»Aber du glaubst, daß das Kaiserreich alt ist und wahrscheinlich bald stirbt.«
Ich sah auf meinen Weinbecher, dann blickte ich wieder zu Athanaric auf.
Er beobachtete mich gespannt. »Der Tod ist etwas Trauriges«, erwiderte ich. »Selbst der Tod eines Tieres. Wir aber sprechen über das große Kaiserreich. Und doch dauert es vielleicht fort; selbst wenn dies nicht der Fall ist, es müssen schließlich alle Dinge auf Erden sterben, und wir müssen uns darein ergeben und das Beste aus dem Leben machen, solange es uns gehört.«
Gudrun kam herein und nahm den fast unberührten ersten Gang fort und brachte den zweiten: Wildschwein in Pfeffersoße.
»Was wollen wir jetzt tun?« fragte ich, als wir zu essen begannen.
Er zuckte die Achseln. »Genau das, was du sagst, nehme ich an. Wir gehen nach Bithynien. Wir treffen in aller Eile die Vorbereitungen für unsere Hochzeit, und wir entscheiden, wo wir leben wollen. Trotzdem werde ich dich erst einmal verlassen müssen; ich werde allerhand zu tun haben. In einem Notfall wie diesem kann ich meine Pflichten nicht vernachlässigen. Der Hof wird Kuriere benötigen, und wir dürfen den Kontakt mit dem Westreich nicht lockern. Du kannst solange im Haus deines Bruders warten und damit anfangen, dein Hospital zu gründen.«
Ich verstand, aber ich war nicht einverstanden. Das heißt, ich war nicht damit einverstanden, solange unverheiratet im Haus meines Bruders zu leben. »Athanaric«, sagte ich ernst, »geh heute nacht nicht ins Präsidium zurück.«
Er sah mich an, seine Augen waren im Schein der Lampe von einer wunderbaren Tiefe, seine Lippen waren leicht geöffnet. Er wußte, was ich meinte. »Wir brauchen die offizielle Bestätigung«, erwiderte er unsicher.
»Ich brauche dich«, erwiderte ich. »Ich will niemand anderen heiraten, und ich will mich von niemand anderem fragen lassen, ob ich eine Jungfrau und frei für ihn bin. Das Ehegesetz ist nicht so streng; wir sind verheiratet, sobald wir zusammenleben.«
»Zusammenleben? Im Augenblick leben wir alle beide nirgends. Wir sind wie Eisvögel, die vor dem Sturm über das Wasser gleiten. Das ist keine Grundlage, auf der du einen Ehevertrag abschließen kannst.« Aber er beobachtete mich weiterhin; gespannt, hungrig.
»Dann schließ den Vertrag ab, sobald wir in Bithynien sind. Ich verspreche dir, daß Thorion keinen Ärger machen wird – zumindest nicht, nachdem ich mit ihm gesprochen habe. Aber wir müssen einmal Zusammensein, bevor du irgendwo anders hingehst.«
Plötzlich stand er auf und kam um den Tisch herum, um sich neben mich auf die Ruhebank zu setzen. »Du hast recht«, sagte er und küßte mich.
Und wir beendeten unsere Mahlzeit, aber nur weil ich darauf bestand und meinte, wir hätten es beide unbedingt nötig, etwas zu essen. Dann rief ich meine Sklaven zusammen und sagte ihnen, Athanaric sei mein Gemahl und bliebe über Nacht. Sie strahlten und gratulierten uns – sie waren sowieso halb betrunken, da sie ihre bevorstehende Freiheit feierten, und waren weit davon entfernt, über irgend etwas überrascht zu sein, was ihre unberechenbare Gebieterin zu tun beliebte.
Dann gingen wir zu Bett. Liebe ist das Süßeste, was es gibt, wie die Dichter sagen: süß genug, um Honig daneben bitter schmecken zu lassen; süß genug, um das Bild von sterbenden Römern auf dem Schlachtfeld und von einem blutgetränkten kaiserlichen Purpur auszulöschen. Ich hatte stets die Weisheit des Körpers gepriesen, aber jetzt spürte ich, daß ich sie nie verstanden und ihr Geheimnis nie richtig gewürdigt hatte. Ihr Geheimnis, das aus einem einfachen Akt auf rätselhafte Weise ein Spiegelbild der Ewigkeit machen kann.
Und dann lagen wir schließlich ganz ruhig in den Armen des anderen und lauschten auf den Regen, der auf das Dach prasselte. »Was sagtest du, sind wir?« fragte ich Athanaric nach einem langen Augenblick vollkommener Zufriedenheit. »Eisvögel?«
»Ja. Sie legen ihre Eier zur Zeit der Wintersonnenwende auf die Meeresoberfläche. Rings um sie herum herrscht der Sturm, doch sie brüten in Frieden.«
»Ja.« Ich küßte ihn.
»Aber ich liebe das Kaiserreich«, sagte er, und der Unterton blanken Schmerzes kehrte in seine Stimme zurück.
»Ich weiß. Du liebst es so sehr wie ich die Medizin. Und es ist noch nicht am Ende, mein Liebster; es wird nicht so leicht dahinsinken. Doch laß die Stürme bis morgen: Heute nacht findet die Sonnenwende statt, und es herrscht der Friede des Winters.«
Er küßte mich erneut. Draußen schlug der Regen gegen das Dach, und über den Fluß hinweg hörte man entferntes Donnern.