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Thorion blieb einen Augenblick lang mit finsterer Miene auf der Türschwelle stehen. Maia bedeutete ihm mit einem Nicken, hereinzukommen. Er tat es und schlug die Tür hinter sich zu.

»Bei der Göttin Artemis!« rief er aus. »Warum bist du denn fortgerannt? Warum bist du nicht schnurstracks zu Vater gegangen und hast ihm gesagt, daß du mit diesem brutalen Kerl nichts zu tun haben willst?«

»Thorion!« sagte Maia. »Du läßt sie jetzt in Frieden! Und wenn du schon fluchen mußt, dann fluche nicht bei diesen heidnischen Göttern!« Ich schneuzte mich. »Ich mußte ganz einfach fort von ihm«, erzählte ich Thorion. »Es war niemand sonst dort, und er…« Ich konnte den Satz nicht beenden: Das Erlebnis war zu quälend, zu schändlich, und meine Gefühle waren immer noch in Aufruhr.

Thorion schien plötzlich die Tränen wahrzunehmen und sah bestürzt aus. »Was hat er getan? Wenn er… ich werde ihn töten

»Nein, nein, das war es nicht«, sagte ich und erlangte allmählich meine Selbstbeherrschung zurück. »Er schob seine Hand unter meine Tunika und küßte mich, das ist alles.«

Thorion war wie vom Donner gerührt. »Du hast einen blauen Fleck im Gesicht.«

»Er mußte mich daran hindern, ihn zu beißen.«

Aus irgendeinem Grunde sah er plötzlich erleichtert aus.

»Möge er elendiglich zugrunde gehen und zur Hölle fahren«, rief er aus. Dann trat er näher und setzte sich neben mich. Er legte mir den Arm um die Schultern und drückte mich an sich.

»Aber es wäre gut gewesen, wenn du sofort gekommen wärst und alles erzählt hättest. Festinus faselte Vater etwas davon vor, er habe dir gegenüber ›seine Bewunderung für deine Schönheit zum Ausdruck gebracht – das sind seine genauen Worte – und du wärst plötzlich von übergroßer Schüchternheit und mädchenhafter Bescheidenheit erfüllt gewesen und fortgerannt. Und deshalb brachte er Vater gegenüber die gleiche Bewunderung zum Ausdruck und wiederholte, er habe die Absicht, sich in Ephesus niederzulassen. Er behauptete, seit er dich mit eigenen Augen gesehen habe und wisse, daß du sowohl bescheiden, gut erzogen, edel geboren als auch schön bist, verspüre er den Wunsch, dich zu heiraten, falls Vater damit einverstanden sei.«

Ich sagte nichts. Ich hatte mir schon etwas derartiges gedacht.

»Was hat dein Vater geantwortet?« fragte Maia leise.

»Dies sei eine viel zu wichtige Angelegenheit, als daß man sie auf einer Abendgesellschaft erörtern könne, und sie sollten sich bald wiedersehen, um ausführlich darüber zu sprechen. Dann äußerte ich, Charis sei noch zu jung, um jemanden zu heiraten, und sie sei bereits halb und halb einem anderen versprochen – nun ja, ich mußte ja irgend etwas sagen. Aber dieser brutale Kerl lachte mich einfach aus. Vater verbat mir, mich da einzumischen – er hatte Angst, was ich wohl noch alles sagen mochte –, und befahl mir zu gehen. Aber wenn du hereingekommen wärest, Charition, und gesagt hättest, der Statthalter habe dich in deinem eigenen Hause beleidigt, hätte er ein ›Nein‹ als Antwort akzeptieren müssen.«

»Glaubst du wirklich?« fragte ich bitter. »Vielleicht wäre er genötigt gewesen, mit einer geringeren Mitgift vorlieb zu nehmen, aber er kann von Vater nehmen, was er will, und das weiß er genau. Vater hat immer noch Angst vor ihm.«

»Hättest du ihm nicht etwas sagen können?« wollte Thorion wissen.

»Ich habe ihm gesagt, daß ich nichts mit ihm zu tun haben will. Aber das schien ihm nur zu gefallen. Thorion, er will, daß ich ihn hasse. Er will… mich demütigen. Er will über Ephesus und seine herrschende Gesellschaftsschicht triumphieren.«

»Er genießt es, anderen Schmerzen zuzufügen«, sagte Maia ruhig. »Ja.« Ihr Arm legte sich fester um meine Taille. »Was meinst du, wen können wir vorschieben und behaupten, sie sei ihm versprochen?« fragte sie Thorion.

Er zuckte hilflos die Achseln. »Ich dachte vielleicht an Palladios, den Sohn des Dimitrios. Oder an meinen Freund Kyrillos, er hält große Stücke auf dich, Charition. Ich glaube, er wäre bereit, dich zu entführen, falls alles andere fehlschlägt.«

»Schön«, sagte ich. »Das könnte klappen. Festinus glaubt uns vielleicht nicht, wenn wir plötzlich behaupten, ich sei schon die ganze Zeit über einem anderen versprochen, aber er wird, kaum etwas dagegen unternehmen können. Und ich werde ihn nicht heiraten, unter keinen Umständen. Jetzt müssen wir nur noch Vater davon überzeugen, uns zu helfen.« Wir warteten so lange, bis die Abendgesellschaft zu Ende war und die Gäste nach Hause gingen. Von meinem Zimmer aus konnte man die Leute im ersten Innenhof sprechen hören, und als Vater sich verabschiedete, lauschten wir. »Bis morgen!« sagte Festinus laut mit seiner inzwischen vertrauten näselnden Stimme. Vaters Antwort konnten wir nicht verstehen.

Kaum waren die Gäste fort, gingen wir alle drei zu Vater. Er saß im Wagenlenkerzimmer, wo die Sklaven die Überreste des Essens abräumten. Er sah erschöpft und unglücklich aus.

»Vater«, sagte Thorion. »Wir müssen mit dir sprechen.«

»Oh, meine Lieben«, seufzte Vater, »jetzt nicht, bitte; es ist spät.«

»Doch, jetzt«, beharrte Thorion. »Wenn wir diese Heirat noch verhindern wollen, müssen wir sofort etwas unternehmen.«

Vater machte ein Geräusch, das wie eine Mischung aus einem wütenden Schnauben und ergebenem Seufzen klang. »Die Heirat verhindern? Wie kommst du darauf, daß wir sie überhaupt verhindern wollen?«

Als ich meinen Vater sah, wie er sich dort auf seiner Ruhebank zurücklehnte, wurde mir bewußt, daß ich nicht mehr von ihm wußte als seine Haussklaven. Er dagegen wußte überhaupt nichts von mir. Ich konnte mich eigentlich nur daran erinnern, wie er einmal in mein Zimmer kam, als ich noch ein kleines Kind war, um mit mir zu spielen. Aber seit ich damit begonnen hatte, ich selbst zu werden, waren wir uns immer fremder geworden. Ich hatte ihn manchmal zu den Mahlzeiten gesehen, er hatte mich von Zeit zu Zeit nach meinen Lektionen gefragt und mich dafür gelobt, dies oder jenes auswendig gelernt zu haben, aber wir hatten nie irgendein Thema angeschnitten, das mich interessierte. Für ihn und für Festinus war ich ganz einfach eine junge Dame, die Tochter des Hauses, ruhig, hübsch, gehorsam. Und leicht zu handhaben. Mir wurde allmählich sehr kalt.

»Du kannst doch nicht zulassen, daß dieser brutale Kerl Charis heiratet!« sagte Thorion.

»Psst!« Vater deutete auf die Sklaven, die beim Aufräumen innegehalten hatten und unauffällig an der Wand herumstanden.

»Nein! Festinus ist ein brutaler Kerl und ein Feind unseres Hauses. Und es ist mir egal, wer alles weiß, daß ich so denke!«

»Mein lieber Sohn!« sagte Vater. »Du solltest mit Hochachtung von derart mächtigen Männern sprechen! Es ist zwar richtig, daß der vortreffliche Statthalter von niedriger Geburt ist, aber das gilt für so viele Männer, die heutzutage die höchsten Ränge bekleiden. Das gilt schließlich auch für unseren eigenen Großvater. Der hochgeschätzte, vorzügliche Festinus hat aufgrund eigener Verdienste Reichtum und Macht erworben, und unser Erhabener Gebieter, der Augustus Valens, hält viel von ihm. Darüber hinaus ist er jetzt unser Nachbar. Ich sehe keinen Grund, warum unsere Häuser nicht durch eine Heirat miteinander verbunden werden sollten. Sicher, ich hatte vorher andere Pläne für meine Tochter – aber diese Heirat wird uns beiden zum Vorteil gereichen. Der Statthalter wird an Ansehen gewinnen, und wir werden von seinem Schutz und von seinem Einfluß profitieren.«

»Dann kann also ein Mann mit einem Trupp Soldaten hier einfach hereinmarschiert kommen«, sagte Thorion, »er kann dich mit dem Tode bedrohen, er kann deine Sklaven fortschleppen und sie foltern, er kann deine Tochter in deinem eigenen Haus beleidigen: das macht dir alles nichts aus! Du gibst ihm deine Tochter zur Ehe, einfach so, damit alles im Lot ist. Oh, ewiger Christus!«

»Er hat Charis nicht beleidigt«, bemerkte Vater gereizt.