunkler Ort, und nichts in ihr ist ewig, nicht einmal das Kaiserreich. Aber er sagte auch, wir könnten den Stempel Gottes auf der Welt nie ganz auslöschen. Und das menschliche Leben sei durchwirkt von Ewigkeit.«

»Wann hat er das gesagt?«

»In Carragines. Als ich krank war. Vielleicht war es nur ein Traum. Aber wie auch immer, ich habe gehört, wie er es gesagt hat, und ich glaube, es stimmt. Selbst wenn das Kaiserreich jetzt zerfällt, überdauert vielleicht doch etwas, was das Beste an ihm war. Vielleicht geht es auch noch nicht zu Ende. Die Patienten, deren Zustand am verzweifeltsten erscheint, erholen sich bisweilen und leben noch viele Jahre lang.«